Deutschland gilt als die Nation mit dem größten Zeitungsmarkt Europas – soweit die gute Nachricht. In den zurückliegenden Monaten gab es jedoch vermehrt schlechte Meldungen aus der Branche: Das Ende der Financial Times Deutschland, die Pleite der Frankfurter Rundschau, die Redaktionsschließung der Westfälischen Rundschau. Mit redaktionellen Kooperationen versuchen viele Verlage, Kosten zu senken und trotz Auflageneinbrüchen am Markt zu bestehen. Die Gefahr: Die Konzentration steigt, die publizistische Vielfalt schwindet.

Anhaltender Schrumpfungsprozess
Die Abwärtsentwicklung der deutschen Tagespresse hält an: Von 1989 bis 2012 ist die Zahl der Abonnementzeitungen von 387 auf 322 gesunken (Dies lässt sich aus der der achten Stichtagssammlung der deutschen Tagespresse von Walter J. Schütz ablesen: SCHÜTZ 2012a/b; Glossar; neben den lokalen und regionalen Tageszeitungen zählen dazu die überregionalen Blätter: Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Die Welt, die tageszeitung, Junge Welt, Neues Deutschland, Die Tagespost, Handelsblatt, Frankfurter Rundschau und die Financial Times Deutschland, die im Dezember 2012 letztmals erschien). Viele von ihnen verfügen über keine eigene Vollredaktion, sondern übernehmen den überregionalen Teil (Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport) von einer der insgesamt 120 Zeitungen mit einer sogenannten Mantelredaktion (1989: 150), die vorwiegend in Großstädten oder Oberzentren zu finden sind (Karte 1). Die verkaufte Auflage sank im selben Zeitraum um knapp 40 Prozent von 24,12 Millionen auf 14,55 Millionen Exemplare (Graphik).

Die Detailanalyse der Verkaufsauflage des Mantelteils zwischen 2001 und 2012 weist großflächige Verluste für Überregionale wie Regionale von bis zu 50 Prozent aus. Lediglich einige wenige Regionale wie der Fränkische Tag (Bamberg), die Oberhessische Presse (Marburg), die Neue Osnabrücker Zeitung oder die Westfälischen Nachrichten (Münster) konnten ihre Auflage steigern (SCHÜTZ 2001 u. 2012b; Karte 1). Dass ein bloßes Auflagenplus – selbst im zweistelligen Bereich – kein Garant für betriebswirtschaftlichen Erfolg ist, beweist die im Dezember 2012 eingestellte überregionale Financial Times Deutschland (FTD). In den letzten drei Jahren sank die Zahl der FTD-Abonnenten und Einzelverkäufe, der Anteil der kostenlos verteilten Bordexemplare stieg.

Die größten Auflagenverluste gibt es in Ostdeutschland, vor allem bedingt durch Abwanderung und geringeres Wirtschaftswachstum. In den alten Bundesländern kristallisieren sich Negativtrends vor allem in Ballungsgebieten wie dem Ruhrgebiet und Großstädten heraus, was auch mit prekären Einkommensverhältnissen in Folge von Langzeitarbeitslosigkeit erklärt werden kann. Im Umkehrschluss bedeutet das: Je ländlicher der Raum, je überschaubarer das Verbreitungsgebiet, desto mehr halten die Leser an ihrer Heimatzeitung im Abo fest. Dies haben auch Verleger und Blattmacher erkannt, in dem sie bestehende Ausgaben splitten und weiter regionalisieren mit dem Ziel, dem Nutzer lokale oder sogar sublokale Inhalte zu präsentieren und zur Finanzierung örtliche Anzeigen einwerben. So erscheint die Badische Zeitung nun mit einer eigenen Ausgabe für Offenburg, die Nürnberger Zeitung bringt Lokalausgaben für Forchheim und Höchstadt heraus (SCHÜTZ 2012a, S. 576). Das zeigt auch, dass Verlage vor allem bestrebt sind, im angestammten Verbreitungsgebiet ihre Marktposition zu halten und auszubauen. 2012 gab es in Deutschland 1452 Ausgaben (Graphik).

Kooperation und Konzentration
Eine Folge der lokalen Zersplitterung ist der Anstieg der Brutto-Zeitungsdichte, das heißt der Zahl der in kreisfreien Städten bzw. Landkreisen angebotenen Ausgaben von Tageszeitungen (SCHÜTZ 2012a, S. 585). Dabei wird der Mantelteil (Politik, Wirtschaft, Kultur, Sport und Sonderseiten) von einer Kernredaktion (Zentralredaktion) produziert, und nur das Lokale wird ausgetauscht. Maßgeblich für die publizistische Vielfalt ist indes die Netto-Zeitungsdichte, also die Zahl von komplett eigenständig produzierten Titeln in einem Gebiet. Die Zahl der Ein-Zeitungs-Kreise stieg 2012 auf 44 Prozent und manifestiert die Monopolstellung (SCHÜTZ 2012a, S. 588). Aber es lassen sich auch abgeschwächte Formen redaktioneller Verflechtungen ausmachen (Karte 2; Kooperationen 2008 siehe Bode 2010), wie bei der DuMont-Redaktionsgemeinschaft, die Inhalte aus Politik und Wirtschaft für die Berliner Zeitung, den Kölner Stadtanzeiger, die Mitteldeutsche Zeitung und die Frankfurter Rundschau liefern soll – mit einer Gesamtauflage von 750.000 Stück. Auch wenn „durch investigative Recherche, tiefere Analysen, die große Reportage und den außergewöhnlichen Leitartikel“ (DuMont-Redaktionsgemeinschaft 2013) mehr journalistische Qualität versprochen wird, steckt dahinter vor allem Kostensenkung zu Lasten der publizistischen Vielfalt. Daran ändern auch die vielen in lokal engem Radius verbreiteten Blätter mit Kleinstauflagen wie Der Heimatbote (Schöllkrippen), die Norderneyer Badezeitung oder Serbske Nowiny (Bautzen) nichts.

Zunehmend Sonntagszeitungen im Angebot
Derweil versuchen einige Verlage die Informationslücke am lange vernachlässigten Sonntag zu schließen; sei es mit einer siebten Ausgabe, einer kostenlos verteilten Ausgabe vom Typus Anzeigenblatt oder gar einer eigenständigen Redaktion (SCHÜTZ 2012a, S. 582). Neben drei bundesweiten Sonntagszeitungen (Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Welt am Sonntag, Bild am Sonntag) finden sich vor allem im Großraum Stuttgart auffällig viele Sonntagszeitungen, deren Leser Sonntag Aktuell als siebte Ausgabe ihrer regionalen Tageszeitung erhalten (Karte 3). In Thüringen, Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern, dem Saarland sowie Hamburg gibt es dagegen kein einziges regionales Sonntagsangebot.

Fazit und Ausblick
Trotz der anhaltenden tiefgreifenden Veränderungen im Zeitungsmarkt kann nicht pauschal von einem „Zeitungssterben“ gesprochen werden, denn es gab auch in früheren Jahrzehnten (1950, 1964-1967) zahlreiche Einstellungen. Aber die Situation darf auch nicht mit dem Bonmot „Solange man mit dem Fernseher keine Fliege totschlagen kann, wird er die Zeitung nicht ersetzen“ abgetan werden. Denn seit der Gründung der ersten Tageszeitung der Welt, der Einkommenden Zeitung durch Timotheus Ritzsch 1650 in Leipzig, sind Hörfunk, Fernsehen und Internet als neue (und schnellere) Medien hinzugekommen.

Die Nutzungsgewohnheiten der Menschen haben sich gravierend verändert (ARD/ZDF 2013). Wenden die über 50-Jährigen für die tägliche Zeitungslektüre noch 34 Minuten auf, sind es bei den 14- bis 29-Jährigen nur noch zehn Minuten. Im Gegenzug ist die Internetnutzung bei den Jüngeren um ein Vielfaches höher, und dies schließt auch die Informationsbeschaffung im Web ein. Starke Printtitel beweisen als Marke auch im Netz ihre Attraktivität und Meinungsführerschaft. Wollen die Zeitungen bestehen, braucht es folglich jenseits des tradierten Trägermediums eine crossmediale Strategie und journalistische Qualität, um den Content nutzerspezifisch an die unterschiedlichen Ausspielwege anzupassen – und jenseits des Print-Redaktionsschlusses aktuell zu halten.

ARD/ZDF (Hrsg.) (2013): ard-zdf-onlinestudie.de. Mediennutzung.
URL: www.ard-zdf-onlinestudie.de/index.php
Abrufdatum: 01.03.2013.

BBR (Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung) (Hrsg.) (2008): Indikatoren und Karten zur Raum- und Stadtentwicklung [Elektronische Ressource]. INKAR. Ausgabe 2007. Bonn. Themenbereich: Siedlungsstrukturelle Kreistypen; Kreise Stand 13.12.2005.

BODE, Volker (2010): Ist die Zeitungsvielfalt in Gefahr? In: Nationalatlas aktuell 2 (02/2010) [24.02.2010]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL).
URL: aktuell.nationalatlas.de/Tageszeitungen.2_02-2010.0.html

DuMont Redaktionsgemeinschaft (Hrsg.) (2013): Wir über uns. Was wir wollen.
URL: www.fr-publishing.de/redakt/index.php/wir-ueber-uns.html
Abrufdatum: 01.03.2013.

SCHÜTZ, Walter J. (2012a): Deutsche Tagespresse 2012. In: Media Perspektiven 9/2009, S. 570-593.

SCHÜTZ, Walter J. (2012b): Redaktionelle und verlegerische Struktur der deutschen Tagespresse. Übersicht über den Stand 2012. In: Media Perspektiven 11/2012, S. 594-603.

SCHÜTZ, Walter J. (2001): Redaktionelle und verlegerische Struktur der deutschen Tagespresse. Übersicht über den Stand 2001. In: Media Perspektiven 11/2001, S. 633-642.

Bildnachweis
Die drei deutschlandweiten Sonntagszeitungen Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung, Welt am Sonntag und Bild am Sonntag sowie die Sonntagsausgaben des Tagesspiegel und der Berliner Morgenpost. © V. Bode

Zitierweise
Höhn, Tobias D. (2013): Deutsche Tagespresse im kontinuierlichen Sinkflug. In: Nationalatlas aktuell 7 (03.2012) 3 [19.03.2013]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL).
URL:
http://aktuell.nationalatlas.de/Tageszeitungen.3_03-2013.0.html

Dr. Tobias D. Höhn

Universität Leipzig
Institut für Kommunikations-
und Medienwissenschaft

Burgstraße 21
04109 Leipzig

Tel.: (0341) 97-35705
E-Mail: hoehn@uni-leipzig.de

Abonnementtageszeitung/Abozeitung bezeichnet Zeitungen, die mindestens zweimal wöchentlich erscheinen, allgemein zugänglich sind (und durch ein Abonnement bezogen werden können; im Gegensatz zur meist an Kiosken oder unterwegs verkauften Straßenverkaufszeitung) und durch eine inhaltliche Vielfalt/Themenuniversalität (mit aktuellen Nachrichten aus Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport sowie bei den Regionalzeitungen einem lokalen Teil) einen großen Teil der Bevölkerung ansprechen.

Als lokale und regionale Abonnementzeitungen werden Tageszeitungen definiert, deren Auflage zu mehr als 50 Prozent innerhalb eines bestimmten Verbreitungsgebietes verkauft wird. Überregionale Tageszeitungen werden deutschlandweit ohne dominierendes regionales Verbreitungsgebiet vertrieben und deutschlandweit beachtet (Frankfurter Allgemeine Zeitung, Süddeutsche Zeitung, Die Welt, die tageszeitung, Junge Welt, Neues Deutschland, Die Tagespost, Handelsblatt, Frankfurter Rundschau).

Publizistische Einheit; Voll-, Kern-, Mantel-, Haupt- oder Zentralredaktion
In der Pressestatistik werden Publizistische Einheit, Verlage als Herausgeber und Ausgaben unterschieden. Als Publizistische Einheit werden jene redaktionell selbstständigen Tageszeitungen mit Vollredaktion (auch Kern-, Mantel-, Haupt- oder Zentralredaktion) zusammengefasst, die in ihrem Mantelteil, nicht aber im Zeitungstitel weitestgehend übereinstimmen und sämtliche Ressorts (Politik, Wirtschaft, Kultur und Sport) wie auch den Anzeigenteil selbstständig erarbeiten. Die einzelnen Zeitungen können dabei redaktionell und wirtschaftlich selbstständig sein und in abweichenden Ausgaben erscheinen. Hauptsächlich im Lokalteil und ggf. bei der Gestaltung der Titelseite heben sich die einzelnen Ausgaben voneinander ab. Die Kategorie „Verlage als Herausgeber“ fasst alle Ausgaben eines Unternehmens zusammen, bei denen im Impressum der gleiche Herausgeber und/oder Verlag genannt wird (Schütz 2012a, S. 570).