Die Uhrenindustrie in Deutschland ist eine räumlich hoch konzentrierte Branche, deren historische Entwicklungsschwerpunkte auch nach fast 300 Jahren noch gut erkennbar sind: der südliche Schwarzwald, der nördliche Rand des Schwarzwaldes mit Pforzheim als Zentrum sowie Glashütte im Osterzgebirge. Die aktuelle Karte zeigt die gegenwärtig 164 Unternehmensstandorte mit Ihren rund 3400 Beschäftigen in Deutschland: Neben wenigen Großbetrieben prägen kleine und mittlere Unternehmen diesen Wirtschaftszweig.

Historische Wurzeln
Alle drei räumlichen Schwerpunkte existieren bereits seit dem 18. (Schwarzwald) bzw. 19. Jahrhundert (Glashütte) als sogenannte Industriedistrikte (regionale Produktionsnetzwerke, die auf einen gemeinsamen Absatzmarkt ausgerichtet sind). Hier wie dort wurden in einer handwerklichen Hausproduktion Uhren in Arbeitsteilung hergestellt. Im Schwarzwald gab es 1845 bereits 5500 hauptberufliche Uhrmacher bzw. Zulieferer (Wahr 1990, S. 15). Im selben Jahr begann In Glashütte dagegen erst die Produktion von Uhren, gegründet durch den Dresdner Uhrmacher Ferdinand Adolf Lange. 50 Jahre später gab es in Glashütte 50 Betriebe mit etwa 300 Beschäftigten (Neiberger 2001, S. 166).

Allerdings unterschieden sich die hergestellten Produkte deutlich. Im Schwarzwald wurden einfache, von Gewichten angetriebene Wanduhren hergestellt, die im 18. Jahrhundert noch vollständig aus Holz bestanden. Ab Mitte des 19. Jahrhunderts wurden dann mehrheitlich die Holzwerke durch einfache metallene Räderwerke auf Holzplatinen ersetzt. In Glashütte dagegen war Lange angetreten, technisch innovative Taschenuhren herzustellen, was ihm so gut gelang, dass sie schon bald zu einer Konkurrenz für die hochwertigen Schweizer Uhren wurden. Damit waren technologische Entwicklungspfade (hinsichtlich der Art der Produkte, ihrer technischen Ausstattung sowie der Preislage) der Regionen schon sehr früh angelegt, die lange Zeit Bestand hatten.

Industrielle versus handwerkliche Uhrenherstellung
Die Industrialisierung bedeutete für die Uhrenregionen insofern eine veränderte Rahmenbedingung, als dass damit eine wachsende Konkurrenz von preiswerteren Produkten aus dem Ausland auf den deutschen Markt gelangte. So überschwemmten seit 1870 einfache Wanduhren amerikanischer Bauart, sog. Cottage-Clocks (mit Federantrieb, maschinell gestanzter Messingplatine und maschinell gestanzten Rädern) den Markt. Dadurch waren die in Handarbeit gefertigten Schwarzwälder Uhren sowohl in Qualität als auch bezüglich der Herstellungskosten nicht mehr wettbewerbsfähig. Die Folge war auch im Schwarzwald eine Umstellung der bisher handwerklich geprägten Produktion auf eine industrielle Produktion, wobei die Konzentration auf einfache, preiswerte Großuhren bestehen blieb. Dies führte zu starken Umstrukturierungsprozessen an den Standorten, die von Betriebsaufgaben, Verschwinden der Heimarbeit sowie der Entstehung industriell fertigender Unternehmen geprägt waren. Hieraus gingen in den folgenden Jahrzehnten überaus erfolgreiche Großunternehmen der Massenproduktion wie beispielsweise Junghans hervor. Diese Unternehmen hatten es verstanden die Neuerungen umzusetzen, ihre Produktivität zu steigern und eigene Produktinnovationen hervorzubringen.

In Glashütte hatte die handwerkliche Produktion hochwertiger Taschenuhren dagegen noch weitere 60 Jahre Bestand gehabt, da bis dahin eine maschinelle Produktion von Uhrenteilen auf diesem Qualitätsniveau nicht möglich war. Aber Anfang des 20. Jahrhunderts kamen dann auch sehr hochwertige und trotzdem maschinell gefertigte Uhren aus der Schweiz auf den deutschen Markt. Damit waren die handwerklich gefertigten Glashütter Uhren nicht mehr wettbewerbsfähig. Ebenso hatte man in Glashütte eine Umstellung auf jetzt stark nachgefragte Armbanduhren versäumt. Die notwendigen Umstrukturierungsprozesse wurden eingeleitet, jedoch nun nachhaltig durch die Weltwirtschaftskrise erschwert, so dass nur sehr wenige Unternehmen in Glashütte zu Beginn des 2. Weltkriegs noch konkurrenzfähig waren.

Quarzuhrentechnologie verändert den Markt
In den Kriegsjahren wurde gezwungenermaßen auf Rüstungsproduktion (z.B. Zeitzünder) umgestellt. Nach dem Krieg gelang es den Unternehmen an beiden Standorten, die Produktion von Groß- wie auch Kleinuhren erfolgreich wieder aufzubauen. Aber zum zweiten Mal in ihrer Geschichte wurde die deutsche Uhrenproduktion in den 1970er Jahren durch Innovationen aus dem Ausland unter Druck gesetzt. Die Quarzuhrentechnologie wurde von US-amerikanischen Elektronikkonzernen entwickelt und auf den Markt gebracht. Wenig später folgten japanische Unternehmen. Vorteile waren eine kostengünstigere und rationellere Produktion. Allerdings handelte es sich um eine völlig neue Technologie, die von den Uhrenherstellern adaptiert werden musste. Eine Umstellung erfolgte in Deutschland daher eher spät und ging mit hohen Arbeitsplatzverlusten und Unternehmensaufgaben einher. Trotz späterer Neuentwicklungen (z.B. Funkuhren) gingen die deutschen Unternehmen aus dieser Krise geschwächt hervor. Die Uhrenindustrie in Glashütte wurde nach der deutschen Einheit von der Treuhand sogar als nicht sanierungsfähig eingestuft.

Renaissance der mechanischen Uhr im Luxussegment
Auf dem Weltmarkt allerdings erlebten die hochwertigen mechanischen Uhren in den 1990er Jahren eine Renaissance. Dadurch konnten Unternehmen in Glashütte an die alte Tradition der Herstellung von mechanischen Luxusuhren anknüpfen. Vorreiter waren der Urenkel des Firmengründers von 1845 (Ferdinand Adolph Lange) sowie zwei Unternehmer aus Westdeutschland, die das noch vorhandene Potential an Uhrmachern in Glashütte sowie den Wert des Ortsnamens erkannten. Später folgten weitere Unternehmen, die mehr oder weniger mit der Glashütter Uhrenhistorie verbunden sind, heute aber alle erfolgreich diesen Namen vermarkten (Grafik 2). Ein Industriedistrikt ist nicht wieder entstanden, wohl aber eine wirtschaftlich prosperierende Region. Grafik 1 spiegelt die gegenläufige Beschäftigtenentwicklung nach der deutschen Einheit in West- und Ostdeutschland wider: Erklärt werden kann dies mit den eingeschlagenen technologischen Entwicklungspfaden, dem Wirken sich mehrmals verändernder Rahmenbedingungen sowie die Fähigkeit von Unternehmern, sich diesen anzupassen.

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Bildnachweis
Montage des Laufwerks beim Automatikkaliber; © NOMOS Glashütte

Zitierweise
Neiberger, Cordula (2014): Uhrenherstellung in Deutschland. In: Nationalatlas aktuell 8 (12.2014) 10 [12.12.2014]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL). URL: http://aktuell.nationalatlas.de/Uhrenherstellung.10_12-2014.0.html

Prof. Dr. Cordula Neiberger
Rheinisch-Westfälische Technische
Hochschule Aachen (RWTH)
Geographisches Institut
Templergraben 55
52056 Aachen
Tel.: (0241) 80 96060
E-Mail: neiberger@geo.rwth-aachen.de