Die Zahl der Suizidsterbefälle ist in den letzten drei Jahrzehnten deutlich zurückgegangen. 2007 nahmen sich 9.402 Menschen das Leben – darunter zu drei Vierteln Männer. Die aktuelle Deutschlandkarte belegt: Die höchsten Mortalitätsraten weisen Regionen in Sachsen und Bayern auf. Neben räumlichen Mustern sind auch altersspezifische Unterschiede erkennbar.

Suizid, häufig auch mit den Begriffen „Freitod“, „Selbsttötung“ oder „Selbstmord“ gleichgesetzt (Glossar), ist in großen Teilen der Gesellschaft ein Tabuthema. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO 1999) gibt es jährlich weltweit etwa eine Million Suizidsterbefälle. In Deutschland waren es 9.402 Menschen, die sich 2007 das Leben nahmen; das sind umgerechnet 1,1% aller Todesfälle. Bei den unter 30-Jährigen ist sogar jeder vierte Tod die Folge eines Suizidversuchs (Fiedler 2007).

Suizidsterbefälle rückläufig
Seit Jahrzehnten sind die Zahlen der Suizidsterbefälle rückläufig. So ist die suizidbezogene standardisierte Sterbeziffer, auch als standardisierte Mortalitätsrate (SMR) bezeichnet (Glossar), seit 1980 um deutlich mehr als 50% gesunken. Der Rückgang ist sowohl bei den Frauen als auch bei den Männern zu beobachten. Gleichzeitig steigt das durchschnittliche Sterbealter, das derzeit bei Frauen 59,7 und bei Männern 53,5 beträgt (Graphik 1).

Unter Berücksichtigung aller Todesursachen rangieren die Todesfälle aufgrund von Erkrankungen des Kreislaufsystems mit erheblichem Abstand an erster Stelle, während die Sterbefälle aufgrund „vorsätzlicher Selbstbeschädigung“ eher nachrangig sind (Graphik 2), auch wenn von einer hohen Dunkelziffer ausgegangen werden muss, da sich unter den Todesursachen wie Drogenmissbrauch und Verkehrsunfälle nicht erkannte Suizide verbergen können (Fiedler 2007). Dagegen ist die Zahl der Verkehrstoten mit 5.170 im Jahre 2007 deutlich niedriger als die der Suizide.

Mögliche Faktoren
Die Wahrscheinlichkeit eines Suizids wird von einer Reihe von Faktoren beeinflusst. Dazu gehören u.a. Geschlecht, Alter, Personenstand, Religionszugehörigkeit, Stadt-Land-Unterschiede, Arbeitslosigkeit, soziale Zugehörigkeit bzw. soziale Isolation, jahreszeitliche Einflüsse, Depressionen und Suchtkrankheiten (Bronisch 2002b, Schmidtke u.a. 2000). Bezogen auf den Familienstand sind im Allgemeinen die höchsten Suizidraten bei Geschiedenen zu beobachten (insbesondere bei geschiedenen Männern), „während die Verheirateten die niedrigsten Suizid- und Suizidversuchsraten aufweisen“ (Bronisch 2002a, S. 6). Weiterhin wird ein signifikanter Zusammenhang mit bestehender Arbeitslosigkeit festgestellt.

Geschlechts- und altersspezifische Unterschiede
75% der Menschen, die sich 2007 in Deutschland das Leben nahmen, waren Männer. Besonders gefährdet sind Männer im Alter zwischen 40 und 54 Jahren mit mehr als 12 Selbsttötungen auf 100.000 der jeweiligen Altersgruppe (Graphik 3). Bei den Frauen weisen die 65- bis 69-Jährigen die höchste Rate auf. Betrachtet man die Suizide von Männern und Frauen auf Grundlage der SMR in den einzelnen Ländern, so weisen Sachsen mit fast 20 Suiziden pro 100.000 Männer und Bremen mit knapp neun Suiziden pro 100.000 Frauen die höchsten geschlechtsspezifischen Raten auf (Graphik 4).

Deutliche regionale Unterschiede und räumliche Muster
Innerhalb Deutschlands sind deutliche regionale Unterscheide zu identifizieren. Karte 1 berücksichtigt das arithmetische Mittel der SMR der Jahre 2005, 2006 und 2007 nach der neuen Europastandardbevölkerung (Glossar). Danach weisen bayerische und sächsische Regionen die höchsten altersstandardisierten Sterberaten auf: Mit 20,9 Suiziden pro 100.000 Einwohner liegt die kreisfreie Stadt Weiden in der Oberpfalz an der Spitze, gefolgt vom sächsischen Landkreis Döbeln (20,2), dem niederbayerischen Landkreis Regen (18,6), der kreisfreien Stadt Kempten im Allgäu (17,6), sowie dem sächsischen Landkreis Freiberg (16,9) (seit 2008 gehören die Kreise Döbeln und Freiberg zum neu gebildeten Landkreis Mittelsachsen).

Auffällig ist ein räumliches Muster, das durch ein Ost-West-Gefälle gekennzeichnet ist, mit geringer Suizidsterblichkeit in Sachsen-Anhalt, insbesondere im Vergleich zu den Nachbarländern Sachsen und Thüringen. Im zeitlichen Vergleich 1997 und 2007 ist die Verlagerung der höheren Sterberaten in den Südosten Deutschlands besonders auffällig – bei insgesamt deutlich niedrigeren Quoten (Karte 2). Die Gegenüberstellung der beiden Karten verdeutlicht, dass Sachsen-Anhalt 1997 mit einer Quote von 16,5 noch zu den Ländern mit den höchsten Mortalitätsraten zählte und 2007 mit 5,1 die niedrigste aufweist – auch geschlechtsspezifisch sowohl bei den Männern mit einer SMR von 8,2 als auch bei den Frauen mit einer Quote von 2,1 (Graphik 4). Erklärungsansätze dieser Entwicklung bieten möglicherweise die landes- und altersspezifischen Ab- und Zuwanderungen der vergangenen Dekade.

Fazit
Während in Europa nicht nur ein Ost-West-, sondern auch ein Nord-Süd Gefälle bei den Suizid-Mortalitätsraten vorliegt (Bronisch 2002), hat sich in Deutschland ein Ost-West-Gefälle herausgebildet, das bereits seit Anfang des 19. Jhs. auf der Basis höherer Raten für den Osten Deutschlands nachweisbar ist; eine Ausnahme bildet Sachsen-Anhalt, das traditionell eine sehr hohe Suizid-Sterblichkeit aufwies und heute das Land mit der diesbezüglich niedrigsten Sterblichkeit ist. Wissenschaftlich belastbare Erklärungsversuche liegen dazu bisher nicht vor.

Insgesamt besteht weiterer Forschungsbedarf dahingehend, die regional-zeitlichen Differenzierungen der Suizid-Sterblichkeit in Deutschland besser zu erklären. Dazu gehören Untersuchungen zu begleitenden Indikatoren wie Arbeitslosigkeit, Scheidungsraten und Religionszugehörigkeit bzw. zu der Frage, inwieweit regional unterschiedliche kulturelle Bewertungen des Suizids in der Gesellschaft eine Rolle spielen.

BRONISCH, Thomas (2002a): Zur Epidemiologie von Suizidalität. In: Bronisch, T. (Hrsg.): Psychotherapie der Suizidalität. Krankheitsmodelle und Therapiepraxis – störungsspezifisch und schulenübergreifend. Stuttgart.

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Zitierweise:
SCHWEIKART, Jürgen u. Nicole UEBERSCHÄR (2010): Deutliche regionale Unterschiede bei Suiziden. In: Nationalatlas aktuell 4 (01.2010) 1 [27.01.2010]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL).
URL:
http://aktuell.nationalatlas.de/Suizidsterbefaelle.1_01-2010.0.html

Prof. Dr. Jürgen Schweikart
Beuth Hochschule für Technik Berlin
Fachbereich III – Bauingenieur- und
Geoinformationswesen
Luxemburger Str. 10
13353 Berlin
Tel. (030) 4504-2038
E-Mail: schweikart@beuth-hochschule.de

Dipl.-Ing. Nicole Ueberschär
Beuth Hochschule für Technik Berlin
Fachbereich III – Bauingenieur- und
Geoinformationswesen
Labor für Geodatenanalyse und
Visualisierung
Luxemburger Str. 10
13353 Berlin
Tel. (030) 4504 2607
E-Mail: ueberschaer@beuth-hochschule.de

Suizid, Sterblichkeit / Mortalität, standardisierte Mortalitätsraten (SMR)

Der Begriff Suizid stammt von den lateinischen Begriffen sui (seiner selbst) und caedium (Tötung), kann also mit „Selbsttötung“ übersetzt werden. Im Mittelpunkt steht das willentliche Handeln mit der Absicht, das eigene Leben zu beenden. Er bezeichnet eine „auf einen kurzen Zeitraum begrenzte absichtliche Selbstschädigung, von der der Betreffende, der diese Handlung begeht, nicht wissen konnte, ob er sie überleben wird oder nicht“ (Stengel 1970, zitiert nach Bronisch 2002b, S. 11).

Die Sterblichkeit, auch als Mortalität bezeichnet, ergibt sich aus dem Verhältnis der in einer bestimmten Zeitspanne Gestorbenen zur Einwohnerzahl. Das einfachste Maß ist die rohe Sterbeziffer, welche die Zahl der Todesfälle auf 1000 der durchschnittlichen Bevölkerungszahl (i.d.R. zur Jahresmitte) bezieht. In Regionen mit einem überproportionalen Anteil älterer Menschen ist die Zahl der Sterbefälle auf 1000 Einwohner aufgrund der Altersstruktur der Bevölkerung höher als in Gebieten mit mehr jungen Menschen.

Daher ist für räumliche und zeitliche Vergleiche eine Altersstandardisierung vorzunehmen, die in standardisierte Mortalitätsraten (SMR) mündet. Hierzu werden die altersspezifischen Sterberaten der zu vergleichenden Bevölkerungen mit der Altersstruktur einer Standardbevölkerung gewichtet (direkte Altersstandardisierung). Zur Altersstandardisierung stehen verschiedene Standardbevölkerungen zur Verfügung, wie die Standardbevölkerung Deutschland 1987 oder die OECD-Standardbevölkerung von 1980.

Im vorliegenden Beitrag wird für die Karten die neue Europastandardbevölkerung von 1990 zur Standardisierung verwendet; aufgrund der unterschiedlichen Altersgruppierung der Daten zu Suiziden in den einzelnen Bundesländern wurde die Europastandardbevölkerung auf fünf Altersgruppen vereinfacht, um die unterschiedlich altersklassifizierten Datenlieferungen der Statistischen Landesämter auszugleichen.