Bevölkerung – zentrales Merkmal zur Planung von Daseinsvorsorge und Infrastruktur
Statistische Angaben zur Bevölkerung eines Landes gelten als zentrale Information, um staatliche Leistungen effizient und bedarfsgerecht zu planen. Nach internationaler Gepflogenheit wird die Bevölkerung deshalb regelmäßig, meist alle zehn Jahre, in einem Zensus erfasst und fortgeschrieben. Neben der Einwohnerzahl werden dabei auch sozio-demographischen Merkmale (Alter, Geschlecht, Familienstand, Erwerbsbeteiligung usw.) und deren räumliche Verteilung (nach dem Wohnort in administrativen Einheiten) in verschiedenen Ämtern registriert. Deutschland hielt diesen zeitlichen Rhythmus zuletzt nicht ein. In der alten Bundesrepublik fand die letzte Volkszählung im Jahr 1987 statt, in der früheren DDR 1981. Daraus resultierten in wichtigen Politikfeldern Informationsdefizite, die eine präzise Planung von Maßnahmen der Daseinsvorsorge erschwerten. Dies wog umso schwerer, als nach der Wende massive demographische Strukturbrüche stattfanden und es zu rasanten Entwicklungen bisher nicht gekannten Ausmaßes kam (vergl. Nadler/Wesling 2013, Herfert/ Osterhage 2011, Herfert 2008). Der Zensus 2011 war aus Sicht vieler Behörden daher überfällig.
Methodik und Akzeptanz des Zensus 2011
Der Zensus 2011 unterscheidet sich in der Methodik wesentlich von den vorangegangenen Volkszählungen. Er ist nicht – wie bisher immer – eine Vollerhebung, sondern eine „registergestützte, durch eine Stichprobe und eine Vollerhebung in Gemeinschaftsunterkünften ergänzte Bevölkerungszählung, kombiniert mit einer Gebäude- und Wohnungszählung“ (StÄdBL 2011, S. 4). Sie fand am 9. Mai 2011 statt. Neu an dieser gemischten Methode ist, dass einige Merkmale nicht mit Fragebogen unmittelbar erhoben wurden, sondern aus bestimmten Registern stammten, d.h. aus bereits vorliegenden Datenbeständen. Diese Angaben wurden mit statistischen Schätzverfahren ergänzt. Entwickelt und erprobt wurde diese teils indirekte Methode in einem „Zensustest“ schon in den Jahren 2001 bis 2003. Experten behaupten, dass dieses Verfahren trotz seiner Komplexität kostengünstiger sei als eine herkömmliche Vollerhebung. Ob es auch qualitativ hinreichende Ergebnisse liefert, müssen nunmehr vielfältige zusätzliche Auswertungen belegen. Zahlreiche Kommunen haben gegen die vorläufigen Zensusergebnisse bzw. den Feststellungsbescheid juristischen Einspruch erhoben, was zeigt, dass nicht alle Gemeinden die Ergebnisse als hinreichend präzise akzeptieren. Je nach Bundesland hat dies ein Anhörungs- oder ein Widerspruchsverfahren zur Folge. Somit sind nunmehr rund vier Jahre nach dem Zensus noch immer zahlreiche als „vorläufig“ spezifizierte Ergebnisse verfügbar, denen inhaltliche und/oder juristische Vorbehalte anhängen.
Fortschreibungen zwischen den Volkszählungen
Zwischen den Volkszählungen werden die Bevölkerungsbestände indirekt durch eine Fortschreibung der Zensusergebnisse ermittelt. Zentrales Instrument einer solchen Fortschreibung ist die Bilanzgleichung. Sie stellt einen rechnerischen Zusammenhang her zwischen Anfangsbestand und Endbestand einer Bevölkerung sowie den dazwischen stattfindenden Bevölkerungsveränderungen (Geburten, Sterbefälle, Wanderungen). Im Rahmen der Fortschreibungen werden die sogenannten natürlichen Bewegungen der Geburten und der Sterbefälle weitgehend zuverlässig erfasst, ihre Registrierung auf den Standesämtern unterliegt einer strengen und effizienten Kontrolle. Weniger gut sieht es bei den Wanderungen aus – wenn auch nicht bei allen Wanderungstypen gleichermaßen. Zieht eine Person in eine Gemeinde zu, dann ist sie gesetzlich verpflichtet, dies innerhalb eines engen Zeitrahmens beim Einwohnermeldeamt des neuen Wohnsitzes anzuzeigen. Liegt ihre Herkunftsgemeinde auch innerhalb der Bundesrepublik Deutschland, dann findet seit neuerer Zeit ein Abgleich zwischen den Ämtern der Herkunfts- und der Zielgemeinde statt, sodass keine Doppelzählungen aufgrund einer versäumten Abmeldung entstehen können.
Internationale Wanderungen als Quelle für systematischen Fortschreibungsfehler
Weniger präzise sind die Daten zu internationalen Wanderungen. Für aus dem Ausland zuziehende Personen gilt die Meldepflicht ebenso wie bei den Binnenwandernden, hier ist die potenzielle Fehlerquelle ebenfalls gering. Doch bei Fortzügen ins Ausland besteht keine amtliche Kontrolle, ob der Weggezogene sich bei seinem bisherigen Einwohnermeldeamt auch abgemeldet hat. Die Außenfortzüge sind somit eine Schwachstelle bei der Erfassung der Wanderungsbewegungen und damit auch bei der Fortschreibung der Bevölkerung.
Der systembedingte Erfassungsfehler bei den internationalen Fortzügen führt allerdings zu nur teilweise erklärbaren Mustern in der Unschärfe der Fortschreibung. Wären die Fortzüge die einzige Fehlerquelle, dann müsste in allen Raumeinheiten eine Überschätzung des Bevölkerungsbestandes vorliegen. Tatsächlich gibt es aber auch Abweichungen in die andere Richtung. Dies kann zwei Ursachen haben: Untererfassungen bei den Zuzügen und/oder bei den Geburten (geringe Wahrscheinlichkeit) oder aber nachträgliche Registerbereinigungen der Bestandsbevölkerung (hohe Wahrscheinlichkeit) aufgrund eines geänderten Wohnstatus. Gerade in Universitätsstädten hatten zahlreiche Studenten im zweiten Wohnsitz gewohnt, hatten diesen Status geändert und werden nunmehr der Bevölkerung am ersten Wohnsitz zugeschlagen. Dies führt zu einer buchungstechnischen Bestandserhöhung, ohne dass mit diesem Zuwachs ein aktueller Zuzug verbunden wäre.
Regionale Differenzen zwischen Fortschreibung und Zensus
Für den weitaus größeren systematischen Anteil kann man sachliche und räumliche Besonderheiten feststellen: Der demographische Schwerpunkt der internationalen Wanderungen liegt bei der Gruppe der jungen Personen im Erwerbsalter. Dort sind die Abweichungen zwischen Fortschreibung und tatsächlicher Bevölkerungszahl besonders groß. Die geographische Verteilung der negativen Abweichungen verweist zudem auf diejenigen Kreise und kreisfreien Städte, in denen die Wanderungsbeziehungen zum Ausland intensiv sind. Dieser Zusammenhang gilt vorwiegend, aber nicht nur für hoch verdichtete Regionen, die eine wesentlich stärkere internationale Verflechtungsintensität aufweisen als ländliche Regionen.
Einige Abweichungen von diesem Grundmuster fallen auf (Karte 1). Rheinland-Pfalz führte bereits vor allen anderen Bundesländern ein landesinternes Rückmeldeverfahren bei den Binnenwanderungen ein, das zu einer höheren Präzision der Wanderungsstatistik führte. Zugleich profitierte es von der geringeren Gemeindegröße in diesem Bundesland. Die höhere Betroffenheit von Baden-Württemberg bei der Abweichung geht sehr wahrscheinlich auf Flüchtlinge aus dem früheren Jugoslawien zurück, die bei bereits hier wohnenden Verwandten Unterkunft fanden, in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre aber wieder zurück gingen, ohne sich jedoch abzumelden.