Deutsche Medizintechnikunternehmen gelten in Fachkreisen weltweit als Innovationsführer. Mit der massiven Nachfrage nach Beatmungsgeräten und Testausstattungen ist die Branche seit Beginn der Covid-19-Pandemie auch in den Fokus der öffentlichen Wahrnehmung gerückt.

Branche auf stetigem Wachstumskurs
Die deutschen Medizintechnikunternehmen bieten eine breite Produktpalette an, von Skalpellen, Spritzen und Röntgengeräte bis zu smarten Diagnostiklösungen. Neben traditionellen Erzeugnissen engagieren sich die Unternehmen auch im Bereich neuester technologischer Lösungen für den Gesundheitsschutz, zum Beispiel in der Entwicklung von Gerätesteuerungen mittels künstlicher Intelligenz. Firmen wie Dräger (Lübeck), Karl Storz und Aesculap (beide Tuttlingen) oder Eppendorf (Hamburg) zählen zu den umsatzstärksten Medizintechnikunternehmen Deutschlands und gelten in produktspezifischen Marktsegmenten als Weltmarktführer (Glossar).

Die Medizintechnikbranche bewegte sich in den letzten Jahren auf einem steten Wachstumskurs: Allein zwischen 2011 und 2019 konnte sie den Gesamtumsatz von 23,17 Milliarden Euro auf 33,41 Milliarden Euro steigern (Grafik 1). Den höchsten Anteil erzielte das Auslandsgeschäft mit 51,8 Prozent Umsatzsteigerung; allerdings wuchs auch der inländische Umsatz um beachtliche 31,6 Prozent (SPECTARIS 2019 und 2020). Angesichts der fortschreitenden Alterung der Gesellschaft, der Zunahme chronischer Krankheiten und des rasanten medizinischen Fortschritts rechnen Experten auch zukünftig mit einer anhaltend hohen wirtschaftlichen Dynamik der Branche (Dispan 2020).

Die Medizintechnik zählt zu den wissensintensiven Branchen, die durch einen starken Innovationswettbewerb geprägt sind. Um in diesem zu bestehen, investieren die deutschen Unternehmen rund neun Prozent ihres Umsatzes in Forschung und Entwicklung. Sie gehören damit weltweit zu den Innovationsführern. Ein Drittel des Umsatzes wird mit Produkten erwirtschaftet, die weniger als drei Jahre alt sind (BVMed 2019).

Branchenstruktur und regionale Verteilungsmuster
Im Jahr 2020 zählten deutschlandweit insgesamt 1.376 Unternehmen mit jeweils mindestens 20 Mitarbeitern zu den beiden Wirtschaftszweigen, die zum einen Bestrahlungs- und Elektrotherapiegeräte und elektromedizinische Geräte herstellen sowie zum anderen medizinische und zahnmedizinische Apparate und Materialien produzieren (WZ 26.6 und 32.5, Glossar). Beide machen den Kern der Medizintechnik aus (Amadeus-Unternehmensdatenbank 2020, Dispan 2020; Glossar). Insgesamt ist die Branche mehrheitlich von mittelständischen Betrieben mit weniger als 250 Beschäftigten geprägt, welche größtenteils in Verdichtungsräumen angesiedelt sind. Vor allem die Stadtstaaten Berlin und Hamburg, aber auch Stuttgart und München, das Rhein-Ruhr-Gebiet und die Rhein-Main Region verfügen über eine hohe Konzentration von Medizintechnikunternehmen (Karte 1). Nennenswerte Ballungen sind zudem in den ostdeutschen Verdichtungsräumen von Dresden, Jena, Leipzig und Zwickau gegeben. Eine Ausnahme stellt die ländlich geprägte Region um Tuttlingen in Baden-Württemberg dar, die traditionell eine weltweit bedeutende Stellung in der Medizintechnik einnimmt.

Einige Unternehmenskonzentrationen lassen zudem deutliche Spezialisierungen erkennen, so beispielsweise Jena mit einem Fokus auf ophthalmologischer Medizintechnik (Augenheilkunde), die Region Nürnberg-Erlangen mit einem Schwerpunkt in der bildgebenden Diagnostik oder Tuttlingen in Bezug auf die Herstellung chirurgischer und endoskopischer Geräte. In den betreffenden Regionen ist die Medizintechnik eng mit komplementären Technologiefeldern verbunden, beispielsweise der Optik, Informatik oder Biotechnologie sowie den darauf spezialisierten Forschungseinrichtungen.

SARS-CoV-2-Tests Made in Germany
Auch bei der Diagnostik von SARS-CoV-2-Infektionen fällt den in Deutschland ansässigen Medizintechnikunternehmen eine bedeutende Rolle zu. Seit März 2020 wurden eine Vielzahl von SARS-CoV-2-Tests Made in Germany registriert (Karte 2). Neben bekannten deutschen und internationalen Großunternehmen wie Abbott (Abbott Rapid Diagnostics in Jena), Bosch (Bosch Healthcare Solutions in Waiblingen), Qiagen (Hilden) oder Roche (Roche Diagnostics in Mannheim und Penzberg) haben viele kleine und mittelständische Unternehmen Testverfahren entwickelt (BfArM 2020). Hersteller von SARS-CoV-2-Tests finden sich insbesondere in Baden-Württemberg (zwölf Hersteller) und Hessen (elf Hersteller). Einzig nennenswert in Ostdeutschland ist der Großraum Berlin (sechs Hersteller). Vielfach ist eine Nähe zu pharmazeutischen Unternehmen gegeben, die als Zulieferer für die Medizintechnikunternehmen (Nachweis-)Reagenzien herstellen.

Amadeus-Datenbank (2020): Bureau van Dijk Electronic Publishing

BfArM (Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte) (Hrsg.) (2021): Angezeigte Tests zum neuartigen Coronavirus (SARS-CoV-2) in Deutschland. URL: https://www.dimdi.de/dynamic/de/medizinprodukte/datenbankrecherche/corona-tests-tabelle/
Abrufdatum: 06.01.2021

BVMed (Bundesverband Medizintechnologie) (Hrsg.) (2019): Branchenbericht Medizintechnologien 2019. Berlin.

Dispan, Jürgen (2020): Branchenanalyse Medizintechnik. Beschäftigungs-, Markt- und Innovationstrends. Düsseldorf (Working Paper Forschungsförderung, No. 183, Hans-Böckler-Stiftung).

SPECTARIS (SPECTARIS – Deutscher Industrieverband für Optik, Photonik, Analysen- und Medizintechnik) (Hrsg.) (2020): Eckdaten der Industrie für optische, medizinische und mechatronische Technologien. URL: https://www.spectaris.de/fileadmin/Content/Photonik/Zahlen-Fakten-Publikationen/Zahlen_SPECTARIS_2019.pdf
Abrufdatum: 06.01.2021

SPECTARIS (SPECTARIS – Deutscher Industrieverband für Optik, Photonik, Analysen- und Medizintechnik) (Hrsg.) (2019): Die deutsche Medizintechnikindustrie. SPECTARIS Jahrbuch 2019/2020. Berlin

Wirtschaftswoche (Hrsg.) (2018): Einsame Spitze. Das sind die deutschen Weltmarktführer (geordnet nach Umsatz). URL: https://www.wiwo.de/downloads/23639990/4/weltmarktfuehrer_2018_wirtschaftswoche.pdf
Abrufdatum: 06.01.2021

Bildnachweis
Das Unternehmen Abbott Rapid Diagnostics Jena GmbH; © Christopher Roitzsch

Zitierweise
Roitzsch, Christopher; Neise, Thomas und Sebastian Henn (2021): Medizintechnik in Deutschland – unscheinbar, aber weltweit an der Spitze. In: Nationalatlas aktuell 15 (01.2021) 1 [09.03.2021]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL). URL: http://aktuell.nationalatlas.de/medizintechnik-1_03_2021-0-html/

Nationalatlas aktuell wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.

B.Sc. Christopher Roitzsch
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie
Löbdergraben 32
07743 Jena
Tel: (03641) 948835
E-Mail: christopher.roitzsch@uni-jena.de

Dr. Thomas Neise
Universität Osnabrück
Institut für Geographie
Seminarstr. 19 a/b
49074 Osnabrück
Tel: (0541) 9694305
E-Mail: thomas.neise@uni-osnabrueck.de

Prof. Dr. Sebastian Henn
Friedrich-Schiller-Universität Jena
Lehrstuhl für Wirtschaftsgeographie
Löbdergraben 32
07743 Jena
Tel: (03641) 948830
E-Mail: sebastian.henn@uni-jena.de

Amadeus-Unternehmensdatenbank
Die Bestandserhebung der Medizintechnikunternehmen beruht auf einer Analyse der Amadeus-Datenbank des Unternehmens Bureau van Dijk. Die Datenbank umfasst Informationen zu rund 21 Millionen Unternehmen aus Europa.

Weltmarktführer
Der Weltmarktführer-Index wird von der Universität St. Gallen und der Akademie Deutscher Weltmarktführer erstellt. Ein Weltmarktführer ist danach auf mindestens drei Kontinenten mit eigenen Produktions- bzw. Vertriebsgesellschaften und/oder Exporten tätig, erwirtschaftet einen Jahresumsatz von mindestens 50 Millionen Euro, ist die Nummer ein oder zwei im relevanten Weltmarkt(-segment) und hat einen Auslandsanteil am Umsatz von mindestens 50 Prozent.

Wirtschaftszweige 26.6 und 32.5
Die Klassifikation der Wirtschaftszweige dient dazu, die wirtschaftlichen Tätigkeiten statistischer Einheiten in allen amtlichen Statistiken einheitlich zu erfassen (DESTATIS 2008). Der WZ 26.6 umfasst Unternehmen, die Bestrahlungs- und Elektrotherapiegeräte und elektromedizinische Geräte herstellen. Der WZ 32.5 umfasst Unternehmen, die mit der Herstellung von medizinischen und zahnmedizinischen Apparaten und Materialien beschäftigt sind.