Im Jahr 1976 trat die Bundesrepublik Deutschland als 25. Staat dem „Übereinkommen zum Schutz des Kultur- und Naturerbes der Welt” (UNESCO-Welterbekonvention) bei (Glossar). Der Aachener Dom zählte zu einer der ersten 13 Stätten, die schon zwei Jahre später in die World Heritage List aufgenommen wurden. Bis heute haben 36 deutsche „Kultur- und Naturgüter“ diesen Status erreicht, zuletzt die niedersächsischen Faguswerke in Alfeld (Karten 1 u. 2).
Zeitlicher Abriss
Die Geschichte der Ausweisung deutscher Welterbestätten lässt sich in drei Phasen untergliedern. In der ersten Phase bis Ende 1990 wurden insgesamt zehn Kulturstätten in die Welterbeliste aufgenommen, von denen nur eine in den neuen Ländern lag. Hintergrund war, dass die DDR erst im Dezember 1988 die Welterbekonvention unterzeichnete. Die DDR-Vorschlagsliste aus dem folgenden Jahr wies 35 potenzielle Stätten auf, von denen fünf für eine Nominierung im Jahr 1990 vorgesehen waren. „Die Schlösser und Parks von Potsdam“ (1992 um Berlin erweitert) schafften es schließlich 1990 auf die UNESCO-Welterbeliste, und zwar noch vor der Vereinigung der beiden deutschen Staaten (Karten 1 u. 2).
Die zweite Phase wurde durch die neu formulierte Vorschlagsliste des vereinten Deutschlands geprägt. Auf dieser wurde dem kulturellen Erbe in den neuen Ländern bewusst Priorität eingeräumt und eine Ausweisungsfrequenz von jährlich ein bis zwei Stätten ab 1992 angestrebt – ein Ziel, das mit 13 erfolgreichen Nominierungen bis zum Jahr 2000 erreicht wurde. Von den 35 Vorschlägen der alten DDR-Liste wurden acht Nominierungsverfahren erfolgreich abgeschlossen.
In dieser Phase wurde auch das so genannte Weltdokumentenerbe ins Leben gerufen, ein Verzeichnis im Rahmen des 1992 von der UNESCO gegründeten Programms „Memory of the World“ (Gedächtnis der Menschheit). Es dient dem Erhalt des dokumentarischen Erbes der Menschheit. Berücksichtigung finden besonders wertvolle Buchbestände, Handschriften, Partituren, Unikate, Bild-, Ton- und Filmdokumente.
In der dritten Phase (Vorschlagliste 2000-2011) wurde der Mitte der 1990er-Jahre formulierten Forderung nach einer räumlich wie inhaltlich ausgewogenen Welterbeliste Rechnung getragen (Schlünkes 2009). Neben der stark vertretenen Kategorie der Einzeldenkmale wurden in verstärktem Maße historische Kulturlandschaften (u.a. Mittelrheintal, Montan- und Kulturlandschaft Erzgebirge) berücksichtigt.
Die nächste Vorschlagsliste wird das Nationale Welterbekomitee erst im Jahr 2013 einreichen. Hierfür sind alle Bundesländer bis Herbst 2012 aufgefordert, jeweils zwei Stätten zu nominieren.
Vielfalt des Welterbes
Ein wesentlicher Kritikpunkt an der derzeitigen Welterbeliste stellt die einseitige, verstärkt Kulturgüter berücksichtigende Vorschlagspolitik der Staaten dar. Zudem wird in der „Global Strategy for a Representative, Balanced and Credible World Heritage List“ eine „Eurozentrische Liste“ bemängelt. In der Tat befindet sich die Hälfte der Stätten in Europa, wo sich zudem die Ausweisung unberührter natürlicher Lebensräume durch die anthropogenen Überprägungen seit dem Neolithikum (Jungsteinzeit) sowie die Siedlungsdichte schwierig gestaltet.
Ein Beispiel für diese Problematik ist Deutschland – wo nur drei Stätten zum Weltnaturerbe gehören. Daneben sind die im wesentlichen Boden- und Flächendenkmale berücksichtigenden Ausweisungskriterien II (20 von 36) und IV (29 von 36) erheblich überrepräsentiert (Karte 1 u. Graphik). Der ungleich geringeren Anwendung des Kriteriums V (2 von 36) kann durch die stärkere Betonung der Kulturlandschaft bei zukünftigen Nominierungen entgegengewirkt werden.
Im Jahr 2004 gab die Kultusministerkonferenz in Zusammenarbeit mit dem Bundesamt für Naturschutz eine Studie zur Identifikation potenzieller Weltnaturerbestätten in Deutschland in Auftrag (Plachter/Kruse/Kruckenberg 2006). Die Ergebnisse überschnitten sich deutlich mit den durch die Fachbehörden für Naturschutz betreuten Gebieten. Der Schritt in Richtung grenzübergreifender, räumlich nicht zusammenhängender Einheiten, wie bei den „Buchenwäldern“, scheint dabei eine sinnvolle „europäische“ Lösung (Karten 1 u. 2). Die Identifikation von Gebieten, die dem Kriterium X gerecht werden könnten, ist jedoch nicht in Aussicht (Graphik).
Gefährdetes Weltkulturerbe
Artikel 11 der Welterbekonvention sieht ausdrücklich eine zweite Welterbeliste derjenigen Kultur- und Naturgüter vor, die durch ernste Gefahren wie die Beeinträchtigung der architektonischen und baulichen Geschlossenheit oder auch Änderungen der Rechtsstellung bedroht sind (Offenhäuser 2008). Weltweit sind dies zur Zeit (2011) 35 Stätten. Es obliegt dem entsprechenden Vertragsstaat, die festgestellten Beeinträchtigungen durch abgesprochene Maßnahmen zu beseitigen – ansonsten droht die endgültige Streichung von der Welterbeliste.
Dies geschah 2009 in Deutschland mit der Aberkennung des Titels UNESCO-Weltkulturerbe für das „Dresdner Elbtal“ (Karten 1 u. 2). Dieser Vorgang hat zu einer verstärkten Debatte über die Governance-Effekte einer Ausweisung geführt (vgl. Schmitt 2011). Insbesondere in Staaten, die nach dem Subsidiaritätsprinzip organisiert sind, kann der Graben zwischen staatlicher Vertragsverpflichtung und planerischer Hoheit der untergeordneten Gebietseinheiten schwer überwindbare Probleme hervorbringen. Die 2008 verabschiedeten Richtlinien für die Durchführung der Konvention sehen ein Monitoring-System vor, in dem potenzielle Gefährdungen frühzeitig identifiziert werden können – derzeit befinden sich neun deutsche Erbestätten unter Beobachtung (Karte 1).
Ausblick
Mit dem Austritt der USA 2011 ist der UNESCO der wichtigste Geldgeber (ein Drittel der Einkünfte) weggefallen. Damit wird der Erhalt der umfangreichen Management- und Vermarktungsfunktion der Welterbestätten als wichtigsten Identifikationsgegenstands und Aushängeschildes der Organisation erheblich eingeschränkt. Ein Personalabbau ist vorprogrammiert – vor dem Hintergrund des 2008 eingeführten personalintensiven Monitorings eine problematische Perspektive.
Für Deutschland gehen in diesem Jahr das Markgräfliche Opernhaus Bayreuth und die Kurfürstliche Sommerresidenz Schwetzingen ins Rennen – wiederum Bau-, Boden und Gartendenkmale, die auch weiterhin die Ausweisungsstrategie bestimmen werden.