Charakteristisch für gemeinschaftliche Wohnprojekte ist, dass die zukünftigen Nutzerinnen und Nutzer schon an der Planung beteiligt sind und es auch später in der Nutzungsphase eine Mitbestimmung gibt. Dabei wollen die Bewohner im Rahmen einer Hausgemeinschaft – oder auch in einer Siedlung – von gemeinschaftlichen Aktivitäten, gegenseitiger Hilfe und einer verlässlichen Nachbarschaft profitieren. Baulich gefördert wird dies durch Begegnungszonen, gemeinschaftliche Gärten und Innenhöfe sowie Gemeinschaftsräume bzw. Gemeinschaftshäuser. Es handelt sich dementsprechend um eine Wohnform, bei der die Bewohner im täglichen Leben engere soziale Kontakte pflegen, als dies normalerweise unter Nachbarn üblich ist.
Regionale Verteilung
Für diesen Beitrag wurden fast 500 gemeinschaftliche Wohnprojekte erfasst, in denen insgesamt über 22.500 Personen leben (Glossar). Deutlich ist eine Konzentration in den Ballungsräumen Hamburg, Berlin, München und Ruhrgebiet, aber auch in Hannover und Freiburg i.Br. sowie im Rhein-Main-Gebiet erkennbar (Glossar, Karte 1). Hier wohnen die Pioniere des gemeinschaftlichen Wohnens, oft mit Wurzeln in der Hausbesetzerszene. Hier gibt es meist auch gewachsene Unterstützungsstrukturen für das gemeinschaftliche Wohnen. Die Etablierung und Häufung der Projekte in Städten kann gleichzeitig mit dem großen Anteil individualistischer Lebensformen und „moderner“ Lebensstile erklärt werden.
Zeitliche und inhaltliche Entwicklung
Gemeinschaftliches Wohnen war immer schon eine Alternative zum „normalen Wohnen“. Seit etwa zwei Jahrzehnten ist jedoch ein deutlicher Anstieg der realisierten Projekte zu verzeichnen, während für die 1970er Jahre lediglich neun Projekte erfasst wurden (Graphik u. Karte 2). Gleichzeitig wandeln, erweitern und ergänzen sich Ausgangspunkte und Inhalte des gemeinschaftlichen Wohnens.
Die Wohnprojekte, die bereits in den 1970er Jahren gegründet wurden, hatten schwerpunktmäßig einen emanzipatorischen Ansatz: Sie wollten ein Gegenmodell aufbauen zum gesellschaftlichen Mainstream, zur Kleinfamilie, zur Einbindung in kapitalistische Zusammenhänge und die „Professionalisierung“ von immer mehr Lebensbereichen.
In den 1980er Jahren entstanden die ersten „Kommune“-Projekte in Wirtschaftsgemeinschaft. Ebenfalls in den 1980er Jahren wurden Projekte mit einer expliziten Orientierung auf Zielgruppen und homogener Bewohnerstruktur gegründet, z.B. für Frauen und Alleinerziehende. Darüber hinaus entstanden in dieser Phase – geprägt durch das wachsende Bewusstsein für ökologische Zusammenhänge und die „Grenzen des Wachstums“ – die ersten baubiologischen und familienfreundlichen „Ökosiedlungen“ mit gemeinschaftlichem Bauen und Gemeinschaftshaus (Hanewinkel/Tzschaschel 2006).
In den 1990er Jahren entwickelte sich ein Schwerpunkt von Projekten speziell von und für ältere Menschen nach dem Motto „Nicht allein und nicht ins Heim“. Die gegenseitige Hilfe im Alter und die Gestaltung der Phase nach dem Berufsleben stehen im Mittelpunkt, teilweise sind die Projekte kombiniert mit Pflegeeinheiten. Im neuen Jahrtausend werden zunehmend die synergetischen Effekte des altersgemischten Wohnens entdeckt, und es entstehen immer öfter Mehrgenerationen-Wohnprojekte (Fedrowitz 2010).
Projekttyp und Größe
Gemeinschaft lässt sich am einfachsten in überschaubaren Einheiten erfahren und organisieren (Glossar). Fast 70% der Projekte sind dementsprechend Hausgemeinschaften, davon die Hälfte mit bis zu 30 Personen (Karten 1 u. 3). Etwas mehr als 20% der Projekte sind Siedlungsverbünde, bestehend aus mehreren Häusern mit einer oder mehreren Wohnungen.
Die Projekttypen mit dem intensivsten Gemeinschaftsleben, Kommunen und Wohngemeinschaften, machen einen Anteil von ca. 8 % aus (Karte 1). Kommunen sind meist im ländlichen Raum gelegen, da dies einer ganzheitlichen Lebensweise entgegenkommt und eigene Landwirtschaft ermöglicht. Wohngemeinschaften treten dagegen eher im städtischen Kontext auf.
Fast 40 der insgesamt rund 500 Projekte haben mehr als 100 Bewohner: Dazu zählen beispielsweise das Projekt Falkenried-Terrassen in Hamburg mit über 300 Wohneinheiten (WE), die Stiftung „Dorf in der Stadt“ in Heidenheim mit ca. 100 WE, die Allmende Wulfsdorf in Ahrensburg mit ca. 300 Personen, das Projekt SuSi in Freiburg i.Br. mit ca. 260 und das Projekt wagnis I in München mit ca. 230 Bewohnerinnen und Bewohnern.
Rechtsform und neue Trägermodelle
Die Rechtsform (Graphik u. Glossar) spielt für das gemeinschaftliche Wohnen eine zentrale Rolle, weil sie die Verknüpfung der konzeptionellen Ebene mit der finanziellen Ebene darstellt. Oftmals werden daher neben den üblichen Rechtsformen auch spezielle Konstruktionen gewählt („Mischform/andere“; Karte 4).
Die wenigen in den 1970er Jahren realisierten Projekte entwickelten sich überwiegend aus Einzelvermietungen, oft im studentischen Milieu. In den 1980er Jahren gab es dann gezielte Gründungen, wobei der überwiegende Teil der Projekte im Eigentum realisiert wurde. Die für diesen Zeitraum in der Graphik vermerkten Projekte des Mietshäuser-Syndikats haben diese Rechtsform erst später bekommen, z.B. im Rahmen der Legalisierung von Hausbesetzerprojekten.
In den 1990er Jahren stiegen erstmalig auch professionelle Wohnungsanbieter (Wohnungsunternehmen und alte Genossenschaften) in den Wohnprojekte-Markt ein. Den überwiegenden Anteil machten jedoch weiterhin die Eigentumsprojekte aus. Eine wachsende Rolle spielten zudem junge Genossenschaften. In dieser Phase wurden auch viele Hausbesetzerprojekte legalisiert. Darüber hinaus wurden mit dem Mietshäuser-Syndikat (1993) und dem Modell der Dachgenossenschaften (u.a. Schanze eG Hamburg, WoGeNo eG München, WoGe eG Hannover) zwei wichtige Trägermodelle entwickelt.
Seit etwa zehn Jahren kann man von einem neuen Trend sprechen, indem zunehmend Wohnungsgesellschaften, Investoren und traditionelle Genossenschaften Interesse an der Realisierung von Wohnprojekten zeigen.
Unterstützungsstrukturen für Wohnprojekte
Bei der Gründung gemeinschaftlicher Wohnprojekte sind einige Hürden zu überwinden (Fedrowitz/Gailing 2003). Wohnungspolitische Akteure, wie wohnbund e.V. und das Forum gemeinschaftliches Wohnen e.V., stellen mit ihren Regionalbüros wichtige Anlaufstellen dar (Karte 5). Ergänzend unterstützt beispielsweise die Stiftung trias Wohnprojekte durch vielfältige Informationsmaterialien und durch ein Wohnprojekte-Portal im Internet sowie durch die Übernahme der Bodenträgerschaft.
Inzwischen haben einige Gemeinden auf die Nachfrage und das steigende Interesse reagiert und bieten kommunale Unterstützungsbausteine für Wohnprojekte und Interessierte an. Dies geht von ersten Ansätzen und sporadischer Unterstützung bis zu festen Kontaktstellen, die strategisch und dauerhaft ein umfangreiches Angebot für Wohnprojekte zur Verfügung stellen. In Tübingen sind gemeinschaftliche Wohnprojekte und Baugemeinschaften sogar ein wesentlicher Bestandteil der kommunalen Stadtentwicklungsstrategie.
Ein anderes Element der Unterstützung und Vernetzung sind die sogenannten Wohnprojektetage. Sie tragen dazu bei, Informationen zu verbreiten, und bieten Möglichkeiten für Wohnprojektgruppen sich zu präsentieren und Mitglieder zu finden. Hamburg, München und Nordrhein-Westfalen sind Vorreiter bei diesen Veranstaltungen. Kleinere Veranstaltungen bieten einen „Markt der Möglichkeiten“ als Kontakt- und Infobörse; bei Veranstaltungen mittlerer Größe wird diese meist ergänzt durch Vorträge und Workshops für Projektinteressierte. Große Veranstaltungen haben einen stärkeren Tagungscharakter und richten sich auch an die Fachöffentlichkeit. Wanderausstellungen, Exkursionen zu bestehenden Wohnprojekten oder dezentrale „Tage der offenen Wohnprojekte“ erweitern Veranstaltungen um „Satelliten“ (Karte 5).