Die Turteltaube zählt inzwischen zu den seltenen Vogelarten in Deutschland. Mit dem Rückgang der Brachen und Auwälder sowie der Intensivierung der Landwirtschaft haben sich die heimischen Bestände seit 2009 halbiert. Nur noch etwa 12.500 bis 22.000 Brutpaare gibt es bundesweit. Wo sie sich derzeit zum Brüten aufhalten, zeigen aktuelle Deutschlandkarten. Trotz ihrer globalen Gefährdung ist die Jagd auf den Zugvogel selbst in einigen EU-Staaten noch erlaubt. Ihr fallen nach Schätzungen jährlich etwa 1,4 bis 2,2 Millionen Turteltauben zum Opfer.

Die Turteltaube (Streptopelia turtur) ist die kleinste und gleichzeitig seltenste bei uns lebende Taubenart. Neben ihr kommen noch vier weitere Taubenarten in Deutschland als Brutvögel vor: Hohltaube (Columba oenas), Ringeltaube (Columba palumbus) und Türkentaube (Streptopelia decaocto) sowie die verwilderte (von der Felsentaube abstammende) Straßentaube (Columba livia f. domestica) (Gedeon u.a. 2014). Tauben finden bereits seit Jahrtausenden als Glücksboten und Hoffnungsbringer Erwähnung. Sie sind ein Symbol der Seele und werden oft als Engel des Friedens oder der Liebe bezeichnet. Als besonderes Symbolbild der Liebe und Verbundenheit gilt die Turteltaube. Ihr Name ahmt lautmalerisch ihren „Gesang“ nach, ein verglichen mit anderen Taubenarten wohlklingendes Gurr-Gurr. Das zärtlich-verliebt anmutende Verhalten der Brutpaare hat zum Begriff „Turteln“ geführt. Doch darüber hinaus ist über die Turteltaube in der Öffentlichkeit recht wenig bekannt, vor allem über ihre mittlerweile starke Gefährdung hierzulande und in weiten Teilen ihres europäischen Brutgebietes. Um den drastischen Rückgang sowohl im Bestand als auch in der Verbreitung in den Fokus der Öffentlichkeit zu bringen, hat der Naturschutzbund Deutschland (NABU) die Turteltaube zum „Vogel des Jahres 2020“ gekürt.

Verbreitung und Jahreszyklus
Die Turteltaube besiedelt weite Teile Europas und Asiens. Zum Brutareal gehören im Süden die Kanarischen Inseln, Nordafrika und die Arabische Halbinsel. Von Südwesteuropa erstreckt sich das Verbreitungsgebiet bis nach Zentralasien. Island, der Norden der Britischen Inseln und weite Teile Dänemarks und Fennoskandiens sind unbesiedelt (Baptista u.a. 2020). Der europäische Bestand wird auf 3,2 bis 5,9 Millionen Paare geschätzt. Innerhalb der EU bilden Spanien, Frankreich, Italien und Rumänien die Schwerpunkte der Verbreitung (NABU/LBV 2019).

Turteltauben sind Zugvögel. Sie verbringen den Winter in Afrika südlich der Sahara vor allem in der Sahelzone (Zwarts u.a. 2009, Bairlein u.a. 2014). Sie kehren von dort ab Mitte April zurück und ziehen im Spätsommer wieder in die Überwinterungsgebiete. Ende September haben uns die meisten Turteltauben bereits wieder verlassen (Grafik 1). Turteltauben brüten während der Anwesenheit bei uns ein-, teilweise zweimal. Das Gelege umfasst meist zwei Eier (Bauer u.a. 2005).

Verbreitung und Lebensraum in Deutschland
In Deutschland tritt die Turteltaube als Brutvogel vor allem im Norddeutschen Tiefland und der nördlichen bzw. westlichen Mittelgebirgsregion in Höhen bis 350 Meter auf (Karte 2). Die Hauptvorkommen liegen im Wendland, der Altmark, dem Nördlichen Harzvorland, Rheinhessen und der Oberlausitz, d.h. in klimatisch begünstigten Räumen (Gedeon u.a. 2014, Karte 3, Glossar). Turteltauben brüten in offenen und halboffenen Landschaften, hierzulande vor allem in Gebüschen und Feldgehölzen der vom Menschen genutzten Kulturlandschaft sowie an den Rändern lichter, strukturreicher Wälder. Auch Auwälder, wiederbewaldende Heiden, verbuschte Moorränder, ehemalige Truppenübungsplätze und Bergbaufolgelandschaften werden besiedelt. Selbst in größeren Gärten, Parks und Obstbaumkulturen kann man gelegentlich Turteltauben antreffen (Südbeck u.a. 2005).

Turteltauben ernähren sich vorzugsweise von Wildkräuter- und Baumsamen, die sie vom Boden aufpicken. Doch ist das Samenangebot von Klee, Vogelwicke oder Leimkraut am Rand der landwirtschaftlich genutzten Flächen in den letzten Jahrzehnten immer geringer geworden. Die Vögel haben ihre Nahrung daher zum Großteil auf landwirtschaftliche Sämereien wie Sonnenblumenkerne, Raps- und Weizensamen umstellen müssen (NABU/LBV 2019).

Bestandsentwicklung und Verbreitung
In den 1940er- und 1950er-Jahren war die Turteltaube noch weit verbreitet und ihr markantes Gurren an jedem Dorfrand oder Flussufer zu hören. Doch seitdem ist der Bestand sehr stark zurückgegangen. Der Rückgang hält unvermindert an: Nach den Daten des bundesweiten Monitorings häufiger Brutvögel (Glossar) hat sich der Brutbestand zwischen 1992 und 2016 um fast 90 Prozent auf 12.500 bis 22.000 Brutpaare reduziert (Gerlach u.a. 2019, Grafik 1). Auch das Brutgebiet in Deutschland hat sich sichtbar verkleinert (Karte 1, Glossar). Nicht ohne Grund wird die Turteltaube daher in der aktuellen Roten Liste der Brutvögel Deutschlands als „stark gefährdet“ geführt (Grüneberg u.a. 2015).

Die Entwicklungen in vielen anderen Ländern Europas sind vergleichbar. Zwischen 1980 und 2016 hat der europäische Brutbestand um 80 Prozent abgenommen (PECBMS 2020). In Großbritannien ist die Art mit einem Rückgang von 94 Prozent mittlerweile sogar fast ausgestorben (NABU/LBV 2019). Aufgrund dieser dramatischen Bestandsrückgänge wurde die Turteltaube 2015 in die Liste der „global gefährdeten Arten“ aufgenommen (BirdLife International 2019).

Ursachen für den dramatischen Rückgang
Die Ursachen des katastrophalen Rückgangs der Turteltaube sind vielfältig. Brachen und Auwälder sind weitgehend aus der Landschaft verschwunden. Die Intensivierung der Landwirtschaft hat dazu geführt, dass Wildkräutersamen an Feldwegen und Ackersäumen immer weniger werden und sich die Nahrungsgrundlage verändert hat. In der ausgeräumten Landschaft ist zudem das Angebot geeigneter Nistplätze deutlich geringer. Hinzu kommen Lebensraumverluste und -verschlechterungen durch Land- und Forstwirtschaft in den Brut-, aber auch in den Rastgebieten in Nordafrika sowie in den Überwinterungsgebieten. Entlang des Zugweges wirken sich auch die Auswirkungen des Klimawandels mit einer Ausbreitung der Wüsten zunehmend aus (NABU/LBV 2019).

Auf ihrem Zug zwischen den Brut- und Überwinterungsgebieten sind Turteltauben zudem in erheblichem Maße direkter menschlicher Verfolgung ausgesetzt: Trotz der globalen Gefährdung ist die Jagd auf Turteltauben in insgesamt zehn EU-Staaten nach wie vor erlaubt. 1,4 bis 2,2 Millionen Turteltauben werden Schätzungen zufolge jährlich geschossen. Besonders gravierend für die Bestandsentwicklung ist die Jagd auf dem Frühjahrszug, denn sie trifft Vögel, die den Winter überlebt haben und bald brüten würden. Neben der legalen Jagd ist vor allem im Mittelmeerraum die illegale Tötung ein weiteres Problem, der jährlich mehr als 600.000 Turteltauben zum Opfer fallen (NABU/LBV 2019).

Ein im Mai 2018 auf einem Treffen aller EU-Mitgliedstaaten verabschiedeter Aktionsplan zum Schutz der Turteltaube soll den Bestand wieder in einen günstigen Erhaltungszustand bringen (NABU/LBV 2019).

Bairlein, F.; Dierschke, J.; Dierschke, V.; Salewski, V.; Geiter, O.; Hüppop, K.; Köppen, U. u. W. Fiedler (2014): Atlas des Vogelzugs – Ringfunde deutscher Brut- und Gastvögel. 1. Auflage. Wiebelsheim.

Baptista, L. F., Trail, P. W.; Horblit, H. M.; Boesman, P.; Sharpe, C. J.; Kirwan, G. M. u. E. F. J. Garcia (2020): European Turtle-dove (Streptopelia turtur). In: del Hoyo, J.; Elliott, A.; Sargatal, J.; Christie, D. A. u. E. de Juana (Hrsg.): Handbook of the Birds of the World Alive. Barcelona.

Bauer, H.-G.; E. Bezzel, E. u. W. Fiedler (2005): Das Kompendium der Vögel Mitteleuropas. Band 1: Nonpasseriformes – Nichtsperlingsvögel. 2. Aufl. Wiebelsheim.

BirdLife International (Hrsg.) (2019): Streptopelia turtur. The IUCN Red List of Threatened Species 2019: e.T22690419A154373407.

DDA (Dachverband Deutscher Avifaunisten) (Hrsg.): www.dda-web.de

DDA (Dachverband Deutscher Avifaunisten) (Hrsg.): www.ornitho.de

Gedeon, K.; Grüneberg, C.; Mitschke, A.; Sudfeldt, C.; Eikhorst, W.; Fischer, S.; Flade, M.; Frick, S.; Geiersberger, I.; Koop, B.; Kramer, M.; Krüger, T.; Roth, N.; Ryslavy, T.; Stübing, S.; Sudmann, S. R.; Steffens, R.; Vökler, F. u K. Witt (2014): Atlas Deutscher Brutvogelarten. Atlas of German Breeding Birds. Stiftung Vogelmonitoring Deutschland und Dachverband Deutscher Avifaunisten. Münster.

Gerlach, B.; Dröschmeister, R.; Langgemach, T.; Borkenhagen, K.; Busch, M.; Hauswirth, M.; Heinicke, T.; Kamp, J.; Karthäuser, J.; König, C.; Markones, N.; Prior, N.; Trautmann, S.; Wahl, J. u C. Sudfeldt (2019): Vögel in Deutschland – Übersichten zur Bestandssituation. DDA, BfN, LAG VSW, Münster.

Grüneberg, C.; Bauer, H.-G.; Haupt, H.; Hüppop, O.; Ryslavy, T. u P. Südbeck (2015): Rote Liste der Brutvögel Deutschlands, 5. Fassung, 30. November 2015. Berichte zum Vogelschutz 52, S. 19‒67.

NABU/LBV (Naturschutzbund Deutschland/ Landesbund für Vogelschutz in Bayern) (Hrsg.) (2019): Die Turteltaube – Vogel des Jahres 2020. DBM Druckhaus, Berlin. URL: https://www.nabu.de/imperia/md/content/nabude/vogelschutz/vdj/nabu_vdj2020_broschuere_rz_web_nabu_03.pdf. Abrufdatum: 30.04.2020.

PECBMS (2020): Trends of common birds in Europe, 2019 update. Pan-European Common Bird Monitoring Scheme, EBCC/BirdLife/RSPB/CSO. pecbms.info/trends-of-common-birds-in-europe-2019-update. Abrufdatum: 28.04.2020.

Zwarts, L.; Bijlsma, R. G.; van der Kamp, J. u. E. Wymenga (2009): Living on the edge: Wetlands and birds in a changing Sahel. Zeist.

Bildnachweis
Turteltaube © Michael Radloff, www.naturfotografie-radloff.de

Zitierweise
Christopher König, Bettina Gerlach, Sven Trautmann u. Johannes Wahl (2020): Die Turteltaube in Deutschland: starke Bestands- und Verbreitungsrückgänge beim Vogel des Jahres 2020. In: Nationalatlas aktuell 14 (05.2020) 3 (07.05.2020]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL).
URL: http://aktuell.nationalatlas.de/turteltaube-3_05-2020-0-html

Nationalatlas aktuell wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des von den Abgeordneten des Sächsischen Landtages beschlossenen Haushaltes.

Christopher König
Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) e.V.
An den Speichern 6
48157 Münster
E-Mail: koenig@dda-web.de
Tel.: (0251) 210140-13

Bettina Gerlach
Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) e.V.
An den Speichern 6
48157 Münster

Sven Trautmann
Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) e.V.
An den Speichern 6
48157 Münster

Dr. Johannes Wahl
Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) e.V.
An den Speichern 6
48157 Münster

Datengrundlage der Karten
Bei den Daten 2005-2009 handelt es sich um eine flächige Erfassung auf der Basis der topographischen Karten im Maßstab 1 : 25 000 (TK25). Die Daten für 2015-2019 basieren hingegen auf Gelegenheitsbeobachtungen, d.h. Nicht-Vorkommen können auch aufgrund einer geringen Meldeaktivität zustande kommen.

Monitoring häufiger Brutvögel
Seit 2004 werden beim Monitoring häufiger Brutvögel (MhB) auf vorgegebenen 1 km² großen Probeflächen alle vorkommenden Brutvogelarten erfasst, seit 2020 digital mit der App NaturaList. Jährlich werden von ehrenamtlichen Ornithologen auf mehr als 1.700 dieser Flächen Vögel nach vorgegebenen Standards gezählt. Diese Erfassungen bilden die Grundlage zur Berechnung von Bestandstrends, sowie für politische Indikatoren und wissenschaftliche Auswertungen.

Dachverband Deutscher Avifaunisten (DDA) e.V.
Der Dachverband Deutscher Avifaunisten ist der Zusammenschluss aller landesweiten und regionalen ornithologischen Verbände in Deutschland. Insgesamt vertritt er damit etwa 10.000 Feldornithologen und Vogelbeobachter. Zu den Hauptaufgaben des DDA gehört die Koordination bundesweiter Programme zur Erfassung der heimischen Vogelwelt, deren Ergebnisse eine maßgebliche Grundlage für den angewandten Vogelschutz in Deutschland bilden. Hier sind insbesondere die Monitoringprogramme für häufige und seltene Vogelarten und die Wasservogelzählungen zu nennen. Die Deutsche Avifaunistische Kommission ist als Fachgremium dem DDA angeschlossen. Der DDA ist Ausrichter des alljährlichen, bundesweiten Birdrace und Träger des Internetportals ornitho.de.

ornitho.de
Seit dem Start Ende 2011 hat sich ornitho.de zum führenden Internetportal für die Sammlung, Archivierung und Auswertung von Vogelbeobachtungen in Deutschland entwickelt. Über 30.000 Nutzer haben inzwischen einen Datenbestand von mehr als 45 Mio. Vogelbeobachtungen zusammengetragen. Im gesamten deutschsprachigen Raum und weit darüber hinaus haben sich ornitho-Portale in den letzten Jahren etabliert und ermöglichen durch eine enge Zusammenarbeit umfangreiche Auswertungen. Jeder Vogelbeobachter vom Laien bis zum Experten kann mit seinen eigenen Sichtungen dazu beitragen, das Bild über das Auftreten und die Verbreitung der Vogelarten zu verbessern.

ornitho-Regioportal
Ziel eines Verbundprojektes des Leibniz-Instituts für Länderkunde (IfL), des Leibniz-Instituts für Wissensmedien und des DDA ist es, eine neue Generation interaktiver Online-Karten zur Visualisierung der Daten aus ornitho.de zu entwickeln. Die regionalisierten Kartendarstellungen sollen einerseits die Vielfalt „vor der eigenen Haustüre“ zeigen, aber auch dazu animieren, gezielt Beobachtungslücken zu schließen. Denn trotz der großen Anzahl an Vogelbeobachtungen, die auf ornitho.de gemeldet wurden, gibt es noch viele „weiße Flecken“, d.h. Räume, in denen nur selten beobachtet wird bzw. für die teilweise noch gar keine Meldungen vorliegen. Um Veränderungen in der Brutverbreitung der Turteltaube und anderer Arten nachvollziehen zu können, sind verlässliche und flächendeckende Angaben wichtig. Das im Rahmen des Projektes entwickelte ornitho-Regioportal wird dazu einen wichtigen Beitrag leisten.
Das Projekt „Artenvielfalt erleben – Wie Naturforschung vor der eigenen Haustür von interaktiven Webkarten profitiert“ wird vom Bundesministerium für Bildung und Forschung im Forschungsbereich „Bürgerforschung“ gefördert.