App-basierte Mobilitätsangebote mit Autos oder Kleinbussen sind ein relativ junges Phänomen. In den USA entstanden, wird es auch in Deutschland immer präsenter. Verschiedene Modelle befinden sich derzeit in der Erprobung, und es bleibt abzuwarten, ob sich das alternative Mobilitätsangebot auf dem deutschen Markt etablieren wird. Momentan gibt es hierzulande diverse Mikrotransit-Anbieter in rund 50 Gebieten, wie die aktuelle Deutschlandkarte zeigt.

Mikrotransit bezeichnet ein noch relativ junges Mobilitätsphänomen, das sich in Deutschland immer weiter ausbreitet. Die unterschiedlichen Definitionen betonen gleichermaßen den Einsatz neuer Telekommunikationstechnologien sowie die linienunabhängige Beförderung in Autos oder Kleinbussen. Die Fahrzeuge werden dabei von mehreren Fahrgästen geteilt, die an unterschiedlichen Punkten der Route ein- und aussteigen können. Ein Algorithmus berechnet die optimale Route und den entsprechenden Preis, der üblicherweise zwischen ÖPNV- und Taxi-Tarifen angesiedelt ist. Mikrotransit wird teils privatwirtschaftlich, teils von öffentlicher Seite oder auch von öffentlich-privaten Partnerschaften angeboten.

Mikrotransit-Systeme kommen bisher noch sehr eingeschränkt zur Anwendung. Doch geht mit ihnen das Versprechen einher, den ÖPNV zu revolutionieren: eine Tür-zu-Tür-Beförderung für alle, überall und jederzeit. Gleichzeitig verfängt für den Nutzer der Reiz neuer, Smartphone-basierter Benutzerschnittstellen sowie Planungs- und Abrechnungstools. Für die deutsche Automobilindustrie eröffnet sich damit ein neuer Absatzmarkt mit dem Ansatz, in Zukunft anstatt Fahrzeuge die Dienstleistung „Mobilität“ zu verkaufen. Auch die Deutsche Bahn und kommunale Verkehrsbetriebe verfolgen mit ihren Investitionen in Start-Ups das Ziel, kundenorientiertere und umweltfreundlichere Mobilitätsmodelle zu erproben und sich so auf dem neuen Markt zu etablieren.

Rechtlicher Innovationsbedarf
Erste Versuche, ein solches Mobilitätskonzept in Deutschland einzuführen, unternahm der US-amerikanische Konzern Uber mit seinem Service „UberPop“ im Jahr 2014, bei dem über eine App Fahrgäste an private Fahrer vermittelt wurden. Das Oberverwaltungsgericht Hamburg sah darin allerdings einen Verstoß gegen das Personenbeförderungsgesetz (PbefG) und bestätigte das damals erlassene Verbot des Fahrdienstes (Rebler 2014).

Das PbefG kannte bis 2021 Mikrotransit als Verkehrskategorie nicht: Beim Gelegenheitsverkehr, der das Gegenteil zum Linienverkehr darstellt, wurde zwischen Taxen, Mietwagen und Mietomnibussen sowie Ferienfahrten unterschieden (§ 46 [2] PbefG). Für Mikrotransit kommen dabei nur Mietwagen in Betracht, die nach jedem ausgeführten Auftrag zum Betriebssitz zurückkehren müssen. Zudem dürfen nach geltendem Recht die Plätze in einem Mietwagen nicht einzeln vergeben werden. Um Mikrotransit in Deutschland dennoch anbieten zu dürfen, operierten Anbieter mit Experimentierklauseln, etwa einer vierjährigen Ausnahmegenehmigung „zur praktischen Erprobung neuer Verkehrsarten oder Verkehrsmittel“ (§2 [7] PbefG).

Mikrotransit kann mit Genehmigung auch als Linienverkehr deklariert werden. Dazu müssen virtuelle Haltepunkte geschaffen werden, an denen Ein- und Ausstiegsmöglichkeiten bestehen. Jede Genehmigung wird dabei einzeln erteilt. Selbst innerhalb einer Stadt können sich daher die Betriebserlaubnisse hinsichtlich der Laufzeit und der Anzahl der im Betrieb befindlichen Fahrzeuge stark voneinander unterscheiden.

Weiterer Handlungsbedarf
Der Verkehrswissenschaftliche Beirat beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur forderte 2017 in einem Positionspapier, die Regulierungen des Taximarktes schrittweise abzubauen und das Personenbeförderungsgesetz zu erneuern. Auch die Monopolkommission der Bundesregierung (2017) sieht Handlungsbedarf, um Vermittlungen an private Fahrer unter Auflagen zu legalisieren. Ebenso sollten die Vorschriften für Mietwagen, die bisher zwischen ihren Aufträgen zum Betriebssitz zurückkehren müssen, gelockert werden. Anfang 2021 wurde das Gesetz novelliert, um neue Mobilitätsformate durch die Kommunen besser zu regulieren. Die Rückkehrpflicht von Mietwagen blieb jedoch bestehen, um das Taxigewerbe zu schützen.

Akteure im Hintergrund
Die meisten deutschen Mikrotransit-Angebote gehen auf Start-Ups im digitalen Mobilitätsektor zurück. Mittlerweile sind zahlreiche deutsche Großunternehmen Unternehmensbeteiligungen eingegangen – eine Wette auf ihren weiteren Ausbau. Derzeit größter Akteur auf dem Markt ist die Deutsche Bahn. Sie besitzt die Mehrheit der Anteile an IOKI und CleverShuttle, dem größten Mikrotransit-Anbieter in Deutschland. Beide Unternehmen bauen gegenwärtig aktiv ihren Service aus und erschließen neue Standorte (Karte 1).

Dasselbe Ziel verfolgen auch Volkswagen und Daimler. Die tendenzielle Entwicklung weg von Eigentum hin zu flexiblen und individuellen Angeboten bedroht ihre Absätze, sodass sie neue Geschäftsmodelle austesten. So hat Volkswagen das Tochterunternehmen moia gegründet, das Mikrotransit in Hamburg und Hannover anbietet (Karte 1). Daimler hingegen hat mit Via Transportation Inc. das Joint Venture ViaVan mit Angeboten in Berlin, London, Amsterdam und den USA gegründet. In einem zweiten Joint Venture mit BMW sind die Unternehmen REACHNOW und FREENOW mit Standorten in Stuttgart und Hamburg entstanden.

Zudem kooperieren viele Mikrotransit-Anbieter, wie beispielsweise door2door, mit den jeweiligen ÖPNV-Unternehmen vor Ort. So soll das Streckennetz ausgeweitet und Mobilität in der Nacht und in schlecht angebundenen Vierteln gewährleistet werden. Zum einen wird so der Service des ÖPNV erweitert, zum anderen ein zweites Standbein aufgebaut, stellt Mikrotransit doch eine starke Konkurrenz zum herkömmlichen ÖPNV dar.

Potenzial für die Mobilitätswende?
Fast alle Anbieter von Mikrotransit werben damit, eine grüne und zugleich komfortable Alternative zu bestehenden urbanen Mobilitätsdienstleistungen zu sein. Viele Unternehmen greifen – teilweise oder ausschließlich – auf elektrisch angetriebene Fahrzeuge zurück (Karte 1). Die positiven Effekte werden allerdings erst bei einer ausreichenden Auslastung erreicht, also einer tatsächlichen Bündelung von Fahrtwünschen mehrerer Fahrgäste, was nach wie vor häufig nicht der Fall ist (Werckmeister García 2018).

Mikrotransit stellt jedoch auch eine Konkurrenz zum etablierten ÖPNV dar, während Verlagerungseffekte vom PKW nach wie vor gering sind (Rayle u. a. 2016). Wie die Karte zeigt konzentrieren sich die Angebote in den urbanen Ballungsräumen – und dort vorwiegend in Innenstadtbezirken mit guter ÖPNV-Erschließungsqualität, höheren Einkommen und einem größeren Anteil junger und digital affiner Kundengruppen. Die Ausweitung von Mikrotransit-Angeboten in Gemeinden außerhalb der Großstädte, etwa im Rhein-Main-Gebiet oder im Kölner Umland, ändert nichts an dieser sozialen Schieflage. Eine Bedienung ländlicher Räume wird von ÖPNV-Aktivistinnen und -Aktivisten immer wieder angemahnt, ist aber nach wie vor unzureichend.

Doch Anbieter werben nicht nur mit Umweltaspekten, sondern – wie etwa Clevershuttle, mit dem Motto „sharing is caring“ – auch mit der sozialen Einbettung ihrer Dienstleistung. Im Gegensatz zum anonymen ÖPNV und dem isolierten Individualverkehr, sei Mikrotransit sozial und lokal verankert. Zudem sind im deutschen Mikrotransit-Bereich die meisten Arbeitnehmer, anders als bei Plattformen wie Uber, regulär angestellt. Mit einer weiteren Ausdehnung des Sektors und dem Einstieg kommerzieller Anbieter kommt es auf eine durchdachte Regulierung an, um Sozialstandards aufrecht zu erhalten.

Monopolkommission (2017): Einundzwanzigstes Hauptgutachten der Monopolkommission 2016. Drucksache 18/9860. Stellungnahme der Bundesregierung. = Deutscher Bundestag 18. Wahlperiode: Drucksache 18/13121 vom 07.07.2017. URL: http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/18/131/1813121.pdf.
Abrufdatum: 10.11.2021

Rayle, Lisa; Dai, Danielle; Chan, Nelson; Cervero, Robert and Susan Shaheen (2016): Just a Better Taxi? A Survey-Based Comparison of Taxis, Transit, and Ridesourcing Services in San Francisco. Transport Policy 45, 168–178.

Rebler, Adolf (2014): Unmoderne Regelungswut oder berechtigte Kontrolle: Genehmigungen nach PbefG in Zeiten von Uber und WunderCar. ifo Schnelldienst 67, 8–12.

Werckmeister Garcí, Nicolás (2018): Microtransit for urban mobility: analysis, case study, pro-posal and potential environmental impacts. Escola Tècnica Superior d’Enginyeria Industrial de Barcelona. URL: https://upcommons.upc.edu/handle/2117/123230
Abrufdatum: 10.11.2021

Wissenschaftlicher Beirat beim Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur (2017): Die Chancen der Digitalisierung im Taximarkt nutzen: Liberalisieren und Verbraucherschutz stärken. URL:
https://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Anlage/G/wissenschaftlicher-beirat-gutachten-2017-3.pdf?__blob=publicationFile
Abrufdatum: 10.11.2021

Zitierweise
Lukas Adolphi und Wladimir Sgibnev (2021): Mikrotransit – ein wachsendes Mobilitätsphänomen. In: Nationalatlas aktuell 15 (12.2021) 8 [01.12.2021]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL). URL: http://aktuell.nationalatlas.de/mikrotransit-8_12_2021-0-html/

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