Die Orchesterkultur zählt seit jeher zu den bedeutenden Bereichen des Musiklebens in Deutschland. Ensembles wie die Berliner Philharmoniker, die Sächsische Staatskapelle Dresden oder die Münchener Philharmoniker gehören zu den international renommiertesten Ensembles und begeistern Musikliebhaber in der ganzen Welt. Dennoch sehen die Berufsorchester in Deutschland einer ungewissen Zukunft entgegen, denn spätestens 2010 wird die Finanz- und Wirtschaftskrise auch die öffentlichen Haushalte erreichen.

Insgesamt 133 öffentlich finanzierte Symphonieorchester existieren gegenwärtig in Deutschland und stehen für eine im internationalen Vergleich außergewöhnlich hohe Dichte an professionellen Klangkörpern. Sie gliedern sich in 84 Theater-, 30 Konzert- und 12 Rundfunkorchester sowie sieben öffentlich finanzierte Kammerorchester (Karte 1). Im Allgemeinen werden diese Klangkörper als „Kulturorchester“ bezeichnet, so der tarifvertragliche Terminus, der letztlich aber nichts anderes bedeutet, als dass diese Ensembles überwiegend öffentlich, also aus Steuergeldern oder Rundfunkgebühren finanziert werden.

Historische Wurzeln
Die außergewöhnliche Fülle an professionellen Berufsorchestern ist zum Teil auf die deutsche Geschichte des 18. und 19. Jahrhunderts zurückzuführen. So haben beispielsweise die heutigen Staatsorchester und -kapellen ihren Ursprung in ehemals höfischen Ensembles, die nach dem Ende des Ersten Weltkriegs in staatliche Trägerschaft übernommen wurden und heute in der Regel von den einzelnen Bundesländern finanziert werden. Die meisten Klangkörper jedoch sind kommunale Einrichtungen und blicken dabei oft auf nicht minder lange Traditionen zurück. Zu nennen ist vor allem das Gewandhausorchester Leipzig, dessen Wurzeln bis ins 15. Jahrhundert reichen und das als das älteste bürgerliche Orchester im deutschen Raum gilt.

Eine Besonderheit der Orchesterlandschaft in Deutschland liegt in ihrer dezentralen Organisationsstruktur. Die Einrichtungen sind nicht nur in den Metropolen und Großstädten angesiedelt, sondern mehr oder weniger gleichmäßig im ganzen Bundesgebiet verteilt. So ist jedes dritte Orchester in einer Kommune mit unter 100.000 Einwohnern beheimatet, jedes fünfte in Städten mit bis zu 200.000 Einwohnern. Ballungsräume wie das Ruhrgebiet sind dafür exemplarisch: Die Städte Bochum, Duisburg, Essen, Dortmund, Wuppertal und Hagen unterhalten mit relativ kleinen Einzugsgebieten jeweils ihre eigenen Orchester. In Recklinghausen und Gelsenkirchen konzertiert seit 1996 ein gemeinsames Orchester. Insbesondere auch die mitteldeutschen Länder verfügen im Bundesdurchschnitt über außerordentlich hohe Orchesterdichten, allen voran die Länder Sachsen und Thüringen.

Orchesterauflösungen und -fusionen
Seit Beginn der 1990er Jahre haben Orchesterauflösungen und -fusionen deutliche Spuren hinterlassen. Zum einen kam es im Osten Deutschlands nach der deutschen Einheit zu einer weitreichenden Anpassungs- und Konsolidierungswelle. Hier wurden 20 Orchester abgewickelt und weitere 17 miteinander verschmolzen; vor allem in Sachsen-Anhalt, Sachsen und Berlin fielen viele den Strukturreformen zum Opfer. In der Bundeshauptstadt wurden gleich vier traditionsreiche Klangkörper aufgelöst, zuletzt im Jahr 2004 die Berliner Symphoniker, die seitdem nur noch als Projektorchester existieren. Dabei fiel etwa ein Drittel der Planstellen den Sparzwängen zum Opfer. Aber auch vor den alten Ländern machte das Orchestersterben nicht Halt: Seit der deutschen Vereinigung wurden insgesamt elf Ensembles aufgelöst oder miteinander fusioniert, allein sechs davon in Nordrhein-Westfalen. So sind bundesweit von ehemals insgesamt 12.000 Musikerinnen und Musikern aktuell noch rund 10.000 beschäftigt (Graphik).

Die jüngste Fusion betraf das Rundfunksinfonieorchester Saarbrücken, das zur Saison 2007/2008 mit dem Rundfunkorchester Kaiserslautern in der Deutschen Radiophilharmonie aufgegangen ist (Karte 2). Mit dem Zusammenschluss des Philharmonischen Staatsorchesters Halle und dem Orchester des Opernhauses Halle zur Staatskapelle Halle wurde zum Ende der Spielzeit 2006/2007 mit 152 Planstellen das nach dem Gewandhausorchester größte Ensemble in Deutschland geschaffen. Allerdings wird gegenwärtig schon über eine Verkleinerung dieses Orchesters nachgedacht. Und auch in Mecklenburg-Vorpommern ist vor kurzem ein Eckpunktepapier verabschiedet worden, das weitere Straffungen der Orchesterstrukturen im Land bis 2020 vorsieht.

Ausblick
Vor dem Hintergrund der anhaltenden Strukturreformen hat die Delegiertenversammlung der Deutschen Orchestervereinigung sich jüngst dafür ausgesprochen, die deutsche Orchesterlandschaft in das UNESCO-Weltkulturerbe aufzunehmen und sie als einzigartiges Zeugnis kultureller Tradition dauerhaft zu schützen. Denn die heraufziehende Krise der öffentlichen Haushalte wird den Fortbestand der deutschen Orchester auf eine harte Probe stellen, da – so hat es die Vergangenheit gezeigt – oft zuerst an den so genannten freiwilligen Aufgaben, wie der Kultur, gespart wird. Sollte zudem an dem Auslaufen des Solidarpakts II im Jahr 2019 und der Einführung der kürzlich beschlossenen „Schuldenbremse“ im Jahr 2020 festgehalten werden, so könnte dies empfindliche Folgen für Deutschlands Kulturinstitutionen haben. Betroffen wären dann insbesondere die neuen Länder, wo ein Großteil der Kulturfinanzierung wegbrechen würde.

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Zitierweise
Schulmeistrat, Stephan (2009): Kulturorchester in Deutschland. In: Nationalatlas aktuell 3 (07.2009) 7 [30.07.2009]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL).
URL:
http://aktuell.nationalatlas.de/Orchester.7_07-2009.0.html

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