Die kürzlich veröffentlichten Daten der Bundesregierung im Berufsbildungsbericht 2008 (BMBF 2008) belegen für das Jahr 2007, dass mit 625.900 neu abgeschlossenen Ausbildungsverträgen das Vorjahresergebnis um 8,6% übertroffen wurde. Auch das Verhältnis von Angebot und Nachfrage nach Ausbildungsplätzen (Angebots-Nachfrage-Relation: ANR, Glossar), wichtigster Indikator der Lehrstellenlage, ist deutschlandweit deutlich von 94,6 auf 98,3 gestiegen. Die Vielfalt der Ausbildungsberufe ist in Deutschland nach wie vor relativ groß: 344 Ausbildungsberufe sind derzeit staatlich anerkannt (BIBB 2008).
Doch nicht alle Regionen profitieren gleichermaßen vom Konjunkturaufschwung. Es bestehen nach wie vor erhebliche regionale Unterschiede (Karte 1). In den alten Ländern ist die ANR mit 99,1 jetzt fast ausgeglichen (2006: 95,9), in den neuen Ländern und Berlin bestehen mit 95,4 (2006: 89,7) immer noch signifikante Defizite (Graphik 1). Besonders positive Zuwächse mit einem Wert größer 105 verzeichnen von insgesamt 176 Arbeitsagenturbezirken lediglich neun, die ausschließlich in Bayern liegen. Den Spitzenwert von 114,4 Lehrstellen je 100 Nachfragende erreicht die fränkische Region Ansbach.
Ausbildungsplatzdefizite zeigen sich vor allem in Ostdeutschland in den Grenzgebieten zu Polen und Tschechien. Besonders betroffen sind Jugendliche in den Regionen Eberswalde, Cottbus, Bautzen und Pirna. Ein Lehrstellenmangel besteht auch weiterhin in industriellen Problemgebieten im Norden und Westen Deutschlands, besonders in Nordrhein-Westfalen, wie beispielsweise in Gelsenkirchen, Bochum, Bergisch-Gladbach, Herford, Detmold und Bielefeld. Insgesamt sind aber in den meisten Regionen 2007 spürbare Verbesserung eingetreten. So ist die Zahl der Arbeitsmarktregionen mit stark negativen Werten von weniger als 90 Ausbildungsplatzangeboten auf 100 Lehrstellensuchende gegenüber dem Vorjahr deutlich zurückgegangen. Lediglich die Hauptstadt Berlin sowie die Regionen Pirna, Bremerhaven und Gelsenkirchen unterschritten diese Marke; 2006 waren es noch 24 Regionen (Graphik 2).
In der Karte 1 wird deutlich, dass sich die Ost-West-Disparitäten, die in den vergangenen Jahren noch sehr prägnant hervortraten (Beitrag 1 (10.2007) 3), sich deutlich abgeschwächt haben. Die Regionen mit ungünstigen ANR-Werten unter 95 liegen nicht mehr überwiegend in den neuen Ländern. Süddeutschland hebt sich mit günstigeren Ausbildungschancen vom übrigen Bundesgebiet deutlich ab, so dass sich nun auf der Deutschlandkarte ein Süd-Nord-Gefälle abzeichnet.
Zur besseren Einschätzung der regionalen Lage auf dem Ausbildungsmarkt ist es sinnvoll, die Entwicklung der einzelnen Regionen auch über einen längeren Zeitraum zu beobachten. In den Jahren 2003 bis 2007 verzeichneten acht Regionen in mindestens vier der letzten fünf Jahre stark negative ANR-Werte unter 90 (Karte 2). Hierzu gehören Berlin, die Regionen Cottbus, Eberswalde und Neuruppin in Brandenburg, Bautzen und Pirna in Sachsen, Altenburg in Thüringen und Gelsenkirchen in Nordrhein-Westfalen. Am anderen Ende des Spektrums lassen sich 13 Arbeitsmarktregionen identifizieren, die in mindestens vier der letzten fünf Jahre einen rechnerischen Lehrstellenüberschuss erzielten. Diese Arbeitsmarktregionen liegen ganz überwiegend in Süddeutschland: acht in Bayern (Würzburg, Ansbach, Schwandorf, Regensburg, Freising, München, Rosenheim und Traunstein), Nagold und Freiburg in Baden-Württemberg. Die übrigen liegen in Nordrhein-Westfalen (Ahlen und Köln) und Niedersachsen (Nordhorn).
In Ostdeutschland ist die verbesserte Lehrstellenbilanz vor allem auf eine geringere Nachfrage aufgrund der gesunkenen Zahl von Schulabgängern und so genannten Altbewerbern zurückzuführen, die die Schule bereits vor mehr als einem Jahr verlassen haben. Die Zahl der Vertragsabschlüsse konnte in den neuen Ländern insgesamt nur mäßig um rd. 1% gesteigert werden. In den alten Ländern ist die positive Bilanz dagegen das Ergebnis einer erheblich gestiegenen Zahl von Vertragsabschlüssen (+11%) bei stabilen Schulabsolventen- und Altbewerberzahlen. Aber auch in Westdeutschland wird es in den kommenden Jahren weniger Schulabgänger geben. Die Zahl der Absolventen aus allgemein bildenden Schulen hat ihren Höhepunkt in den Jahren 2006 und 2007 erreicht (2007: 946.200). Es herrscht jedoch weiterhin ein Rückstau von jugendlichen Altbewerbern. Im Jahre 2007 betrug ihr Anteil an den insgesamt 734.300 Ausbildungsplatzbewerbern mit rd. 52% mehr als die Hälfte.
Ein unterschiedlicher Leidensdruck von west- und ostdeutschen Jugendlichen zeigt sich im regionalen Bewerbungsverhalten: So haben sich 2006 insgesamt 45% der ostdeutschen Lehrstellenbewerber – in Mecklenburg-Vorpommern sogar mehr als jeder zweite – aktiv auch auf Ausbildungsplätze beworben, die weiter als 100 km von ihrem Wohnort entfernt liegen. In den alten Ländern traf dies insgesamt nur auf 20% aller Bewerber zu. Die Wahrscheinlichkeit, dass die Bewerbung auf einen Ausbildungsplatz in der Heimatregion erfolgreich ist, ist für ostdeutsche Jugendliche wesentlich geringer: Das Angebot betrieblicher Lehrstellen beträgt hier nur etwas mehr als 70% im Vergleich zu Westdeutschland mit fast 96% (Karte 3).
Die Entwicklungen in zahlreichen Arbeitsmarktregionen der neuen Länder belegen, dass dort das klassische duale System der Berufsausbildung (Glossar) von Seiten der regionalen Wirtschaft – auch nach fast 20 Jahren der deutschen Einheit – nicht in der Lage ist, ein ausreichendes Angebot an praxis- und bedarfsorientierten betrieblichen Ausbildungsplätzen bereitzustellen.
Langfristige Probleme auf dem Arbeitsmarkt mit gravierendem Lehrstellenmangel und hoher Jugendarbeitslosigkeit verursachen nicht nur ökonomische Probleme und regionale Disparitäten. Sie können auch der Nährboden für erhebliche soziale und gesellschaftliche Probleme wie Armut, Staats- und Demokratieverdrossenheit und Kriminalität darstellen (Graphik 3).