Wissenschaftliche Grundlagen
Als guter Indikator für das Regionalklima kann die Phänologie der Pflanzen herangezogen werden. Die Phänologie (Glossar) beschreibt periodisch wiederkehrende Erscheinungen (biologischer) Phänomene. So werden seit vielen Jahrzehnten (phänologische) Kalender geführt, in denen unter anderem Blatt- und Knospenaustrieb, Blüte und Blattfall datiert werden. Diese phänologischen Ereignisse werden im Wesentlichen durch die regionalen klimatischen Gegebenheiten (Luft- und Bodentemperatur, Sonnenexposition, Niederschlag, Frosttage, usw.) gelenkt, wobei in den mittleren Breiten die Lufttemperatur den größten Einfluss hat. So kann beispielsweise der Beginn einer phänologischen Phase über die Summe der vorherigen Tagestemperaturen abgeschätzt werden, denn Pflanzen benötigen ein bestimmtes Maß an Energie, um in Blüte treten zu können. Hintergrund hierfür ist, dass höhere Temperaturen (pflanzenspezifisch) die Entwicklungsgeschwindigkeit der Pflanze fördern. Die Witterungsverhältnisse zwei bis drei Monate vor Eintritt der Blüte sind dabei entscheidend für den Eintrittszeitpunkt der Blütephase (Menzel 2007, Chmielewski 2007).
Apfelblüte – „Fingerabdruck“ des Klimawandels
Wissenschaftler machen sich die Abhängigkeit der Phänologie von Witterungsfaktoren zu Nutze, um Aussagen über das regionale Klima treffen zu können. Die Karte 1 zeigt den Beginn der Apfelblüte (langjähriges Mittel, 1971-2000). Zu erkennen ist das großräumige Eintrittsmuster, welches durch geographische Breite und Relief geprägt ist (Erasmi u.a. 2005). So tritt die Blüte sowohl in maritim geprägten Regionen (Schleswig-Holstein) sowie insbesondere in den Mittelgebirgen verhältnismäßig spät ein. In den klimatisch günstigen Regionen, wie etwa der Rheinebene, setzt der Beginn der Blüte bis zu drei Wochen eher ein im Vergleich zu maritim geprägten Regionen. Dies ist unter anderem mit der Temperatursumme in den vorherigen Monaten zu erklären, die generell durch die breitenabhängige Änderung der Lufttemperatur gesteuert wird: Der Vegetationsbeginn schreitet mit etwa 2,5 Tagen um einen Breitengrad (ca. 44 km/Tag) von Süd nach Nord voran (Chmielewski 2007). Die generelle Breitenabhängigkeit wird in Mitteleuropa vor allem durch die großen Wassermassen der Nord- und Ostsee gedämpft. Sie sorgen dafür, dass sich die Luft in maritim geprägten Regionen später erwärmt. In den kontinentalen Regionen erwärmt sich die Luft deutlich rascher, entsprechend schneller ist auch die notwendige Temperatursumme zum Blühbeginn erreicht. In der Karte 2 wird der Beginn der Apfelblüte als langjähriges Mittel (1961-1990) aufgezeigt. Vergleicht man beide Karten miteinander, so zeigt sich unter räumlichen Gesichtspunkten, dass die Blüte in vielen Regionen Deutschlands eher einsetzt, was auch die Mittelgebirge wie beispielsweise das Rothaargebirge betrifft (Karte 3). Hier ist zudem davon auszugehen, dass sich die Vegetationsgrenze für Apfelbäume in höhere Lagen verschiebt. Der Vergleich der Beobachtungszeiträume bzw. der Karten mit Hilfe der Karte 3 zeigt ein tendenziell früheres Einsetzen der Apfelblüte in Deutschland. Begründet werden kann diese Veränderung in erster Linie durch eine sich verändernde (Luft-)Temperatur. Die Ursache hierfür ist im Klimawandel zu vermuten. Steigt die Temperatur um 1°C, so tritt die Blüte 2,5 bis 6,7 Tage früher ein (Rustishauser u. Studer 2007). Verdeutlicht wird dieser Zusammenhang zwischen Lufttemperatur und phänologischer Phase anhand der drei Zeitreihen für die Beobachtungsstandorte Jork (Altes Land), Göttingen sowie Endingen (Kaiserstuhl), in denen die Temperaturabweichung sowie die Abweichung des Eintritts der Apfelblüte vom langjährigen Mittel gegenübergestellt sind (Graphiken). An allen Stationsdaten ist die eindeutige (negative) Korrelation des Temperaturverlaufs und des Einsetzens der Apfelblüte zu erkennen. Einen Extremfall der Verschiebung der phänologischen Phasen stellte das Jahr 2007 dar, in dem die Apfelblüte i.d.R. zwei bis drei Wochen früher eintrat als im langjährigen Mittel (1971-2000). Bei der Betrachtung der Karte 4 fällt auf, dass dieser Trend in den klimatischen Gunstgebieten deutlich geringer ausgeprägt ist, da hier der für die Wachstumsbildung notwendige Strahlungsgenuss auch in Normaljahren schon früh im Jahr erreicht wird.
Meteorologische Extremereignisse hat es auch in der Vergangenheit immer wieder gegeben. So war beispielsweise der Winter 1795/96 besonders mild. Verschiedene Quellen weisen darauf hin, dass bereits im Januar Obstbäume östlich des Harzes und in der Region Halle an der Saale (Gebiet von Elster und Saale) blühten (Weikinn´sche Quellensammlung).
Die Karten und Diagramme zeigen zusammengefasst, dass die Phänologie nicht nur als Indikator des regionalen Klimas, sondern auch als „Fingerabdruck“ des Klimawandels angesehen werden kann. Zahlreiche auf phänologischen Beobachtungen basierende wissenschaftliche Untersuchungen zeigen z.B. ein allgemein früheres Eintreten der Blattentfaltung und Blüte von Pflanzen, die sich in Europa in den letzten 30-50 Jahren auf 1,4-3,1 Tage pro Jahrzehnt belaufen.
Westwindzirkulation bestimmt unser Wetter
Ein wichtiger klimatischer Faktor hinsichtlich der Beeinflussung der Phänologie in Europa ist der Nordatlantische Oszillations Index (NAO). Dieser Index (Glossar) steht für das Luftdruckverhältnis zwischen den Azoren (Azorenhoch) und Island (Islandtief) und beschreibt indirekt die Lage (geographische Breite) der Westwindzirkulation auf der Nordhemisphäre. Die Westwindzirkulation beeinflusst das Wetter in Europa maßgeblich. Ist der Index positiv, d.h. hohe Druckdifferenz zwischen den Azoren und Island, so liegt eine starke zonale (West-Ost) gerichtete Strömung vor, mit der feucht-milde Luftmassen nach Nord- und Mitteleuropa gelangen. Bei einem schwachen Index ist Mitteleuropa eher von kalten Luftmassen geprägt, da die Westwindzirkulation weiter im Süden verläuft. So können frühe Vegetationseintritte gut mit einer ausgeprägten NAO korreliert werden. Seit 1989 sind zunehmend positive NAO-Phasen zu beobachten, was sich in den phänologischen Reihen widerspiegelt. Insofern ist die Veränderung der NAO als großskaliger Zirkulationsindex durch den globalen Klimawandel auch für die Vegetation in Europa von Bedeutung (Chmielewski 2007).