Ausgangslage
Den Verantwortlichen bleibt nicht mehr viel Zeit, das auf dem „Krippengipfel“ 2007 von Bund, Länder und Kommunen vereinbarte Ziel zum Ausbau der Betreuungsinfrastruktur für die unter 3-Jährigen zu erreichen. Ab dem 1. August 2013 gilt der Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz. 2007 wurde beschlossen, ab 2013 deutschlandweit für 35 Prozent der Kleinkinder einen Betreuungsplatz anzubieten. Für Ost- und Westdeutschland wurden dabei unterschiedliche Zielwerte festgelegt.
Im Westen sollen 550.000 Betreuungsplätze angeboten werden. Auf Basis der damaligen Kinderzahl entspricht dies einer Betreuungsquote von 33 Prozent. Damit würde das 2002 von der EU formulierte Ziel, 2010 für ein Drittel der Kleinkinder einen Betreuungsplatz vorzuhalten, mit dreijähriger Verspätung erfüllt. Für die neuen Länder wurde ein Zielwert von 190.000 Plätzen festgelegt, was einer Betreuungsquote von 50% entspricht (Sharma/Steiner 2008). Da die Zahl der Kleinkinder rückläufig ist, kann mit den versprochenen 750.000 Betreuungsplätzen eine Betreuungsquote von 38 Prozent erreicht werden. Die Bundesregierung sieht dieses Angebot als bedarfsgerecht an. In einer vom Familienministerium in Auftrag gegebenen Elternbefragung geben 39 Prozent der Eltern von unter 3-Jährigen an, einen Betreuungsplatz zu wünschen (BMFSFJ 2012). Die kommunalen Spitzenverbände gehen allerdings von einem deutlich höheren Bedarf aus. Demnach müssten zusätzlich zu dem auf dem „Krippengipfel“ vereinbaren Ausbauziel weitere 250.000 Plätze geschaffen werden, um den Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz umsetzen zu können (Landsberg 2010).
Aktueller Stand
Zum 1. März 2011 wurden deutschlandweit 514.484 Kleinkinder in Tageseinrichtungen oder von Tageseltern betreut (StBA/StLÄ 2011). Legt man die auf dem „Krippengipfel“ vereinbarte Ausbauplanung zu Grunde, fehlen im Westen noch 230.000 und im Osten etwa 40.000 Betreuungsplätze. Die ostdeutschen Länder erfüllen zwar bereits heute die bundesweite Zielvorgabe von 35 Prozent, da den Bedarfsberechnungen der Bundesregierung zufolge jedoch 50 Prozent der ostdeutschen Eltern einen Betreuungsplatz für ihr Kind in Anspruch nehmen wollen, ist das Angebot insbesondere in Sachsen noch nicht bedarfsgerecht.
In Westdeutschland erreichen derzeit lediglich die kreisfreien Städte Heidelberg und Coburg das Ausbauziel von 35 Prozent; die Landkreise Coburg, Mainz-Bingen und Südwestpfalz liegen knapp unter dem Zielwert (Karte 1). Auf der anderen Seite existiert entlang der Westgrenze zwischen Euskirchen im Süden und Aurich im Norden ein Cluster von Kreisen, das sich durch besonders niedrige Betreuungsquoten auszeichnet. Eine ähnliche Ballung lässt sich in Ostbayern und Schwaben feststellen. Eine Wahlfreiheit für Eltern ist im Westen am ehesten in Hamburg, Hessen und Rheinland-Pfalz gegeben, wo der Ausbau der Betreuungsinfrastruktur relativ weit fortgeschritten ist und viele Ganztagsplätze angeboten werden (vergl. Leibert 2009, Karte 2).
Hindernisse beim Ausbau
Für die Unterschiede im Ausbaustand sind neben den sozialstrukturellen und finanziellen Rahmenbedingungen auch lokale Akteurskonstellationen von besonderer Bedeutung (BMFSFJ 2011). Überregional agierende Betreiber von Kinderbetreuungseinrichtungen berichten, dass vor allem in Bayern und Niedersachsen bei Politikern noch ideologische Vorbehalte gegen die „Fremdbetreuung“ von Kleinkindern bestehen (Schmolla 2012). Weitere Hindernisse beim Ausbau der Betreuungsinfrastruktur sind ein sich abzeichnender Personalmangel (Graphik 1), Schwierigkeiten, geeignete Immobilien zu finden, schleppende Genehmigungsverfahren und bürokratische Hürden sowie die eher suboptimale Zusammenarbeit von Bund, Ländern und Gemeinden (DStGB 2012, Hardenberg 2012).
Regionale Familienmodelle
Der Vergleich der Raummuster der Betreuungsquote (Karte 1), des Anteils der Kleinkinder in Ganztagsbetreuung (Karte 2) und der Erwerbssituation der Frauen (Karte 3) belegt, dass in Deutschland verschiedene Familienmodelle existieren.
Am auffälligsten ist der Ost-West-Unterschied. In Ostdeutschland dominiert das Modell der in Vollzeit berufstätigen Mutter. Die Frauenerwerbsquote in der Altersgruppe 25-49 liegt in den meisten Kreisen deutlich über dem Bundesdurchschnitt, während die Teilzeitquote eher niedrig ist. Ermöglicht wird dies durch eine gut ausgebaute Betreuungsinfrastruktur mit einem hohen Anteil an Ganztagesplätzen. Negative Auswirkungen auf die Fertilität scheint das nicht zu haben, denn das Gros der Kreise mit deutlich überdurchschnittlichen Geburtenraten liegt im Osten, insbesondere in Sachsen, Thüringen und Mecklenburg-Vorpommern.
Im Nordwesten ist dagegen das Modell der Hausfrau und Mutter weit verbreitet, das sich durch eine niedrige Erwerbsquote und massive Defizite bei der Kindertagesbetreuung auszeichnet. Darüber hinaus gibt es noch ein „oberfränkisches Familienmodell“, mit hoher Frauenerwerbs- und Teilzeitquote. Für westdeutsche Verhältnisse ist die Betreuungsquote hoch, allerdings gibt es nur wenige Ganztagsplätze. Auffällig ist auch die Metropolregion München mit vergleichsweise hohen Erwerbsquoten bei gleichzeitig relativ hoher Vollzeitquote (Karte 3). Dies schlägt sich auch in den für Bayern relativ hohen Betreuungsquoten mit relativ vielen Ganztagsplätzen für die Kinder unter drei Jahren nieder.
Entwicklung der Kleinkinderzahl
Der Ausbau der Kindertagesbetreuung stellt angesichts steigender Geburtenzahlen vor allem die Städte vor große Herausforderungen. So ist die Zahl der unter 3-Jährigen ist zwischen 2007 und 2011 insbesondere in den ostdeutschen Großstädten, aber auch in vielen westdeutschen Universitätsstädten und Wirtschaftsmetropolen deutlich angestiegen. Außerdem kann man davon ausgehen, dass der Betreuungsbedarf in den Städten generell höher ist als im ländlichen Raum. So können sich Frauen, die beispielsweise im wissensintensiven Dienstleistungsbereich oder in der Kreativwirtschaft arbeiten, oft keinen längeren Auszeiten leisten, da Wissen und Qualifikationen in diesen Berufsfeldern schnell veralten. Angesichts der höheren Lebenshaltungskosten in den städtischen Agglomerationsräumen sind zudem viele Familien auf ein zweites Einkommen angewiesen.
Im ländlichen Raum Westdeutschlands ist die Zahl der Kleinkinder dagegen fast flächendeckend eingebrochen, insbesondere in Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Besonders betroffen sind periphere und strukturschwache Regionen. Die wenigen Landkreise, in denen die Zahl der unter 3-Jährigen stabil ist oder leicht zugenommen hat, liegen überwiegend im suburbanen Raum (Graphik 2, Tabelle).
Es wäre unseriös, einen kausalen Zusammenhang zwischen dem schleppenden Ausbau der Betreuungsinfrastruktur und dem Rückgang der Kinderzahlen zu unterstellen, da auch Regionen, in denen in den letzten Jahren große Anstrengungen unternommen wurden, um das Betreuungsangebot auszubauen, niedrige Geburtenraten und sinkende Kleinkinderzahlen aufweisen. Die Daten legen eine gewisse Renaissance der Familie in den Städten und im Osten nahe, zu der die familienpolitischen Reformen der letzten Jahre möglicherweise beigetragen haben.