Während sich die natürliche Bevölkerungsbewegung bereits seit den 1970er-Jahren durch einen konstant negativen Trend auszeichnet (weniger Geburten als Sterbefälle), sind bei den Wanderungsbewegungen Wechsel bzw. starke Veränderungen sichtbar (Grafik 1). Die hohen Zuzugszahlen aus dem Ausland in den frühen 1990er-Jahren wurden durch eine hohe Zahl von Spätaussiedlern sowie Flüchtlingen des Balkankrieges verursacht. Nach einer längeren Phase mit vergleichsweise geringen Wanderungsgewinnen aus dem Ausland steigt in Deutschland die Zahl der internationalen Zuwanderer im Zuge weitgreifender Krisen seit 2010 rasant an; die Einführung der EU-Freizügigkeitsregelung von 2012 hat diesen Prozess noch verstärkt (Körner-Blätgen/Sturm 2015). Seit dieser Zeit ist auch das Binnenwanderungsvolumen stark angestiegen und erreicht aktuell eine ähnlich hohe Dynamik wie in 1990er-Jahren – damals bedingt durch die starke Ost-West-Wanderung sowie die ausgeprägte Suburbanisierung (Glossar).
Veränderungen auf der Gemeindeebene
Wie die kleinräumige Betrachtung der Bevölkerungsentwicklung auf der Gemeindeebene verdeutlicht, konzentrierte sich vor 2010 das Wachstum insbesondere auf Großstädte wie z.B. Erfurt, Leipzig, Köln und Braunschweig sowie das Umland von Berlin, Hamburg und München (Karte 2). Vergleichbare Entwicklungen vollzogen sich in grenznahen Regionen in Süddeutschland oder Niedersachsen. Dagegen verzeichneten große Teile Ostdeutschlands, dünner besiedelte Gebiete vom südlichen Niedersachsen bis zum Saarland sowie das Ruhrgebiet Bevölkerungsverluste.
Aktuelle Trends
Seit 2011 lassen sich im Wesentlichen drei kleinräumige Entwicklungen feststellen (Karte 1).
Trend 1: verstärktes Wachstum
Groß- und Universitätsstädte wie Dresden, Leipzig, Berlin, Stuttgart, Köln und Frankfurt a.M. ziehen junge Zuwanderer aus dem In- und Ausland an. Als Folge dieser Verjüngung steigen die Geburtenzahlen an. Dabei ist erkennbar, dass das Umland dieser Großstädte nun stärker profitiert bzw. den Siedlungsdruck (Glossar) der Städte abfängt, was zu erneutem Wachstum in ostdeutschen Umlandgemeinden oder verstärktem Wachstum im Westen führt.
Trend 2: Wachstum und Stabilisierung
Zudem erfahren bisher schrumpfende oder stabile Städte wie Chemnitz, Halle, Schwerin, Kassel und Koblenz, Industriestädte im Ruhrgebiet, aber auch Kleinstädte derzeit ein Bevölkerungswachstum bzw. eine Stabilisierung – nicht zuletzt auch durch Zuwanderung aus dem Ausland. Während sich für Groß- und Mittelstädte eine längerfristige Reurbanisierung abzeichnet (Glossar), ist bei Kleinstädten in dünn besiedelten Gebieten eher davon auszugehen, dass sich das Wachstum gänzlich aus dem umliegenden stark alternden ländlichen Raum speist und somit wohl eher kurzfristig bleibt.
Trend 3: abnehmende Schrumpfung
Während noch vor einigen Jahren zahlreiche Regionen durch starke Bevölkerungsverluste gekennzeichnet waren, sind nunmehr noch dünn besiedelte und infrastrukturell schlecht erschlossene Gebiete wie etwa in Oberfranken, Nordhessen, Südniedersachsen, der Lausitz, dem Fläming oder der Altmark betroffen. Obwohl seit 2011 viele Regionen einem (stärkeren) Wachstumstrend folgen, muss zukünftig weiterhin von einer Polarisierung zwischen wachsenden und schrumpfenden Räumen ausgegangen werden (vgl. Herfert/Osterhage 2011).
Diese übergeordneten Trends werden auf der Gemeindeebene von lokalen Sonderentwicklungen überlagert, etwa in Tourismusregionen. Die hohe Nachfrage nach Zweit- und Ferienwohnungen beispielsweise auf den Ferieninseln Amrum, Föhr und Sylt führen zu Bevölkerungsverlusten dieser attraktiven Gemeinden, da für viele Insulaner Wohnraum nicht mehr bezahlbar ist (Steinhardt 2015).
Typisierung charakteristischer Bevölkerungsverläufe 1990 bis 2014 (Glossar)
Die starke Ost-West-Wanderung Anfang der 1990er-Jahre und um die Jahrtausendwende trug zur kontinuierlichen Schrumpfung vieler ostdeutscher Landgemeinden und Städte wie Halle, Rostock, Magdeburg und Chemnitz bei (Karte 3 grün dargestellt). Die konstanten Bevölkerungsverluste der dünn besiedelten Gemeinden weisen auf einen nach wie vor starken Einfluss der natürlichen Schrumpfung hin. Ein Großteil der westdeutschen Städte, die Anfang der 1990er-Jahre Bevölkerungszuwachs aus Ostdeutschland erfahren haben, sind bereits seit Mitte der 1990er-Jahre ebenfalls von Bevölkerungsrückgang betroffen (hellblau). Dazu zählen die Großstädte des Ruhrgebietes, Saarbrücken, Bremerhaven sowie zahlreiche Mittel- und Kleinstädte vor allem in den ländlichen Gebieten Südniedersachsens, Ostwestfalens, Nordhessens und der Pfalz.
Dagegen profitierten beispielsweise andere westdeutsche Großstädte wie Hamburg, Düsseldorf und Stuttgart, viele Mittel- und Kleinstädte sowie gut erschlossene suburbane Gemeinden in Bayern, Baden-Württemberg sowie dem Nordwesten Niedersachsens bis heute durchgängig von Wanderungsgewinnen (orange). Zudem weisen bestimmte suburbane Gebiete in unmittelbarer Nähe der Ballungszentren Süd-, Nord- und Nordwestdeutschlands sowie Berlins sehr starke Bevölkerungsgewinne seit 1990 auf (dunkelblau). In der zweiten Hälfte der 2000er-Jahre waren die meisten suburbanen Gemeinden durch Bevölkerungsrückgänge (dunkelblau) bzw. geringe Wachstumsraten gekennzeichnet (orange, rot); das Wachstum konzentrierte sich überwiegend auf die Städte (orange).
Mit Ausnahme der ostdeutschen suburbanen Gebiete mit starken Wachstumsraten der frühen 2000er-Jahre (lila) erfahren suburbane Gebiete seit 2011 wieder eine verstärkte, mit wachsendem Siedlungsdruck einhergehende Dynamik (vor allem rot) zusätzlich zum starken Wachstum der Städte (orange). Selbst ehemals schrumpfende suburbane Gemeinden (dunkelblau) und Gemeinden, die nach dem Nachlassen der Ost-West-Wanderung (Nadler/Wessling 2013) kurzzeitig Bevölkerungsverluste verzeichneten (blau), wachsen nun wieder. Diese Entwicklung dürfte vorrangig auf den Zuzug aus dem Ausland zurückzuführen sein. Die abgeschwächten Bevölkerungsverluste in Ost und West (grün und hellblau) deuten ebenso auf den Einfluss der Zuwanderung von Flüchtlingen hin, welche Binnenwanderungsverluste und Sterbeüberschüsse überdeckt.
Derzeit weisen die Gemeinden im Umland der Städte geringere Bevölkerungsgewinne als in den 1990er-Jahren auf. Dagegen liegen die gegenwärtigen Bevölkerungsgewinne der wachsenden Gemeinden im Mittel auf vergleichbarem Niveau wie in den 1990er-Jahren. Dies trifft nicht mehr nur auf einzelne Städte oder bestimmte Umlandbereiche zu, sondern erfasst zahlreiche verstädterte Regionen. Im Unterschied dazu weisen weite Teile Ostdeutschlands und ländliche Gebiete Westdeutschlands aktuell im Schnitt höhere Bevölkerungsverluste auf als noch in den 1990er-Jahren. Ihre Entwicklung wird überdeckt vom aktuellen Zuzug der Flüchtlinge. Daher bleibt für die Zukunft unklar, welche räumlichen Trends zu beobachten sein werden, sollte die Außenwanderung wieder deutlich abnehmen. Demnach ist davon auszugehen, dass sich die Unterschiede zwischen waschsenden und schrumpfenden Regionen weiter verstärken werden.