Schulpolitik: ein heißes Eisen
„Gemein zur Gemeinschaftsschule“, so überschrieb die „taz“ im Januar 2013 einen Beitrag über einen Bürgerentscheid gegen die Gemeinschaftsschule in Bad Saulgau im Kreis Sigmaringen in Baden-Württemberg (MICHEL 2013). Diese Auseinandersetzung steht stellvertretend für den Widerstand, der der grün-roten Landesregierung in Baden-Württemberg zum Thema Gemeinschaftsschule von Seiten der Bürgerschaft, aber auch von großen Teilen der Lehrerverbände begegnet. Er erinnert an die hitzige und ideologiebeladene Debatte um die Gesamtschule, die Ende der 1970er Jahre in Nordrhein-Westfalen zwischen den Sozialdemokraten (pro Gesamtschule) und den Konservativen (contra Gesamtschule) hohe Wellen schlug. Ähnlich umstritten ist das Abitur nach acht Jahren weiterführender Schulen (G8), das in den meisten Ländern mittlerweile den Standard an Gymnasien darstellt, wo jedoch zunehmend Wege zu einer möglichen Verlängerung der Schulzeit hin zu G9 gesucht werden.
Die föderale Struktur Deutschlands wird ganz besonders in den Bereichen Bildung, Wissenschaft und Kultur immer wieder deutlich. Diese Länderhoheit sorgt einerseits für heiße politische Kontroversen, andererseits allerdings auch für Probleme in einer immer mobiler werdenden Gesellschaft, wenn beispielsweise schulpflichtige Kinder oder Lehrkräfte umziehen und dabei Bundeslandgrenzen überschreiten.
Große Vielfalt mit Trend zur Zweigliedrigkeit
Karte 1 zeigt die Vielfalt der Schulsysteme nach Bundesländern durch die unterschiedliche Aufgliederung der Schularten, durch die Anzahl der Jahre, die an der jeweiligen Schulart verbracht werden, und durch die Verteilung der Schüler/innen auf die weiterführenden Schularten. Zwei Sachverhalte werden besonders deutlich. Erstens: In Berlin und Brandenburg verbringen die Kinder nicht nur vier, sondern sechs Jahre in der Grundschule, bevor sie sich für eine weiterführende Schule entscheiden müssen. Zweitens: In den neuen Ländern gab es immer schon einen klaren Trend zu einem zweigliedrigen Schulsystem, da es in den meisten dieser Länder noch nie eine Hauptschule gab.
Die jüngsten strukturellen Veränderungen in den alten Ländern lassen auch hier einen Trend zu Abschaffung der Hauptschule erkennen, die mittlerweile die Ausnahme darstellt (vgl. Karte 1 und Karte 2). Sie besteht derzeit noch in Niedersachsen, Nordrhein-Westfalen, Hessen, Baden-Württemberg und Bayern, wobei sie in Bayern mit rund einem Viertel der Schüler/innen in weiterführenden Schulen den höchste Anteil im Ländervergleich aufweist. 2011/12 besuchten deutschlandweit rund 660.000 Schüler/innen die Hauptschulen (Grafik), der Anteil in Bayern betrug mit rund 214.000 Schüler/innen fast ein Drittel. Die Befürworter des dreigliedrigen Schulsystems argumentieren mit dem kontinuierlich sehr guten Abschneiden der Schüler/innen in den PISA-Studien (Glossar; AUTORENGRUPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG 2012, S. 82ff). Im Verlauf dieser Studien haben zwar die Gymnasialquoten in allen Ländern zugenommen, jedoch bleiben die sozialen Disparitäten hoch: „61% der 15-jährigen aus Elternhäusern mit hohem, aber nur 16% aus solchen mit niedrigem sozioökonomischem Status besuchten 2009 das Gymnasium“ (AUTORENGRUPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG 2012, S. 70). Eine große Vielfalt besteht sowohl in der Benennung als auch in der Gestaltung der „Schularten mit mehreren Bildungsgängen“, worunter sich nicht selten sog. „kooperative Gesamtschulen“ verbergen, in denen nebeneinander Klassen von Haupt-, Realschul- und gymnasialen Zweigen geführt werden. In integrierten Gesamtschulen werden dagegen Schüler/innen nur in einzelnen Fächern unterschiedlich aufgeteilt.
Die Kultusministerkonferenz (KMK), die bereits 1948 vor Gründung der Bundesrepublik ins Leben gerufen wurde, soll die Koordination der Bildungspolitik sichern und z.B. die Vergleichbarkeit der Bildungsabschlüsse gewährleisten. Sie arbeitet in zahlreichen Ausschüssen und Kommissionen an Vereinheitlichungen, wie z.B. an bundesweiten gemeinsamen Abiturprüfungen in den Fächern Mathematik, Deutsch und Englisch (KMK 2013).
Schularten, die auf den Karte fehlen…
Was in den Karten nicht dargestellt wurde, aber dennoch bedeutsam ist, sind zum einen die sonderpädagogischen Förderschulen (Grafik), deren Quoten zwischen den Ländern aktuell sehr differieren (10,9 Prozent in Mecklenburg-Vorpommern und 4,7 Prozent in Rheinland-Pfalz), wobei der integrative Unterricht in den vergangenen Jahren fast überall stark angestiegen ist (AUTORENGRUPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG 2012, S. 70f). Auch hier ist eine intensive Diskussion der seit 2009 in Deutschland gültigen UN-Behindertenrechtskonvention im Gange, nach der Eltern behinderter Kinder die Aufnahme ihrer Kinder in einer Regelschule einfordern können (Stichwort Inklusion). Ein anderer (in den Karten nicht dargestellter) Trend ist der Anstieg der Schulen und Schüler/innen in freier Trägerschaft bei insgesamt rückläufigen Schul- und Schülerzahlen: Der Anteil der freien Schulen an allen Schulen ist von 1998 bis 2010 von rd. fünf Prozent auf fast zehn Prozent gestiegen (AUTORENGRUPPE BILDUNGSBERICHTERSTATTUNG 2012, S. 71).
Ausblick Die Schullaufbahnen unterscheiden sich mittlerweile nicht nur zwischen den Bundesländern, sondern die zunehmende Vielfalt der privaten Schulen führt auch zur Individualisierung der Bildungsbiographien in Deutschland. Ob sich die Bundesrepublik Deutschland diese Vielfalt der Schulsysteme mit Blick auf eine mobile Gesellschaft von Schülern/innen und Lehrkräften in Zukunft „leisten“ kann und soll, kann durchaus kontrovers diskutiert werden.