War im 19. Jahrhundert in Deutschland die vorherrschende Religion der dominierende Faktor für regionale Unterschiede im Geburtenniveau, so war das 20. Jahrhundert von Stadt-Land- und Ost-West-Gegensätzen geprägt (KLÜSENER/GOLDSTEIN 2013; BASTEN/HUININK/KLÜSENER 2011). Die starken Geburtenrückgänge zwischen 1890 und 1930 sowie ab Mitte des 20. Jahrhunderts verliefen in den Metropolregionen und deren Umland in kurzen Zeitspannen, während sich dieser Prozess in peripheren ländlichen Regionen mit deutlich langsamerem Tempo vollzog. Hierdurch verzeichnete der ländliche Raum lange Zeit ein höheres Geburtenniveau.
Über die letzten Jahrzehnte ist eine zunehmende Angleichung der Geburtenraten zwischen verstädterten und ländlich geprägten Räumen festzustellen (BASTEN/HUININK/KLÜSENER 2011). Hierzu haben auch leichte Geburtenanstiege in den Städten beigetragen, die zum Teil mit familienpolitischen Maßnahmen zusammenhängen könnten. Familienpolitiken wie etwa der Ausbau von Kindergärten tragen zu einer Reduzierung direkter und indirekter Kosten von Kindern bei, die in Städten tendenziell höher sind. Zu den indirekten Kosten zählen etwa Opportunitätskosten, die dadurch entstehen, wenn Mütter oder Väter aufgrund von Kinderbetreuungsaufgaben nicht berufstätig sein können. Hinsichtlich der Ost-West-Unterschiede ist für die Zeit nach 1960 festzustellen, dass Westdeutschland einen raschen Geburtenrückgang verzeichnete, dem eine bereits seit mehreren Jahrzehnten andauernde Phase der Stagnation auf niedrigem Niveau folgte (Graphik 1). In Ostdeutschland glich die Geburtenentwicklung dagegen eher einer Achterbahnfahrt, wobei die Raten zeitweise über bzw. unter dem westdeutschen Niveau lagen. Diese Differenzen sind u.a. auf Unterschiede in der familienpolitischen und ökonomischen Entwicklung zurückzuführen (GOLDSTEIN/KREYENFELD 2011).
Dieser Beitrag präsentiert aktuelle regionale Zahlen zu Geburtenraten und dem durchschnittlichen Geburtsalter der Mütter. Sie basieren auf Daten aus dem deutschen Geburtenregister (FDZ 2012; Glossar), das seit 2009 zusätzlich Informationen zur biologischen Geburtenfolge enthält. Diese Neuerung erlaubt es, erstmals Geburtenraten und Geburtsalter differenziert nach Erst-, Zweit- sowie Dritt- und höherrangigen Geburten für unterschiedliche Raumeinheiten im Detail zu analysieren. Regionale Unterschiede bei den Geburtenraten sind auf der Ebene der 96 Raumordnungsregionen dargestellt. Dabei werden für die Karten die Städte München und Köln aus ihrer Raumordnungsregion ausgegliedert, sodass alle Städte über eine Million Einwohner als eigene Region betrachtet werden können. Das Alter der Mütter bei Geburt lässt sich sogar auf der Ebene der 412 Kreise darzustellen. Die nach der biologischen Geburtenfolge differenzierenden Geburtenraten werden analog zur Zusammengefassten Geburtenrate berechnet (Glossar).
Ein Ende des Land-Stadt-Gefälles bei den Geburtenraten?
Karte 3 zeigt für 2010 die regionalen Unterschiede in der Zusammengefassten Geburtenrate für alle Geburten unabhängig von der biologischen Geburtenfolge. Bei der Betrachtung dieser jährlich ermittelten Zusammengefassten Geburtenrate ist zu beachten, dass diese momentan Verzerrungen unterliegt, die dadurch herrühren, dass sich das durchschnittliche Geburtsalter der Frauen immer weiter nach hinten verschiebt (Glossar; SOBOTKA/LUTZ, 2010). Da aber zumindest innerhalb West- bzw. Ostdeutschlands die Trends zu höheren Geburtenaltern regional von ähnlicher Intensität sind, ist davon auszugehen, dass ein Großteil der beobachteten regionalen Unterschiede in der Zusammengefassten Geburtenrate nicht auf diese Verzerrungen zurückzuführen sind.
Die vor wenigen Jahren noch bestehenden Ost-West-Unterschiede im Fertilitätsniveau haben sich inzwischen praktisch nivelliert, da in Ostdeutschland die Raten wieder deutlich angestiegen sind (Graphik 1). Derzeit besteht eher ein Nord-Süd-Gefälle, wobei der Norden tendenziell höhere Geburtenraten verzeichnet. Insgesamt sind die gegenwärtigen regionalen Unterschiede aber im Vergleich zum 20. Jahrhundert sehr gering. Eine differenzierte Betrachtung nach biologischer Geburtenfolge ergibt allerdings abweichende Muster. So verzeichnet Ostdeutschland einschließlich der angrenzenden Metropolregion Hamburg die höchsten Erstgeburtenraten. Außerdem registrieren die großen Metropolregionen einschließlich der jeweiligen Kernstädte bei den Erstgeburtenraten relativ hohe Geburtenraten (Karte 3). Dies spricht gegen die Annahme, dass das städtische Umfeld ungünstige Rahmenbedingungen für Paare bietet, ein erstes Kind zu bekommen. Da für die Zeit vor der Einführung des Elterngeldes im Jahr 2007 keine Daten zur Verfügung stehen, lässt sich leider nicht überprüfen, ob die hohen Erstgeburtenraten in den Metropolregionen zumindest teilweise auf diese neuen Maßnahmen zurückzuführen sind.
Bei den Zweitgeburtenraten liegen die Kernstädte der großen Metropolen dagegen deutlich hinter dem Umland zurück (Karte 3). Die direkt an die Kernstädte angrenzenden suburbanen Räume verzeichnen dagegen relativ hohe Werte, die in der Regel erheblich über denen von peripheren ländlichen Räumen liegen. Dies ist möglicherweise eine Folge selektiver Wanderungsprozesse, da es für Familien mit Kindern attraktiv ist, die Kernstädte zu verlassen und in den suburbanen Raum zu ziehen, wo die Lebenshaltungskosten günstiger sind.Bei den dritt- und höherrangigen Geburtenraten dominiert dagegen wiederum ein makroregionales Muster (Karte 4), da insbesondere die Regionen im Nordwesten und Westen hohe Raten verzeichnen. Die hier erstmalig präsentierten detaillierten Geburtendaten werden ihr volles Analysepotenzial in einigen Jahren entwickeln, wenn Zahlen für längere Zeiträume zur Verfügung stehen. Diese werden dann auch zu einer besseren Messbarkeit des Einflusses familienpolitischer Maßnahmen und fundierten Regionalanalysen beitragen.
Beim Geburtsalter weiterhin starke Ost-West-Unterschiede
Erhebliche regionale Unterschiede bestehen hinsichtlich des durchschnittlichen Geburtsalters der Mütter (Karten 1 u. 2, Graphik 3). Ostdeutschland hatte zu DDR-Zeiten ein sehr niedriges Geburtsalter, da u.a. die Politik starke Anreize setzte, relativ früh Kinder zu bekommen. Auch heute noch ist das Geburtsalter bei der Erstgeburt im Osten deutlich niedriger als im Westen (Karte 3). Die Ursachen hierfür sind vielschichtig. So ist als Erbe der DDR-Politik die Kinderbetreuungssituation im Osten weiterhin erheblich besser als im Westen. Diese unterstützt Frauen bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf und reduziert tendenziell die ökonomischen Risiken einer frühen Erstgeburt. Daneben scheint aber auch die ungünstigere ökonomische Situation im Osten das Geburtsalter zu beeinflussen, etwa indem sie die selektive Abwanderung höher qualifizierter Frauen fördert, die ihre Kinder in der Regel erst relativ spät bekommen (KREYENFELD, 2002). Für diese Annahme spricht, dass auch in Westdeutschland Städte mit hoher struktureller Arbeitslosigkeit ein sehr niedriges Erstgeburtsalter verzeichnen. Dies gilt etwa für Küstenstädte wie Bremerhaven und Wilhelmshaven, die Stadt Pirmasens in der Pfalz oder Salzgitter in Niedersachsen. Die Metropolregionen und Universitätsstädte registrieren dagegen die höchsten Erstgeburtsalter. Graphik 2 (Streudiagramm) verdeutlicht das Verhältnis zwischen dem Durchschnittsalter der Mütter bei Erstgeburt und der ökonomischen Situation für alle Kreise und kreisfreien Städte.
Bei den Zweitgeburten sind die Ost-West-Unterschiede beim Geburtsalter ebenfalls vorhanden, allerdings deutlich geringer ausgeprägt (Karte 2). Noch stärker ausgeglichen sind sie bei den Drittgeburten, wobei hier zu beachten ist, dass in einigen Kreisen die Fallzahlen relativ gering sind, sodass die ermittelten Durchschnittswerte weniger verlässlich sind.