In unserer leistungsorientierten Gesellschaft beeinflusst der Schulabschluss eines jungen Menschen maßgeblich den Zugang zur weiteren Ausbildung und ist damit auch eine entscheidende Weichenstellung für die zukünftig im Erwerbsleben erreichbare Berufsposition. In der Öffentlichkeit stehen meist die Abiturientenquoten oder die Studienanfängerzahlen im Vordergrund des Interesses. Es darf jedoch nicht außer Acht gelassen werden, dass im Jahr 2012 immerhin 5,5 Prozent aller Schulabgänger und damit rund 48.000 Jugendliche (StBA 2014) aus den allgemeinbildenden Schulen das Schulsystem ohne Hauptschulabschluss und damit ohne einen Schulabschluss verlassen haben.
Markante Unterschiede in den Ländern
Eine allgemeinbildende Schule ohne einen Abschluss zu verlassen, kann verschiedene Gründe haben, da diese Jugendlichen zuvor auch sehr unterschiedliche Schularten besucht haben. Im bundesdeutschen Durchschnitt gingen 52 Prozent der Schulabgänger ohne Hauptschulabschluss zuvor auf eine Förderschule, viele von ihnen mit den Förderschwerpunkten Lernen oder Geistige Entwicklung. Diese werden auf einem niedrigeren schulischen Anforderungsniveau unterrichtet und erreichen häufig keinen Hauptschulabschluss. In einigen Ländern ist der Erwerb eines Hauptschulabschlusses an der Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen nicht möglich. Besonders hohe Anteile aus Förderschulen wiesen 2012 alle neuen Länder auf (zwischen 77 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern und 56 Prozent in Thüringen, aber auch in Baden-Württemberg kamen 57 Prozent dieser Abgänger aus einer Förderschule; siehe Autorengruppe Bildungsberichterstattung, Tab. D7-2A). Der andere Teil der Jugendlichen ohne Schulabschluss besuchte zuvor überwiegend eine Hauptschule.
Institutionelle Bedingungen
Eine wichtige Entscheidung wird somit bei der Zuteilung der Schülerinnen und Schüler in die jeweilige Schulart getroffen: Für Kinder in Förderschulen ist die Wahrscheinlichkeit deutlich höher, höchstens einen Hauptschulabschluss zu erreichen oder ohne Schulabschluss entlassen zu werden. Diese Zuteilungen sind nicht frei von landesspezifischen und institutionellen Randbedingungen und schwanken 2012/13 zwischen Förderquoten von elf Prozent in Mecklenburg-Vorpommern und fünf Prozent in Rheinland-Pfalz (Autorengruppe Bildungsberichterstattung 2014, S. 179). Zudem unterliegen sie zum Teil dem bildungspolitischen oder bildungsplanerischen Ziel, eine bestimmte Schulart auch bei sinkenden Schülerzahlen an einem bestimmten Standort zu erhalten. Dass dadurch in einigen Ländern oder Regionen bei mehr Schülerinnen und Schülern ein Förderbedarf diagnostiziert wird als in anderen Regionen, muss äußerst kritisch beurteilt werden. Diese Problematik würde sich bei einer stärkeren Inklusion von Kindern mit Förderbedarf in Regelschulen verringern. Mit diesen Überlegungen muss auch Karte 1 interpretiert werden, in der die alte Grenze zwischen Ost- und Westdeutschland noch zu bestehen scheint.
Vergleich 1997 und 2012
In immerhin 25 Kreisen verließen 2012 mehr als zehn Prozent der Abgänger/innen aus dem allgemeinbildenden Schulsystem die Schule ohne Hauptschulabschluss. Bemerkenswert sind die markanten regionalen Unterschiede, die auf unterschiedliche bildungspolitische Vorgaben in den Ländern hinweisen (vgl. Grafik 1). Kleinräumige Unterschiede müssen mit Vorsicht interpretiert werden, da die Schüler/innen am Schulort ihrer Entlassung und nicht an ihrem jeweiligen Wohnort erfasst werden, sodass Landkreise und kreisfreie Städte mit großen Förderschulen teilweise deutlicher hervortreten. Im zeitlichen Vergleich von 1997und 2012 lagen die Quoten Ende der 1990er Jahre in zahlreichen Landkreisen und kreisfreien Städte der alten Länder (bis auf Nordrhein-Westfalen) noch bei über zehn Prozent (bei einem bundesdeutschen Mittelwert von 9,1 Prozent), während sie 15 Jahre später deutlich zurückgegangen sind. Grafik 2 verdeutlicht den deutschlandweiten Rückgang zwischen 1998 und 2012.
Besonders betroffene Gruppen und Regionen
Wer sind diese jungen Menschen, die ohne einen Schulabschluss ins Erwerbsleben starten? Grafik 1 und Karte 2 zeigen, dass sie weitaus häufiger männlich als weiblich sind und dass dieser – schon sehr lange bestehende – Unterschied sich nur langsam abmildert. Der Abstand zwischen Jungen und Mädchen ohne Hauptschulabschluss entspricht derzeit einem Verhältnis von etwa 3:2. Es ist auch zu erkennen, dass einzelne Kreise aufgrund der o.g. statistischen Zuordnung der Schüler/innen zum Schulort besonders auffallen, wenn sie über große Förderschulen mit ganz bestimmten Förderschwerpunkten verfügen (besonders bezüglich höherer Anteile an Mädchen).
Noch weitaus größer als die Geschlechterunterschiede sind die Unterschiede zwischen deutschen und ausländischen Kindern. Sowohl für Jungen als auch für Mädchen liegt das Verhältnis derzeit bei 1:2, d.h. der Anteil der ausländischen Kinder, die ohne Hauptschulabschluss die Schule verlassen, ist doppelt so hoch wie bei den deutschen Kindern. Inwieweit diese Differenz sprachlichen Defiziten, sozialen Ungleichheiten oder anderen Ursachen zuzuschreiben ist, kann an dieser Stelle nicht diskutiert werden. Fest steht aber, dass ausländische Schülerinnen und Schüler eine Förderschule mit dem Schwerpunkt Lernen deutlich häufiger besuchen als deutsche. Auch hier ist über den Zeitverlauf eine leichte Annäherung erkennbar.
Besonders ungünstige Chancen haben die Kinder, bei denen beide Merkmale zusammentreffen: Ausländische Jungen verlassen deutschlandweit zu 13,3 Prozent die Schule ohne Abschluss, wohingegen dies nur auf 3,9 Prozent der deutschen Mädchen zutrifft. Vor diesem Hintergrund lohnt sich erneut ein Blick auf den Ländervergleich in Grafik 1: Bedenklich sind die hohen Anteile von Jugendlichen ohne Schulabschluss in den neuen Ländern, in denen jedoch nur sehr wenige ausländische Kinder leben, und die niedrigen Anteile beispielsweise in Hessen und Baden-Württemberg, wo deutlich mehr ausländische Kinder die Schule besuchen. Die in den Karten aufgedeckten Disparitäten sollten die Verantwortlichen in der Bildungspolitik zum Nachdenken anregen. Regionalanalysen könnten zudem dazu beitragen, den landesspezifischen Ursachen auf den Grund zu gehen.
Aktueller Handlungsbedarf
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass derzeit in einzelnen Regionen Deutschlands noch mehr als zehn Prozent der Jugendlichen ohne Schulabschluss aus dem allgemeinbildenden Schulsystem entlassen werden. Dabei sind die regionalen Unterschiede innerhalb Deutschlands beträchtlich. Diese jungen Menschen, die 2012 die Schule ohne Abschluss verließen, haben nur sehr geringe Aussichten auf einen Ausbildungsplatz und sind meist auf angelernte, oft niedrig entlohnte und krisenanfällige Arbeitsplätze angewiesen. Ein hoher Anteil Jugendlicher ohne Abschluss – und damit auch ohne befriedigende berufliche Perspektiven – stellt nicht nur das Bildungssystem bezüglich seines Erfolgs in Frage, sondern besitzt auch soziale Brisanz. Nicht wenigen dieser Jugendlichen gelingt es, an beruflichen Schulen einen Hauptschulabschluss nachzuholen. Daher stellt sich die Frage, inwieweit es mit einer früheren praxisnahen Ausbildung möglich wäre, die Zahl der Schulabgänger ohne Abschluss zu verringern. Die Integration dieser jungen Menschen in den Ausbildungs- und Arbeitsmarkt ist von großer Wichtigkeit – nicht zuletzt um den künftigen Fachkräftebedarf zu verringern – und stellt damit auch aus gesellschaftlicher Perspektive eine besondere Herausforderung für die Bildungssysteme der Länder dar.