Die fortschreitende Digitalisierung verändert räumliche Routinen und bringt neue Arbeits- und Konsumwelten hervor. Besonders der – durch die Covid-19-Pandemie beschleunigte – Trend zum ortsunabhängigen Arbeiten (Homeoffice) und Einkaufen (Onlineshops, Lieferservices) hat erhebliche Auswirkungen auf das städtische Leben und die Nutzung urbaner Zentren. Alltägliche Wege haben sich neu justiert oder sind überflüssig geworden. Leerstände und Geschäftsschließungen sowohl im Fachhandel als auch von Filialisten machen diesen Umbruch sichtbar. Aber auch Kultureinrichtungen sowie das Hotel- und Gaststättengewerbe sind betroffen. Da von einem langfristigen Wandel auszugehen ist, werden neue Konzepte und Strategien für Innenstädte, Stadt- und Ortsteilzentren erforderlich (BMI 2021, Ruess/Božana/Yoga 2021, Vrhovac/Ruess/Schaufler 2021). Das 2021 ausgeschriebene Bundesprogramm „Zukunftsfähige Innenstädte und Zentren“ ist eine Reaktion auf die aktuellen und zukünftigen Umbrüche im Zuge des digitalen Wandels.
Verödung der Innenstädte entgegenwirken, Identifikation stärken
Das vom Bundesministerium des Innern, für Bau und Heimat (BMI) aufgelegte Programm zielt darauf ab, die städtebauliche Neuorientierung in diesem Prozess zu unterstützen und zu begleiten. Vor allem Einzelhandelskonzepte und monofunktionale Orientierungen auf Konsumangebote stehen auf dem Prüfstand. Um die Innenstädte wieder stärker zu beleben und vielfältiger zu gestalten, richtet sich das Bundesprogramm – im Unterschied zu den vorwiegend auf Kaufkraftziffern und marktwirtschaftlich ausgerichteten Zentren- und Einzelhandelskonzepten – stärker auf die sozialen und kulturellen Funktionen (BMI 2021, S. 17). 250 Millionen Euro stehen für funktionale, städtebauliche und immobilienwirtschaftliche Anpassungen in Innenstädten, Stadt- und Ortsteilzentren zur Verfügung, die bis 2025 abgerufen werden können.
Partizipation, Umnutzung, Begegnung – Welche Ideen werden gefördert?
Die geförderten Konzepte stellen vielfach Themen wie Multifunktionalität, Nachhaltigkeit, Identifikation und Begegnung von Menschen in den Mittelpunkt ihrer Strategien (Glossar). Bürgerschaftlichen Beteiligungsformaten unter anderem in Form von Reallaboren, Mitmachkampagnen und digitalen Beteiligungsplattformen kommt ein besonderer Stellenwert zu (Grafik 1). In knapp einem Drittel der Vorhaben werden sie explizit hervorgehoben; besonders die am Programm teilnehmenden Städte in Baden-Württemberg richten darauf einen Fokus (62 Prozent der Vorhaben). Darüber hinaus sind konkrete Maßnahmen in Form von Zwischen- und Umnutzungen von leerstehenden Geschäften und Räumen durch die Kommune geplant, häufig in Form von experimentellen, künstlerischen oder sonstigen Zwischennutzungen. Fördergelder können bis maximal 30 Prozent auch für baulich-investive Maßnahmen eingesetzt werden. Die geplanten städtebaulichen Aufwertungsmaßnahmen im öffentlichen Raum wie mobile Grünflächen, Sitzmöglichkeiten oder Fassadengestaltungen erscheinen – entsprechend den oft kleinen Budgets – oft erstaunlich kleinteilig. Der Einrichtung von Verfügungsfonds kommt als Gegenstand der Förderung eine zentrale Rolle zu, um privates und zivilgesellschaftliches Kapital zu aktivieren und kleinere Projekte anzuschieben (Glossar). Ein wesentlicher Hebel, um gestaltend in innerstädtische Entwicklungen eingreifen zu können, ist der –oft kaum vorhandene – Immobilienbesitz in kommunaler Hand. Immobilienwirtschaftliche Maßnahmen wie beispielsweise Vorkaufsrechtssatzungen können hier wichtige Beiträge leisten (Glossar).
Wer wird gefördert?
Nach Prüfung der Anträge durch das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) wurden deutschlandweit 238 Vorhaben in 234 Städten und Gemeinden (in Berlin und Hamburg auch einzelne Stadtbezirke) bewilligt (Auswahlkriterien siehe Glossar): Karte 1 veranschaulicht die räumliche Verteilung der 80 ländlichen Gemeinden und Kleinstädte (bis 20.000 Einwohner), 112 Mittelstädte (zwischen 20.000 und 100.000 Einwohner) und 42 Großstädte (mehr als 100.000 Einwohner) hinsichtlich der Höhe der bewilligten Bundeszuschüsse (Glossar). Mit Hilfe des Tooltips kann für jede Kommune die Projekt-Kurzbeschreibung angezeigt werden (Auswahlliste des BBSR: BBSR 2021).
Deutlich wird die unterschiedliche Programmbeteiligung auf der Länderebene: Während in Baden-Württemberg mit 39 Gemeinden, in Nordrhein-Westfalen mit 34 Gemeinden und in Sachsen mit 27 Gemeinden auffällig viele Städte von der Förderung profitieren, sind es in Bayern mit 15 Kommunen relativ wenige. Diese Unterschiede erklären sich zum Teil durch die gleichzeitig auf der Länderebene ins Leben gerufenen Programme zur Bewältigung des Strukturwandels von Ortszentren und Innenstädten. Ein Beispiel dafür ist das Land Bayern, das mit dem Sonderfond 2021 Innenstädte beleben 100 Millionen Euro zur Stärkung und Attraktivitätssteigerung von 279 Städten, Märkten und Gemeinden aus Mitteln der Städtebauförderung zur Verfügung stellt (Stmb Bayern 2021).
Darüber hinaus zeigt sich in den Karten, dass – wie in Sachsen, Bayern und Brandenburg – verhältnismäßig viele Kleinstädte und ländliche Gemeinden im Bundesprogramm vertreten sind (Karte 2), die zum Teil relativ hohe Zuwendungen bekommen (Karte 1). So erhält beispielsweise die nur rund 3.500 Einwohner zählende oberbayerische Gemeinde Fuchstal mit einem gemeinwohlorientierten Modell für den Ortskern der Verwaltungsgemeinschaft mit 3.420.000 Euro die höchste Fördersumme pro Kopf. Demgegenüber sind Landeshauptstädte wie München, Hannover, Mainz und Magdeburg nicht beteiligt – bzw. Stuttgart und Dresden nur mit relativ geringen finanziellen Zuwendungen pro Kopf dabei.
Eine Ursache liegt darin, dass die Zentren von Klein- und Mittelstädten bereits vor der COVID-19-Pandemie stärker von der wirtschaftlichen Transformation und den damit verbundenen Problemen des Leerstandes und der Verödung betroffen waren als die großen Metropolen. Unter den Bedingungen des wachsenden Onlinehandels stehen jedoch auch die wichtigsten Einkaufsstraßen Deutschlands, wie die sogenannten Top-7-Standorte in Berlin, Hamburg, München, Frankfurt a. M., Köln, Düsseldorf und Stuttgart unter erheblichem Anpassungsdruck (Scheunemann/Natkowski 2021).
Das Thema Leerstand wird in über 100 Projekten (Projekttitel/Kurzbeschreibungen) thematisiert: In Baden-Württemberg beziehen sich mit 17, in Sachsen mit 12 und Nordrhein-Westfalen mit 10 der geplanten Vorhaben relativ viele Gemeinden auf diese Problematik (BBSR 2021). Kommunen, die bereits über längere Zeit von Leerständen betroffen sind, versuchen unter anderem durch die
Programmförderung bereits existierende Strukturen gezielt weiterzuentwickeln und zu vernetzen. Ein Beispiel ist die Stadt Perleberg im strukturschwachen Raum Brandenburgs: Um die historisch bedeutsame Altstadt wieder zu beleben, wird auf das bestehende integrierte Stadtentwicklungskonzept (Glossar) und das Management von Zwischennutzungen für leerstehende Gewerbeflächen aufgebaut. Um die Nutzung von Leerständen und die Entwicklung des Zentrums effektiver zu gestalten, ist zudem eine Kooperation mit der benachbarten Stadt Wittenberge vorgesehen.
Ausblick
Durch die COVID-19-Pandemie ist der Bedarf an neuen Nutzungskonzepten und Funktionen zur Attraktivitätssteigerung und Stabilisierung urbaner Zentren besonders offensichtlich geworden. Die damit verbundenen Herausforderungen lassen sich aber auch als Chance werten, den oft monofunktional und gesichtslos gewordenen Einkaufszonen zu neuen Identitäten zu verhelfen und sie als Orte der Begegnung neu zu etablieren. Alternative Leitbilder zeichnen sich durch eine Abkehr von überdimensionierten Konsum- und Einzelhandelsfunktionen hin zu multifunktionalen, diversifizierten Nutzungen und partizipativen Ansätzen aus, die administrative Akteure (Kommunen), Unternehmen und Zivilgesellschaft gleichermaßen einbinden. Das Bundesprogramm kann hier erste Anstöße für ein Umdenken auf lokaler Ebene sowie Best-Practice-Beispiele für andere Kommunen geben. Zentral ist die Frage, wie nachhaltig die geförderten Projekte den Anspruch erfüllen können, impulsgebend für eine echte Neuausrichtung der lokalen Entwicklung zu sein. Inwieweit die oft sehr kleinteiligen Maßnahmen vor dem Hintergrund des machtvollen digitalen Wandels dazu beitragen können, Zentren als lebendige Orte und im Sinn stadtgesellschaftlicher Teilhabe auch langfristig zu festigen, bleibt abzuwarten.