Die aktuellen Karten zur Lehrstellensituation zeigen ein regional sehr differenziertes Bild. Während in Ostdeutschland weiterhin zu wenig betriebliche Ausbildungsplätze zur Verfügung stehen, drängen im Westen nach wie vor viele Schulabgänger auf den Lehrstellenmarkt.

Im Ausbildungsjahr 2008 ist die Zahl der neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge mit 616.000 im Vergleich zum Vorjahr um -1,5% gesunken (BMBF 2009). Gleichwohl hat sich die Lehrstellensituation rein rechnerisch leicht verbessert. Denn die Zahl der Schulabgänger ist mit
-3,4% deutlich stärker zurückgegangen, und die Nachfrage nach Berufsausbildungsstellen hat sogar um -5,8% abgenommen. Dies liegt u.a. daran, dass die Zahl der Bewerber vorheriger Schulentlassjahrgänge (Altbewerber) im Vergleich zum Vorjahr von 385.000 auf 320.000 abgenommen hat. Deutschlandweit zählt aber immer noch jeder zweite Bewerber bzw. jede zweite Bewerberin zu dieser Gruppe.

Dass weniger Lehrstellen angeboten werden, ist zum Teil auf den Abbau von überwiegend öffentlich finanzierten, außerbetrieblichen Lehrstellen zurückzuführen. Diese wurden in den letzten Jahren vor allem in Ostdeutschland als Ausgleich für fehlende betriebliche Ausbildungsplätze vorgehalten (Beitrag 2 (06.2008) 6, Karte 3). Die stark rückläufige Zahl von Jugendlichen und Schulabgängern in Ostdeutschland hat die öffentliche Hand dazu bewogen, rund 11.000 außerbetriebliche Lehrstellen zu streichen. Trotzdem findet in Ostdeutschland immer noch jede fünfte Berufsausbildung (2008: 22,6%, 2007: 28,4%) als außerbetriebliche Lehre statt.

Neue Daten zeigen verändertes Deutschlandbild
Das Kartenbild zur Lehrstellensituation war bis 2007 von Ost-West-Gegensätzen gekennzeichnet, mit relativ hohen Werten der Angebots-Nachfrage-Relation an Berufsausbildungsstellen (ANR, Glossar) in Westdeutschland und deutlich niedrigeren Zahlen für ostdeutsche Regionen (vgl. Beiträge 1 (10.2007) 3 u. 2 (06.2008) 6).

Seit 2008 werden die amtlichen Daten zur ANR nach einer neuen Methode berechnet: Auf der Nachfrageseite werden nun auch die Schulabgänger berücksichtigt, die nach erfolglosen Bewerbungen alternative Wege gehen (Jobben, erneuter Schulbesuch, Berufsvorbereitung, freiwilliges soziales Jahr usw.) und von dort weiter nach einer Lehrstelle suchen. Damit kommen diese Zahlen „den tatsächlichen Verhältnissen auf dem Ausbildungsmarkt deutlich näher“ als die Werte der herkömmlichen Berechnungsmethode (BIBB 2009, S. 27).

Nach der neuen Statistik, in der Bewerber in „Warteschleifen“ mit berücksichtigt sind, reduziert sich aufgrund eines entsprechend höheren Nachfragewertes die ANR für das gesamte Bundesgebiet auf 89,2 (2007: 85,1). Damit besteht ein rechnerisches Defizit von rund 77.000 Lehrstellen. Nach der bisherigen Berechnung der ANR ergäbe sich im Bundesdurchschnitt ein ausgeglichenes Verhältnis von 100,8 (100,8 Lehrstellenangebote auf 100 Bewerber); für Ostdeutschland liegt dieser Wert bei 98,7 und für Westdeutschland bei 101,3 (Graphik 1).

Für 2008 hat sich das räumliche Bild der Lehrstellensituation deutlich geändert (Karte 1). Im regionalen Vergleich schneiden vor allem viele ostdeutsche Regionen jetzt besser ab als nach der alten Berechnungsformel. So ergibt sich für Ostdeutschland eine ANR von 91,3 (2007: 84,9) im Vergleich zu 88,8 in Westdeutschland (2007: 85,2). Dies ist auch darauf zurückzuführen, dass es vor allem in Nord- und Westdeutschland deutlich mehr Jugendliche in „Warteschleifen“ gibt.

Weniger Schulabgänger sorgen für Entlastung
Neben der ANR ist die Einmündungsquote ein weiterer Indikator zur Analyse der Lehrstellensituation: Sie errechnet sich aus der Zahl der neuen Lehrverträge in Relation zur Zahl der Schulabgänger eines Jahres. Ein ausreichender Versorgungsgrad liegt nach Einschätzung des Bundesinstituts für Berufsbildung (BIBB) bei einer längerfristigen Quote von etwa zwei Drittel vor. Noch zu Beginn der 1990er Jahre wurde dieser Wert für Gesamtdeutschland deutlich überschritten, sank dann aber bis 2005 auf einen Tiefstand von 58,6%. Derzeit liegt die Quote wieder über 67%, was wesentlich durch die sinkende Zahl von Schulabgängern bedingt ist und rechnerisch eine ausreichende Versorgung ausdrückt (Graphik 2).

Unter Berücksichtigung der 176 Arbeitsagenturbezirke ergibt sich ein regional sehr differenziertes Kartenbild (Karte 2). Während in weiten Teilen Mecklenburg-Vorpommerns und Brandenburgs relativ ungünstige Rahmenbedingungen vorliegen, weisen großstädtische Regionen mit ihren zahlreichen Großbetrieben ein deutliches Überangebot auf, das auch den Schulabsolventen und -absolventinnen der umliegenden Regionen zu Gute kommt. Eine Ausnahme macht Berlin: In der Hauptstadt stehen je 100 Schulabgänger nur 45 betriebliche Ausbildungsplätze zur Verfügung.

Auswirkungen der Wirtschafts- und Finanzkrise
Noch kann nicht sicher prognostiziert werden, wie sich die Lehrstellensituation im Jahr 2009 entwickeln wird. Es ist aber zu befürchten, dass die aktuelle Wirtschafts- und Finanzkrise nicht nur die Industrie, sondern verstärkt auch das Handwerk treffen wird, eine der tragenden Säulen der Berufsausbildung in Deutschland. Besonders kleinere Unternehmen mit weniger als 10 Beschäftigten, die umgerechnet jede fünfte Lehrstelle anbieten, werden sich in dieser schwierigen Situation erfahrungsgemäß eher reserviert bei der Neueinstellung von Lehrlingen verhalten. Dies würde besonders Ostdeutschland mit einer stärker kleinbetrieblich geprägten Wirtschaftsstruktur treffen und könnte den positiven Trend der letzten Jahre, der vor allem auf den demographischen Effekt sinkender Schulabsolventenzahlen zurückzuführen ist, wieder zunichte machen.

BODE, Volker u. Joachim BURDACK (2008): Wende auf dem Lehrstellenmarkt? In: Nationalatlas aktuell 2 (06.2008) 6 [05.06.2008]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL).
URL:
http://aktuell.nationalatlas.de/Wende-auf-dem-Lehrstellenmarkt.6_06-2008.0.html

BODE, Volker u. Joachim BURDACK (2006): Chancen junger Menschen auf dem Lehrstellenmarkt. In: Leibniz-Institut für Länderkunde (Hrsg.): Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland. Bd. 7: Arbeit und Lebensstandard. Mithrsg. von Faßmann, H., Meusburger, P. u. B. Klagge. München, S. 82-83.

BUNDESINSTITUT FÜR BERUFSBILDUNG (BIBB) (2009):
Datenreport zum Berufsbildungsbericht 2009. Informationen und Analysen zur Entwicklung der beruflichen Bildung. Vorversion 1. April 2009. Bonn:
URL:
http://datenreport.bibb.de/media2009/datenreport_bbb_vorversion_090401.pdf
Abrufdatum: 06.04.2009

BUNDESMINISTERIUM FÜR BILDUNG UND FORSCHUNG (BMBF) (Hrsg.) (2009): Berufsbildungsbericht 2009. Berlin; sowie Berufsbildungsberichte 1993 bis 2008 [BMBW, BMBWFT, BMBF].
Aktueller Berufsbildungsbericht:
URL:
http://www.bmbf.de/pub/bbb_09.pdf
Abrufdatum: 06.04.2009

BURDACK, Joachim (2007): Keine Entspannung auf dem Lehrstellenmarkt. In: Nationalatlas aktuell 1 (10.2007) 3 [18.10.2007]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL).
URL:
http://aktuell.nationalatlas.de/Keine-Entspannung-auf-dem-Lehrstellenmarkt.1_05-2007.0.html

Rechtliche Grundlagen

Berufsbildungsgesetz (BBiG) vom 23. März 2005 (BGBl. I S. 931), zuletzt geändert durch Art. 9b des Gesetzes vom 07.09.2007 (BGBl. I S. 2246).
URL:
http://www.bmbf.de/pub/bbig.pdf
Abrufdatum: 06.04.2009

Bildnachweis
Berufsausbildung in der Kartographie: V. Bode

Zitierweise
Bode, Volker u. Joachim Burdack (2009): Lehrstellensituation – Trotz Besserung keine Entspannung. In: Nationalatlas aktuell 3 (05.2009) 4 [07.05.2009]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL).
URL:
http://aktuell.nationalatlas.de/Lehrstellensituation.4_05-2009.0.html

Dipl.-Geogr. Volker Bode
Leibniz-Institut für Länderkunde
Redaktion Nationalatlas aktuell
Schongauerstr. 9
04328 Leipzig
Tel.: (0341) 600 55 143
E-Mail: v_bode@leibniz-ifl.de

Prof. Dr. Joachim Burdack
Leibniz-Institut für Länderkunde
Schongauerstr. 9
04328 Leipzig
apl. Professor an der Universität Leipzig
Tel.: (0341) 600 55 111
E-Mail: j_burdack@leibniz-ifl.de

Angebots-Nachfrage-Relation, duales Ausbildungssystem

Angebots-Nachfrage-Relation
Die Angebots-Nachfrage-Relation an Berufsausbildungsstellen (ANR) ist der meist verwendete Indikator zur Verdeutlichung der Situation auf dem Lehrstellenmarkt. Sie wird von der Bundesregierung in den jährlichen Berufsbildungsberichten des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) ausgewiesen.

„Angebot und Nachfrage nach Ausbildungsplätzen sind gemäß § 86 Abs. 2 BBiG wie folgt definiert: Das Angebot errechnet sich aus der Zahl der zwischen dem 1. Oktober und dem 30. September des Folgejahres neu abgeschlossenen Ausbildungsverträge zuzüglich der bei den Arbeitsagenturen gemeldeten Ausbildungsstellen, die am 30. September noch nicht besetzt waren. Die Nachfrage ergibt sich aus der Zahl der im gleichen Zeitraum abgeschlossen Ausbildungsverträge zuzüglich der am 30. September bei den Arbeitsagenturen gemeldeten, noch Ausbildungsplätze suchenden Personen“ [Berufsbildungsbericht 2007 (Teil II), S. 2].

Werte unter 100 kennzeichnen ein Ausbildungsplatzdefizit und solche über 100 stehen für einen Ausbildungsplatzüberhang. Ein Wert von 100 kennzeichnet ein rechnerisches Gleichgewicht. Aber erst ein Wert deutlich über 100 kann unter Berücksichtigung sektoraler, regionaler und gruppenspezifischer Defizite als wirklich „günstig“ bezeichnet werden.

Duales Ausbildungssystem
Die klassische duale Berufsausbildung in Deutschland bezieht sich vor allem auf die Dualität der Lernorte Betrieb und Schule. Während die fachpraktische und bedarfsorientierte Ausbildung im Betrieb erfolgt, werden fachtheoretische und allgemein bildende Ausbildungsteile in einer Berufsschule im Teilzeitunterricht vermittelt.

Duales Ausbildungssystem meint aber auch die Kompetenzteilung zwischen staatlicher Zuständigkeit in der Berufsschule einerseits und der Verantwortung für die betriebliche Ausbildung durch private und öffentliche Arbeitgeber andererseits.