Wenn wir ehrlich sind, glauben heute sogar die meisten Kinder nicht mehr wirklich an den Osterhasen. Und dennoch wird das Osterfest jedes Jahr mit großer Freude nicht nur vom christlichen Teil der Bevölkerung begangen. Kinder suchen an jedem Sonntag nach dem ersten Frühlingsvollmond nach Süßigkeiten, kleinen Spielsachen und vor allem nach bunt bemalten Eiern, gebracht vom wahrscheinlich beliebtesten Wildtier aller Zeiten: dem Osterhasen. Wieso hält sich dieser Brauch auch in unseren aufgeklärten Zeiten so hartnäckig?

Bräuche wie das Osterfest haben vielerlei Funktionen. Zum einen strukturieren sie das Jahr und bieten Orientierung und Sicherheit in unsicheren Zeiten wie aktuell der unseren mit Corona-Pandemie und einem Krieg in Europa. Vor allem Kinder sind dabei tagelang erfüllt von großer Vorfreude. Gerade das Osterfest regt dabei die Kreativität und Fantasie der Kinder an: Da kommt ein niedlicher Hase in den Garten und versteckt Eier! Wie geheimnisvoll: Wieso keine Henne? Und wieso Eier und nicht zum Beispiel Äpfel?

Hase, Fuchs, Kuckuck – oder doch vielleicht der Auerhahn?
Dabei war es längst nicht immer der Hase, der die Eier gebracht hat – das war früher von Gegend zu Gegend verschieden. In der Schweiz hat wohl der Kuckuck die Ostereier gebracht, und in Australien erzählt man sich vom Oster-Bilby, also dem bedrohten Großen Kaninchennasenbeutler, der so mehr Aufmerksamkeit und Schutz erfahren soll. Auf dem hier abgebildeten Kartenausschnitt aus dem Atlas der deutschen Volkskunde von 1937 kann man sehen, dass die damals befragten Kinder neben grünen und roten Hasen zum Beispiel auch Hahn, Henne, Fuchs, Auerhahn und sogar das Christkind für den bunten Spaß zum Frühlingsanfang verantwortlich machten. Wer die Eier gebracht haben soll, ist regional verschieden. In Bayern und Thüringen geben die Kinder vermehrt den Hahn an, im Teutoburger Wald den Fuchs, und in der Kölner Bucht stehen die Eier für die „von Rom heimkehrenden Glocken“.

Die Karte ist allerdings kritisch zu betrachten. Denn es handelt sich beim Atlas der deutschen Volkskunde laut dem Kulturwissenschaftler Friedemann Schmoll um „methodisch schwierige[n] und ideologisch […] nicht unproblematische[n] Daten“ – dies schon „aufgrund der Zusammenhänge zwischen Raum, Volk und Kultur“ (Schmoll 2019, S. 29 ff.). Auch methodologisch steht der Atlas auf wackligen Beinen: Binnen kürzester Zeit mussten 20.000 Gewährsleute per Fragebogen befragt werden, was rein personell eine Zusammenarbeit zwischen „professionellen Wissenschaftlern und Amateuren“ (Schmoll 2019, S. 34) notwendig machte. Die Gewährsleute waren zumeist Lehrer oder Pfarrer, deren Antworten von den je eigenen Eindrücken des Alltagslebens ihrer Mitmenschen geprägt sind. Die vorgefertigten Fragen und die Visualisierung der Antworten bilden diese subjektiven Färbungen jedoch nicht ab, sondern suggerieren eine kulturräumliche Einheitlichkeit.

Bei aller Kritik zeugt die vorliegende Karte aber doch recht eindeutig vom schon damals weitverbreiteten Mythos des eierbringenden Hasen.

Wieso eigentlich ein Hase?
Wieso bringt ausgerechnet ein Hase Eier? In der christlichen Ikonografie ist das Ei ein Sinnbild für die Auferstehung Christi, die aufgebrochene Schale gilt manchen für das leere Grab am Morgen des Ostersonntags. Gefärbte Eier werden für Deutschland erstmals im 13. Jahrhundert erwähnt. Der Hase wiederum findet erstmals im Jahr 1682 in der Dissertation des Frankfurter Arztes Johannes Richier Erwähnung, und zwar als „eine Fabel, die man Einfältigen und Kindern aufbindet“ (Richier 1682, S. 6). Vielleicht lag es daran, dass Hasen und andere Tiere sich nach dem Winter auf Futtersuche bis in die Gärten trauten. Weil sie dann so flink wieder weg waren, konnte man den Kindern gut erklären, warum sie sie beim vermeintlichen Eierverstecken nicht gesehen haben. Eine Theorie könnte sein, dass nach der Reformation im 16. Jahrhundert Ostern von einer rein kirchlichen Veranstaltung immer mehr zu einem bürgerlichen Fest wurde, bei dem auch erzieherische Aspekte eine größere Rolle spielten. Man hat sich immer mehr der Kindererziehung zugewandt und deshalb für diese Feste Rituale erdacht, die sich an solche Mythen wie den Osterhasen knüpfen. Ein anderer Grund mag sein, dass Hase und Ei Symbole für Zeugungskraft und Fruchtbarkeit waren. Aber eine erschöpfende Antwort gibt es nicht, sondern viele verschiedene Mythen, Erzählungen und Herkunftsgeschichten, die sich mit der Zeit zu einer Leiterzählung verdichteten. Gewiss ist nur, dass der heutige Osterhase erst im 20. Jahrhundert populär wurde, durch Bücher wie „Die Häschenschule“ von 1924 und ab den 1950ern durch die Schokoladenindustrie.

Und heute?
Kulturwissenschaftlich ist die Frage, welches Tier in welcher Region die Eier bringt, wenig bedeutsam. Das sagt weniger über die regionalen Eigenheiten der Bayern oder Niedersachsen etwas aus als über die regionale Verbreitung von Erzählungen und deren Verdrängung durch populäre Medien. Denn der Osterhase hat dieses Rennen sowieso gewonnen, der Schokoladenindustrie sei Dank. Interessanter ist hingegen, welche Funktionen der Mythos vom eierbringenden Tier und der Ostereiersuche hatte. Und diese Frage bleibt aktuell: Bräuche sind wichtig, um die Fantasie der Kinder anzuregen und soziale Beziehungen in der Familie zu stärken – Eier zu bemalen, Spiele zu erfinden und Geschenke zu erhalten. Das alles trägt dazu bei, den Jahreszeitenwechsel im sozialen Gefüge verstehen zu lernen und mit Sinn zu belegen.

Atlas der deutschen Volkskunde. Lieferung 2, herausgegeben mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft von Heinrich Harmjanz und Erich Röhr 1937.

Richier, Johannes (1682): Disputatione ordinaria disquirens de ovis paschalibus/von Oster-Eyern. Heidelberg (= Satyrae Medicae. Bd.  XVIII).

Schmoll, Friedemann (2019): Erbe, Altpapier, Archiv? Fragen an den Nachlass „Atlas der deutschen Volkskunde“. In: Klingner, Jens u. Merve Lühr (Hrsg.): Forschungsdesign 4.0. Datengenerierung und Wissenstransfer in interdisziplinärer Perspektive, S. 28–44. Dresden.

Wer bringt und legt nach Meinung der Kinder die Ostereier? [Karte]. In: Atlas der deutschen Volkskunde. Lieferung 2, Blatt 32, herausgegeben mit Unterstützung der Deutschen Forschungsgemeinschaft von Heinrich Harmjanz und Erich Röhr 1937.

Bildnachweis
Ostereier; V. Bode © IfL

Zitierweise
Bürkert, Karin (2022): Wer glaubt denn noch an den Osterhasen …. In: Nationalatlas aktuell 16 (04.2022) 3 [11.04.2022]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL). URL: https://aktuell.nationalatlas.de/ostern-3_04_2022-0-html/

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Dr. Karin Bürkert
Akademische Oberrätin
Eberhard Karls Universität Tübingen
Ludwig-Uhland-Institut für
Empirische Kulturwissenschaft
Burgsteige 11
72070 Tübingen
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