Bereits vor 1945 ließ sich innerhalb der heutigen Grenzen der Bundesrepublik Deutschland ein von Westen nach Osten ansteigender Gradient beim regionalen Niveau der nichtehelichen Geburten beobachten (Klüsener/Goldstein 2009). Dies wird auf konfessionelle Unterschiede, Differenzen bei der Säkularisierung und politische Einflussfaktoren zurückgeführt. Während der deutschen Teilung haben sich die Unterschiede weiter verstärkt (Graphik), wofür u.a. die Familienpolitik in den beiden deutschen Staaten verantwortlich gemacht wird. So privilegierte die DDR-Familienpolitik zeitweise ledige Mütter gegenüber verheirateten, indem beispielsweise unverheiratete Frauen schon mit der Geburt des ersten Kindes das 1976 eingeführte „Babyjahr“ in Anspruch nehmen konnten, verheiratete Frauen jedoch bis 1986 erst ab der Geburt des zweiten Kindes (Konietzka/Kreyenfeld 2002). Die westdeutsche Politik setzte dagegen durch das Steuersystem und eine rechtliche Benachteiligung nichtehelicher Kinder Anreize, Kinder innerhalb einer Ehe zu bekommen. Nach der deutschen Einheit wurden die westdeutschen sozialpolitischen Rahmenbedingungen auf Ostdeutschland übertragen. Viele Beobachter waren überrascht, dass in der Folge die Nichtehelichenquote (Glossar) im Osten nicht zurückging, sondern auf hohem Niveau verharrte. Nach der Reform des Kindschaftsrechts im Jahr 1998, welche viele rechtliche Benachteiligungen für nichteheliche Kinder und ledige Elternteile beseitigte, ist in Westdeutschland eine steigende Nichtehelichenquote zu beobachten. Auch Ostdeutschland verzeichnete wieder einen deutlichen Anstieg.
Sozialpolitik, Säkularisierung, Individualisierung und nichteheliche Elternschaft
Mit dem Anstieg der nichtehelichen Geburtenzahlen folgt Deutschland einer europäischen Entwicklung, die etwa Mitte der 1960er Jahre einsetzte. In allen Staaten ist der Anstieg der Nichtehelichenquote ein Zeichen eines grundlegenden Wandels der Familienstrukturen. Dieser wird auch durch eine zunehmende Säkularisierung und Individualisierung beeinflusst. Die enge Kopplung von Heirat und Elternschaft, die auch als „kindorientierte Eheschließung“ tituliert wurde, wird sukzessiv durch plurale Familienbildungsprozesse ersetzt.
Es ist von entscheidender Bedeutung, dass der Anstieg der Nichtehelichenquote nicht mit einem Anstieg allein erziehender Elternschaft gleichzusetzen ist. Die Mehrzahl der Frauen, die bei der Geburt ihres Kindes unverheiratet ist, lebt mit einem Partner zusammen. Dies gilt insbesondere für Ostdeutschland, wo nichteheliche Lebensgemeinschaften mit Kindern weit verbreitet sind. Für die Analyse der sozialen Determinanten unverheirateter Elternschaft spielt die Unterscheidung von allein Erziehenden und Personen in nichtehelichen Lebensgemeinschaften eine zentrale Rolle (Konietzka/Kreyenfeld 2005). In Ost- wie auch in Westdeutschland sind allein erziehende Mütter jünger, auch sind sie zumeist schlechter qualifiziert als verheiratete Mütter. Vergleicht man dagegen verheiratete Mütter und unverheiratete Mütter, die mit einem Partner zusammen leben, erkennt man weniger große Unterschiede in der sozialstrukturellen Komposition der beiden Gruppen. Inwiefern unverheiratete Elternschaft auf eine soziale Problemlage und damit auf sozialpolitischen Handlungsbedarf hinweist, ist Teil aktueller und kontrovers diskutierter Forschungsfragen.
Regionale Unterschiede
Wie Karte 1 verdeutlicht, lässt sich weiterhin zwischen den alten und neuen Ländern eine klare Grenzlinie hinsichtlich des Niveaus der nichtehelichen Geburten erkennen. In Ostdeutschland liegt die Nichtehelichenquote im Jahr 2007 bei 57% (1996 rd. 39%), wobei auf der Kreisebene die Werte zwischen 40% und knapp über 70% schwanken. Den mit deutlichem Abstand geringsten Wert verzeichnet dabei der katholisch geprägte thüringische Kreis Eichsfeld mit 40,2%. Das zweitniedrigste Niveau lässt sich in der Hauptstadt Berlin mit 47,3% beobachten, in welcher der Westteil mit ca. 38% weiterhin eine vergleichsweise geringe Nichtehelichenquote hat (Graphik).
In Westdeutschland wird etwa jedes vierte Kind nichtehelich geboren (1996 etwa jedes sechste), wobei die Werte auf der Kreisebene zwischen 14,7% und 45,8% liegen. Dabei weisen Nordwestdeutschland und das östliche Niedersachsen ein etwas höheres Niveau auf. Die geringsten Werte finden sich derzeit in Württemberg und in zentralen Regionen Bayerns.
Karte 2 zeigt, um wie viele Prozentpunkte die Nichtehelichenquote in der Zeit zwischen 1996 und 2006 gestiegen ist. Sie verdeutlicht, dass insbesondere die Großräume Frankfurt a.M., Stuttgart und München oder auch das weitere Umland von Berlin den geringsten Anstieg verzeichneten.