Endstation Grenze
Um Grenzregionen zu stärken und die europäische Integration weiter voranzutreiben, hat die Europäische Kommission (2022) die Förderung grenzübergreifender Mobilität zu einem der fünf Hauptziele ihrer Kohäsionspolitik (Förderung einer ausgewogenen und nachhaltigen territorialen Entwicklung) bis 2027 erklärt. Dazu müssen jedoch verschiedene Hürden überwunden werden: Auf beiden Seiten der Grenze müssen Informationen miteinander geteilt und Fahrpläne und Tarifsysteme aufeinander angepasst werden, sodass eine gemeinsame Koordination des grenzübergreifenden ÖPNV möglich wird. Selbst innerhalb Deutschlands ist dies beispielsweise zwischen den Bundesländern keine Selbstverständlichkeit. Darüber hinaus muss auch die technische Kompatibilität der Infrastruktur sichergestellt beziehungsweise neu entwickelt werden, etwa in Bezug auf Bahnstromsysteme, die signaltechnische Ausrüstung und arbeitsrechtliche Vorschriften (Medeiros u. a. 2021). Eine grenzüberschreitende Ausschreibung, Finanzierung und Bestellung von Verkehrsleistung, Fahrzeugen und Instandhaltung stellt die Aufgabenträger vor zusätzliche organisatorische Hürden.
Zwischen Frankreich und Deutschland ist beispielsweise das grenzüberschreitende Bahn-Angebot durch zu wenige geeignete Fahrzeuge mit geringen Kapazitäten limitiert und „erfüllt in keiner Weise die heutigen Kundenanforderungen“ (Heilmann 2022, S. 5). Aus diesem Grund wurden bereits 30 neue Züge bestellt, die mehr Fahrgästen Platz bieten und sowohl elektrisch als auch mit einem Dieselmotor betrieben werden, sodass sie flexibler einsetzbar sind. Der Ausbau der grenzüberschreitenden Verbindungen wird jedoch dadurch erschwert, dass drei der insgesamt sieben Bahnstrecken zwischen Frankreich und Deutschland sanierungsbedürftig sind und eine Einigung auf gemeinsame, attraktive Tarife noch aussteht (Heilmann 2022).
Damit die innereuropäische Grenze nicht zur Endstation wird, sind sowohl finanzielle Mittel als auch politischer Wille notwendig. In Deutschland sind die Planung und Organisation des ÖPNV dezentralisiert und Aufgabe kommunaler und regionaler Aufgabenträger. Kommunen, Landkreise, Zweckverbände, Verkehrsverbünde und Bundesländer müssen an einem Strang ziehen und bei grenzüberschreitenden Kooperationen eine besondere Anstrengung leisten. Die großen Unterschiede in der Dichte und Taktung grenzüberschreitender Verbindungen verwundern daher nicht: Die beiden Deutschlandkarten, die auf eigenen aktuellen Recherchen basieren (Glossar), geben einen Überblick über den Status Quo in Deutschland. Es werden regionale Defizite sichtbar, die zugleich erhöhte Handlungsbedarfe signalisieren.
Regionale Unterschiede
Schon der erste Blick auf Karte 1 zeigt, dass die insgesamt 179 grenzüberschreitenden ÖPNV-Linien in Deutschland ungleich verteilt sind: Während die Grenzgebiete zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz sowie Nordrhein-Westfalen und den Niederlanden durch viele Verbindungen und hohe Taktungen eng miteinander verbunden sind, sieht es zwischen Bayern und Tschechien oder Brandenburg und Polen ganz anders aus. Mit Hilfe des Tooltips kann jede grenzübergreifende Verbindung mit Verkehrsmittel, Taktung, Bedientagen und Sitzplätzen angezeigt werden.
Karte 2 gibt die räumlichen und zeitlichen Intensitäten der grenzüberschreitenden ÖPNV-Linien in den jeweiligen Grenzregionen wieder. Die Grenzregion Saarland-Luxemburg kann mit durchschnittlich 28 Fahrten pro Stunde und 100 Grenzkilometer die mit Abstand höchste räumliche Intensität von ÖPNV-Verbindungen vorweisen, wobei der hohe Wert vor allem auf die verhältnismäßig kurze Grenze und nicht auf die Anzahl der Fahrten pro Stunde zurückzuführen ist. Direkt danach folgen die Grenzregionen zwischen Baden-Württemberg und der Schweiz sowie Nordrhein-Westfalen und den Niederlanden. Die hohe Dichte und Taktung des ÖPNV kann dabei nicht allein den deutschen Aufgabenträgern zugeschrieben werden. Insbesondere Luxemburg und die Schweiz treiben den Ausbau grenzüberschreitender Verbindungen durch Investitionen und neue Kooperationen voran (Cavallaro/Dianin 2020).
Schlusslichter bilden die Grenzregionen zwischen Rheinland-Pfalz und Belgien, Bayern-Tschechien, Brandenburg-Polen und Niedersachsen-Niederlande mit weniger als zwei Fahrten pro Stunde und 100 Grenzkilometer. Die dominierenden Verkehrsmittel im ÖPNV sind dabei in allen Grenzregionen Busse und Regionalzüge. Grenzüberschreitende Straßenbahnlinien werden in Deutschland ausschließlich in Weil am Rhein (Bild), Kehl und Saarbrücken betrieben und befinden sich somit in bereits engmaschig vernetzten Ballungsräumen (Karte 1). Die visualisierten ÖPNV-Angebote bilden jedoch in keiner Weise das tatsächliche Mobilitätsgeschehen ab. So findet in den polnisch-brandenburgischen und tschechisch-bayrischen Grenzregion intensiver Pendelverkehr statt, der aber nahezu komplett über das Auto abgewickelt wird.