Im ersten Corona-Jahr 2020 stagnierte die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland. Im Vergleich zum Vorjahr wird von einem Rückgang der internationalen Zuzüge um 24 Prozent und der Wegzüge um 22 Prozent ausgegangen (Destatis 2021a). Gleichzeitig nahmen die Sterbefälle um knapp fünf Prozent zu und die Geburten gingen um 0,6 Prozent im Vergleich zu 2019 zurück (Destatis 2021a). Bereits kurz nach dem ersten Shutdown in Deutschland im Frühjahr 2020 setzte eine Diskussion zu der Frage ein, wie die Pandemie die regionale Bevölkerungsentwicklung beeinflusst. Da die internationale, aber auch die interregionale Zuwanderung innerhalb Deutschlands aufgrund von Arbeit und Ausbildung sanken, wurde insbesondere die Frage diskutiert, ob die Corona-Pandemie das Wachstum der Städte gebremst oder sogar unterbrochen hat (Siedentop und Zimmer-Hegmann 2020), während das Stadtumland und ländliche Gebiete profitierten. Ein Blick auf die jüngst veröffentlichten Daten der Kreise und kreisfreien Städte gibt erste Antworten.
Entwicklungen in den kreisfreien Städten
Das Städtewachstum hat sich demnach verlangsamt, manche Städte verloren sogar Bevölkerung. Karte 1 zeigt, dass sich das Bevölkerungswachstum im Jahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr vor allem in den Metropolen, kreisfreien Städten und Großstädten stark abgeschwächt hat. Während 2019 noch 68 Prozent der insgesamt 107 kreisfreien Städte in Deutschland gewachsen sind, waren es 2020 knapp 22 Prozent. Die mittlere Bevölkerungsentwicklung dieser Städte hat sich nach einer starken Wachstumsphase der 2010er Jahre sogar ins Negative gekehrt (Grafik 1). Unter den Großstädten und Metropolen haben Heidelberg, Würzburg, Trier, Chemnitz, Magdeburg, Stuttgart und Karlsruhe am stärksten Bevölkerung verloren wie Grafik 2 zeigt. Dagegen sind Potsdam und Leipzig auch in 2020 vergleichsweise stark gewachsen. Unter den sieben Metropolen (Glossar) verzeichneten nur Hamburg und München Bevölkerungsgewinne, Frankfurt a. M. stagnierte.
Kann man von einer Trendwende sprechen?
Mit Ausnahme der Metropolen hatte sich ein abgeschwächtes Städtewachstum bereits seit 2017 angekündigt (Grafik 1). Mit Blick auf die Großstädte mit den stärksten Bevölkerungsverlusten im Jahr 2020 zeigt sich, dass beispielsweise Magdeburg bereits in den Jahren vor der Pandemie Bevölkerungsverluste verzeichnete, während etwa Heidelberg vor 2020 rasant wuchs, bevor es dann massiv Bevölkerung verlor (Grafik 2). Der Vergleich der Bevölkerungstrends 2015 bis 2019 und der jüngsten Entwicklung im Jahr 2020 offenbart eine große Vielfalt von Trendfortsetzungen und -unterbrechungen (Karte 2). In etwa 21 Prozent aller Kreise setzten sich die Bevölkerungsverluste auch 2020 fort, hauptsächlich in ländlichen Kreisen in Ost- und Mitteldeutschland. Dagegen konnten 42 Prozent aller Kreise ihr Bevölkerungswachstum unvermindert fortsetzen, darunter die ländlichen Kreise Süddeutschlands und der Küstenregionen, das Berliner Umland, städtische Kreise entlang des Rheins, sowie die Großstädte Hamburg, München oder Leipzig.
Im Jahr 2020 weisen 21 Prozent aller Kreise eine Trendunterbrechung im Jahr 2020 auf – die meisten (17 Prozent aller Kreise) von Bevölkerungszuwächsen vor 2020 hin zu Bevölkerungsverlusten. Der Anteil dieses Typs ist unter Städten besonders groß und betrifft jede zweite kreisfreie Großstadt oder Metropole (Karte 2). Dazu zählen Berlin, Dresden, Rostock und Erfurt, der Großteil der Städte im Ruhrgebiet bis hin zu Köln, zahlreiche Städte entlang der Rhein-Neckar-Achse von Mainz nach Stuttgart, sowie Städte in Bayern. Dagegen besteht eine Trendunterbrechung von Bevölkerungsverlusten hin zu -gewinnen im Jahr 2020 lediglich in vier Prozent aller Kreise, was in erster Linie für dünn besiedelte ländliche Kreise in den Küstenregionen oder der Pfalz charakteristisch ist. Für die verbleibenden 16 Prozent aller Kreise war eine Trendunterbrechung von Bevölkerungsverlusten zu -gewinnen (drei Prozent) bzw. von Bevölkerungsgewinnen zu -verlusten (13 Prozent) bereits vor der Pandemie sichtbar. Für letzteren Typ sind in erster Linie kreisfreie Städte und Großstädte charakteristisch wie Bremen, Chemnitz, Essen, Bamberg oder Salzgitter.
Faktor Wanderungsverluste im Corona-Jahr 2020
Mit Blick auf den Wanderungssaldo kann für die Mehrzahl der Städte ein Umschwenken von Wanderungsgewinnen hin zu -verlusten beobachtet werden. Wie Karte 3 zeigt, betrifft dies beispielsweise Berlin, München, Stuttgart, Köln, Frankfurt a. M. oder Heidelberg. Während 2019 nur 14 Prozent aller Städte Wanderungsverluste erlitten, waren es 2020 bereits etwas mehr als die Hälfte (52 Prozent, Karte 3). Dies ist im Wesentlichen durch den starken Einbruch der internationalen Zuwanderung bedingt, von der das Wachstum insbesondere der Großstädte seit mehreren Jahren stark dominiert wird (Wolff u. a. 2020). Ein weiterer Faktor sind die ausbleibenden Zuzüge von Auszubildenden, Studierenden und Berufseinsteigerinnen und -einsteigern. Die Zahl der Zuzüge ist insbesondere in den Metropolen von 2019 auf 2020 um 18 Prozent zurückgegangen, in den nicht-urbanen Kreisen sogar um rund 30 Prozent (Grafik 1). Im Unterschied zu den Städten sind jedoch die Fortzugszahlen in nicht-urbanen Kreisen noch stärker gesunken (31 bis 34 Prozent), in den Metropolen sind die Fortzüge lediglich um acht Prozent zurückgegangen. Damit fällt die Wanderungsbilanz in nicht-urbanen Kreisen deutlich positiver aus, was besonders in Norddeutschland auffällig ist, wie etwa in Vorpommern-Rügen oder entlang der Nordseeküste Schleswig-Holsteins (Karte 3).
Doch auch im Jahr 2019 und davor waren diese Räume neben ländlichen Kreisen Bayerns oder der Pfalz bereits Wanderungsgewinner (Leibert 2019). Unter den kreisfreien Großstädten zählen Heidelberg, Würzburg, Regensburg, Mainz, Stuttgart und Karlsruhe zu den größten Wanderungsverlierern 2020, wobei der Wanderungssaldo in den beiden letztgenannten Städten auch 2019 bereits negativ ausfiel. Dagegen zählen insbesondere Leipzig und Potsdam, welche 2020 nur einen leichten Rückgang der positiven Wanderungsbilanz verzeichneten, zu den Wanderungsgewinnern. Auch die nordrhein-westfälischen Städte Mülheim an der Ruhr, Herne, Remscheid und Hagen zählen zu den Gewinnern, da ihre positiven Wanderungssalden zwischen 2019 und 2020 sogar noch angestiegen sind (Grafik 2).
Faktor Geburtendefizite
Im Jahr 2020 gab es in 90 Prozent aller Kreise mehr Sterbefälle als Lebendgeburten (2019: 85 Prozent, Karte 3) wodurch sich in fast allen Kreisen die natürlichen Bevölkerungsverluste verstärkt haben. Aus Grafik 1 wird deutlich, dass einerseits die Geburtenrate im Durchschnitt bereits seit 2016 in allen Siedlungstypen sinkt. Zum anderen ist die Geburtenrate zwischen 2019 und 2020 insbesondere in den Städten und Metropolen am stärksten und in den dünner besiedelten Kreisen am schwächsten gesunken. Dagegen zeigt der Anstieg der Sterbefälle in allen Siedlungstypen keinen Stadt-Land-Kontrast: Während die Metropolen sowie kleinere kreisfreie Städte einen vergleichsweise geringen Anstieg aufweisen, stieg die Sterberate zwischen 2019 und 2020 insbesondere in den ländlichen Kreisen. Demzufolge verzeichnen 90 bis 100 Prozent aller ländlichen und städtischen Kreise sowie kreisfreien Städte natürliche Bevölkerungsverluste. Lediglich die sieben Metropolen und weitere 14 kreisfreie Großstädte wie etwa München, Frankfurt a. M., Offenbach und Freiburg weisen eine positive Bilanz auf, auch wenn sich die Gewinne abgeschwächt haben (Karte 3).
Von den insgesamt 107 kreisfreien Städten (Metropolen, kreisfreie Großstädte und die übrigen kreisfreien Städte) verbuchten 85 im Jahr 2020 natürliche Bevölkerungsverluste. In den meisten Städten haben sich die Verluste beschleunigt oder von einem positiven natürlichen Saldo 2019 in einen negativen Saldo in 2020 umgekehrt wie etwa in Leipzig, Dresden, Potsdam, Heilbronn und Pforzheim.
Fazit
Die Corona-Pandemie verlangsamte das Städtewachstum und führte teilweise zu Bevölkerungsschrumpfung. Für die Mehrzahl der Städte ist eine Trendunterbrechung erkennbar, die den starken Wachstumsdruck der Großstädte verringern könnte (Rink u. a. 2021). Von einer Trendwende zu sprechen, wäre jedoch verfrüht. Zum einen hat sich das Städtewachstum bereits seit 2017 verlangsamt; zum anderen liegen Langzeitdaten für die Jahre nach 2020 noch nicht vor. Die stark gesunkenen Zuzugszahlen im Jahr 2020 deuten aber zumindest für die Städte auf eine ganz neue Entwicklung hin. Auch wenn die natürliche Bevölkerungsentwicklung in einigen Großstädten 2020 positiv ausfiel, haben sinkende Geburtenraten seit 2016 und eine Überlagerung durch die erhöhten Sterberaten dazu geführt, dass sich die natürlichen Bevölkerungsverluste flächendeckend verschärft haben. Dieser Effekt könnte langfristig erhebliche Konsequenzen für die Bevölkerungsentwicklung in Deutschland haben. Mit Ausnahme der Wanderungsbilanz haben sich viele der hier beschriebenen Entwicklungen für Städte schon vor der Pandemie angedeutet.
Die Pandemie wirkt daher wie ein Brennglas für die regionale Bevölkerungsentwicklung: Sie hat Trends eher verstärkt als verursacht.