In Ostdeutschland findet ein sehr dynamischer demographischer Schrumpfungsprozess statt, der kein kurzzeitiges zyklisches Phänomen darstellt, sondern für die nächsten Jahrzehnte deutlich vorgezeichnet ist. Zugleich wird es differenzierte regionale Entwicklungspfade, ein Nebeneinander von Schrumpfung und Wachstum, von Gewinner- und Verliererregionen geben. Diese regionalen Unterschiede haben sich in den letzten Jahren verstärkt: Der Osten Deutschlands polarisiert sich zunehmend in wenige kleinräumige Wachstumsregionen einerseits und große Schrumpfungsregionen andererseits (Karte 1).
Arbeit ist treibender Faktor
Die Bipolarität von Schrumpfung und Wachstum resultiert nur in geringem Maße aus der natürlichen Bevölkerungsentwicklung, sondern ist vor allem die Folge einer regional differenziert verlaufenden Abwanderungswelle in die alten Länder: Während Wachstumsregionen wie Berlin oder Leipzig aufgrund ihres positiven Images und ihrer relativen Arbeits- und Ausbildungsplatzattraktivität Wanderungsgewinne haben, sind andere Räume aufgrund des Beschäftigtenabbaus von starker Abwanderung geprägt.
Suburbanisierung nahezu abgeschlossen
In den 1990er Jahren waren die neuen Länder durch einen sehr dynamischen Suburbanisierungsprozess gekennzeichnet (Karte 3). Dieser ist jedoch, mit Ausnahme der Stadtregion Berlin, fast völlig zum Erliegen gekommen (Glossar). Heute kann man von einer fast flächenhaften demographischen Schrumpfung in Ostdeutschland sprechen – ca. 85% aller Gemeinden hatten von 2000-2006 Bevölkerungsverluste (Karte 2). Auch in den einst prosperierenden suburbanen Räumen haben bereits demographische Schrumpfungsprozesse eingesetzt.
Wachstumsinseln stabilisieren Regionen
Aus der fast flächendeckenden demographischen Schrumpfungslandschaft Ostdeutschlands kristallisieren sich seit 2000 einzelne Wachstumsinseln heraus. In den Übergangsbereichen befinden sich als dritte Kategorie Räume mit gedämpfter Schrumpfung (Karte 1).
Die Wachstumsräume – Berlin/Potsdam, Dresden, Leipzig, Rostock und die thüringische Städtereihe Jena-Weimar-Erfurt sind durch Universitäten und regionale Wirtschaftszentren geprägt, wo Wirtschaft und Wissensökonomie mit einem positiven Image der Stadt verbunden sind. Hier hat sich ein Wandel von der Sub- zur Reurbanisierung vollzogen (Glossar u. Graphik 1): Die Kernstädte gewinnen Bevölkerung aufgrund einer verstärkten Zuwanderung aus dem eigenen Land bzw. den übrigen neuen Ländern (Graphik 2). Die neue Attraktivität dieser Städte zieht meist junge Bildungswanderer und Berufseinsteiger an, vorwiegend Singles und kinderlose Partnerschaften, während Familien nur eine untergeordnete Rolle spielen (Graphik 3). Durch den Zuzug besonders jüngerer Altersgruppen wird die strukturell vorgegebene Alterung der Bevölkerung in den Kernstädten wesentlich abgedämpft. Bei Fortsetzung dieses Trends werden die Wachstumsräume sich noch stärker aus der stark alternden Schrumpfungslandschaft Ostdeutschlands hervorheben.
Kollektives Abgleiten der Schrumpfungsräume
In den Schrumpfungsräumen hat ein demographischer Entwicklungspfad des „kollektiven Abgleitens“ in fast allen Gemeinden eingesetzt. Von dieser flächenhaften Dekonzentration sind vor allem Kleinstädte betroffen (Karte 4). Eine deutliche Abschwächung des Negativtrends ist aktuell nicht in Sicht. Die Wanderungsmuster werden weiterhin von der starken Abwanderung in die alten Länder dominiert, teilweise sogar mit steigender Tendenz. Zugleich, wenn auch in abgeschwächtem Umfang, werden diese stark schrumpfenden Regionen auch zu Quellgebieten für die ostdeutschen Wachstumsinseln. Zunehmend konzentriert sich die Abwanderung auf die jungen Mobilen der 19- bis 35-Jährigen; z.B. im Kreis Uecker-Randow (Mecklenburg-Vorpommern) erhöhte sich der Anteil dieser Altersgruppe von 70 auf fast 80% im Zeitraum 2000-2006. Familien mit Kindern sind an diesem Auszehrungsprozess nur in geringem Umfang beteiligt.
Städte wie Wolfen, Weißwasser, Guben, Hoyerswerda und Wittenberge, die bereits in den 1990er Jahren besonders stark von der ökonomischen Transformation und dem Wegbrechen der industriellen Basis betroffen waren, erfahren nach wie vor die höchsten Wanderungsverluste. Hier ist der Leidensdruck der Bevölkerung inzwischen so hoch, dass neben den jungen Mobilen auch Familien mittlerer und höherer Altersgruppen die Stadt verlassen. Neben einigen Mittelstädten sind vor allem auch viele Kleinstädte betroffen, was insbesondere für die peripheren ländlichen Regionen problematisch sein dürfte, da diese Städte wesentliche Träger der Regionalentwicklung sind. Damit verstärken sich Negativeffekte, werden Regionen vom allgemeinen Entwicklungstrend abgekoppelt.
Auch zukünftig wachsende Polarisierung
Unter den bestehenden Rahmenbedingungen wird sich der demographische Negativtrend in den stark schrumpfenden Räumen fortsetzen, teilweise infolge einer Abwärtsspirale aus Wachstumsschwäche, Jobabbau, Nachfragerückgang und Abwanderung sogar forcieren. Diese Tendenz hat sich trotz des aktuellen Konjunkturaufschwungs in Deutschland verstärkt. Während die Wachstumsinseln davon profitierten, erreichte der Beschäftigtenzuwachs die stark schrumpfenden Regionen nicht. Es ist davon auszugehen, dass sich das bipolare demographische Raummuster in Ostdeutschland mit den Wachstumsinseln und ihren Reurbanisierungstrends einerseits und den stark schrumpfenden Räumen und ihren flächenhaften Dekonzentrationsprozessen andererseits weiter verstärken wird.