Stiftungen, die sich einem bestimmten Zweck verbunden fühlen, sind ein weit verbreitetes Phänomen, ebenso gab es schon immer einzelne Bürger, die sich für ihre Stadt und ihre Mitbürger engagiert haben. So haben beispielsweise bereits Anfang des 20. Jahrhunderts Chaim Eitingon (1928) in Leipzig und die Witwe von Heinrich Lanz (1907) in Mannheim Krankenhäuser in ihren Städten gestiftet.
Bürgerstiftungen hingegen sind in Deutschland ein relativ neues Phänomen und orientieren sich an der Idee der Community Foundations in den USA (Glossar). Die erste wurde 1996 in Gütersloh gegründet, ein Jahr später folgte eine Stiftung in Hannover (Karte 1). Mittlerweile gibt es 343 Bürgerstiftungen in Deutschland, wobei im Jahr 2006 mit 56 Neugründungen der Gründungshöhepunkt war (Grafik).
Bürgerstiftungen als Teil der Sozialwirtschaft
Bürgerstiftungen lassen sich in Deutschland dem Segment der klassischen Sozialwirtschaft zuordnen; in ihnen schließen sich Bürgerinnen und Bürger einer Stadt, eines Quartiers oder einer Region zusammen, um sich vor Ort gemeinnützig zu engagieren. Es handelt sich somit nicht um einzelne Personen, sondern um Gruppen, Gleichzeitig können sich Unternehmen, Vereine, die Sparkasse etc. als Zustifter beteiligen (BUNDESVERBAND DEUTSCHER STIFTUNGEN 2012, S. 9).
Der Begriff der Bürgerstiftung ist zwar nicht geschützt, um aber als rechtsfähige Stiftung vom Verein Aktive Bürgerschaft anerkannt zu werden, muss eine Stiftung zehn Kriterien erfüllen. Dazu gehören u.a. Gemeinnützigkeit, Transparenz der Tätigkeit, der Herkunft von Spenden und der Mittelverwendung sowie eine geographische Ausrichtung auf ein Stadtquartier, eine Stadt oder eine Region.
Große regionale Unterschiede
Bei der Betrachtung des Aktionsgebietes von Stiftungen zeigt sich u.a. dass Stiftungen, die ihr Aktionsgebiet in einem Stadt- oder Gemeindeteil haben, eher in Städten mit mehr als 100 000 Einwohnern angesiedelt sind; Stiftungen, die ihr Aktionsgebiet in einer Region oder einer Gemeinde haben, finden sich sowohl in ländlichen als auch in verstädterten Räumen (Karte 2)
Bei der räumlichen Verteilung fallen drei Länder auf (Stand Ende 2012): Nordrhein-Westfalen hat mit 100 Stiftungen einen Anteil von etwa einem Drittel in Deutschland und umgerechnet rund sechs Stiftungen pro 1 Mio. Einwohner, Baden-Württemberg verzeichnet mit 81 Einrichtungen ein knappes Viertel alle Bürgerstiftungen und weist mit rund acht Stiftungen auf 1 Mio. Einwohner den höchsten Pro-Kopf-Wert auf. Niedersachsen kommt mit etwa sieben Einrichtungen pro eine Mio. Einwohner auf den zweiten und mit 54 Stiftungen absolut auf den dritten Platz.
Deutlich wird in den Karten auch ein Ost-West-Unterschied: 321 Stiftungen liegen in den alten, aber nur 25 in den neuen Ländern. Zudem stehen die westdeutschen Stiftungen finanziell besser da: Sie waren bei ihrer Gründung mit 167.000 Euro im Durchschnitt fast doppelt so gut ausgestattet wie ihre Pendants in Ostdeutschland, wo das mittlere Gründungskapital bei 87.000 Euro lag (Karte 3). Ebenso wiesen die westlichen Bürgerstiftungen mit durchschnittlich 604.000 Euro einen wesentlich höheren Kapitalstock inklusive des zweckgebundenen Vermögens auf – der entsprechende Wert in den neuen Ländern lag bei 331.000 Euro (Stand 31.12.2011). Hingegen waren die Fördersummen 2011 in Ostdeutschland mit 49.000 Euro höher als im Westen; dort wurden Projektfördermittel in Höhe von durchschnittlich 34.000 Euro zur Verfügung gestellt (Karte 4). Gründe für diese Ost-West-Unterschiede liegen u.a. darin begründet, dass in der DDR Stiftungen massiv enteignet wurden, da sie für Privatvermögen und Reichtum standen. Demnach konnte nach 1989 auf keine ausgeprägte Stiftungstradition in Ostdeutschland angeknüpft werden. Auch die im Vergleich zu Westdeutschland geringeren Nettoeinkommen spielen für das (noch) wenig ausgeprägte Stiftungswesen eine wichtige Rolle (Ruh 2013).
Rückzug der öffentlichen Hand versus zunehmendes Bürgerengagement?
Grundsätzlich ist das bürgeramtliche Engagement positiv zu bewerten. Fraglich ist aber, warum es alle administrativen Ebenen – von den Kommunen bis zum Bund – stärken wollen. Gibt es nicht genügend Engagement in Deutschland? Angesichts der vielen ehrenamtlichen Tätigkeiten z.B. in Sportvereinen, in kirchlichen und karitativen Einrichtungen, der freiwilligen Feuerwehr oder für den Umweltschutz kann dies wohl nicht der Grund sein. Zwar gibt es deutliche regionale Unterschiede bei den ehrenamtlichen Tätigkeiten: In der Raumordnungsregion Osthessen bringt sich etwas mehr als die Hälfte der Befragten ein (51,4 Prozent), hingegen sind es in Uckermark-Barnim lediglich 13,5 Prozent (PROGNOS/GENERALI DEUTSCHLAND 2009, S. 44-46). Der Engagementatlas schätzt aber, dass das ehrenamtliche Engagement in Deutschland im Jahr 3,2 Millionen Vollzeit-Beschäftigten entspricht (PROGNOS/GENERALI DEUTSCHLAND 2009, S. 3). Auch angesichts eines Vermögens der Bürgerstiftungen von 208 Mio. Euro, Spenden von 9,6 Mio. Euro und Ausschüttungen von 12,3 Mio. Euro im Jahr 2011 kann nicht von fehlendem Engagement gesprochen werden.
Damit drängt sich eine andere Hypothese auf, nämlich dass die öffentliche Hand angesichts der knappen finanziellen Mittel bestimmte Aktivitäten nicht weiter verfolgt und gleichzeitig darauf vertraut, dass dafür Privatpersonen, Vereine und Stiftungen einspringen. Träfe dies zu, so wäre der Ruf nach mehr bürgerschaftlichem Engagement kritisch zu sehen.