Die Gesellschaften Europas sind durch vielfältige Lebens- und Haushaltsformen geprägt. Bei den jungen Menschen zwischen 25 und 30 ist die Bandbreite am größten: Man lebt bei den Eltern, in einer WG, in einer ehelichen oder nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit oder ohne Kind, ist allein erziehend oder lebt solo. Aktuelle Karten zeigen große regionale Unterschiede in Deutschland und Europa – auch zwischen Frauen und Männern. Die Lage auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt spielt genauso eine Rolle wie die wohlfahrtsstaatlichen Rahmenbedingungen. Aber auch kulturelle Faktoren wie Altersnormen und familienbezogene Wertvorstellungen sind wichtige Einflussgrößen.

Der demographische Wandel, der in Europa die Bevölkerungsentwicklung bestimmt, lässt sich – nach dem Bevölkerungsgeographen Paul Gans (2011) – auf eine kurze Formel bringen: Die Bevölkerung wird weniger (Schrumpfung), grauer (Alterung), vereinzelter (Singularisierung) und bunter (Internationalisierung). Die Aspekte Alterung und Schrumpfung stehen besonders im öffentlichen Fokus. Die Internationalisierung ist hauptsächlich durch die verstärkte Zuwanderung aus dem Ausland seit 2010 wieder auf die Agenda gerückt.

Vielfalt der Lebensformen
Viel weniger öffentliche (und wissenschaftliche) Aufmerksamkeit findet dagegen der Wandel der Haushalts- und Lebensformen (Glossar), der weit über eine Singularisierung, also die Zunahme von Einpersonenhaushalten, hinausgeht. Singularisierung wird zudem mit der Bezeichnung Single in Verbindung gebracht: lebenslanger Jugendlicher, der die Freiheiten dieser Lebensphase nicht aufgeben möchte und bewusst mit der Normalbiographie bricht, indem er sich gegen feste Partnerschaft und Kinder entscheidet (Mitterauer 1997, Opaschowski 2005).

Der Begriff der „Vereinzelung“ ist in diesem Zusammenhang noch problematischer, denn er suggeriert eine Vereinsamung der Alleinlebenden. Dabei wird jedoch übersehen, dass „alleinwohnend“ (als Haushaltsform) und „alleinlebend“ (als Lebensform) insbesondere bei jungen Erwachsenen keine Synonyme sind. Ein erheblicher Teil der Frauen und Männer, die nicht mit einem Partner zusammenleben, führt dennoch eine feste Beziehung. Man spricht dabei von „Living Apart Together“ – getrenntem Zusammenleben. Zu dieser Lebensform gibt es keine statistischen Zahlen. Umfragedaten deuten jedoch an, dass es sich bei dieser Gruppe häufig um junge Erwachsene handelt und dass diese Lebensform in Nord- und Westeuropa weiter verbreitet ist als in Osteuropa (Liefbroer/Poortman/Seltzer 2015). In Südeuropa, wo ein besonders hoher Prozentsatz der jungen Erwachsenen noch im Elternhaus lebt (Leibert 2017a), ist „getrenntes Zusammenleben“ insbesondere bei den unter 30-Jährigen weit verbreitet (für Spanien: Castro-Martín/Domínguez-Folgueras/Martín-García 2008).

Die Vielfalt der Lebens- und Haushaltsformen (Grafik 1) ist in Deutschland (wie auch in anderen europäischen Staaten) bei der Generation der Endzwanziger und Anfangdreißiger am größten (Wagner/Valdés Cifuentes 2014). Dabei zeichnen sich jedoch erhebliche Unterschiede zwischen den einzelnen EU- und EFTA-Staaten (Island, Norwegen, Liechtenstein und die Schweiz) ab. Ähnlich wie bei den innereuropäischen Unterschieden im Anteil der Nesthocker (Leibert 2017a) spielen als Erklärungsansätze die jeweilige Lage auf dem Arbeits- und Wohnungsmarkt sowie die wohlfahrtsstaatlichen Rahmenbedingungen, aber auch kulturelle Faktoren wie Altersnormen und familienbezogene Wertvorstellungen eine wichtige Rolle.

In diesem Zusammenhang sind insbesondere die Entkopplung von Ehe und Sexualität bzw. Fortpflanzung (Gonzáles López/Solsona Pairó 2000), aber auch gesamtgesellschaftliche Trends wie die Säkularisierung, Emanzipation der Frauen oder der Wunsch nach individueller Autonomie und Selbstverwirklichung bedeutsam (Lesthaeghe/Neels 2002).

Lebensformen in Europa
Die Karten 1 und 2 zeigen, dass die Pluralisierung der Haushaltsformen in Europa weit fortgeschritten ist. Frauen (Karte 1) leben mit Ende 20 in den meisten Ländern mehrheitlich mit einem Partner zusammen. In Skandinavien, Estland, Frankreich und den Niederlanden dominieren dabei die nichtehelichen Lebensgemeinschaften, in Litauen, Malta, Polen, Rumänien und Zypern das eheliche Zusammenleben. In den meisten anderen Staaten, darunter auch Deutschland, sind beide Formen des partnerschaftlichen Zusammenlebens weit verbreitet. In der Minderheit sind Paarhaushalte lediglich in den Mittelmeerstaaten, wo die Mehrheit der jungen Frauen noch bei den Eltern oder in einem Einpersonenhaushalt lebt.

Die skizzierten Trends in den nord- und westeuropäischen Staaten lassen sich als Entwicklung einer neuen „Standardfamilienbiographie“ deuten, die durch die Auflösung des Zusammenhangs von Ehe und Auszug aus dem Elternhaus und eine Zunahme nichtehelicher Lebensgemeinschaften als Vorläufer einer Eheschließung gekennzeichnet ist. Man kann in diesem Zusammenhang einen gewissen Bedeutungsverlust der Ehe konstatieren, der allerdings dadurch relativiert wird, dass junge Frauen und Männer in Deutschland bis zum 35. Geburtstag mehrheitlich geheiratet haben (Hofäcker/Chaloupková 2014). Die Ehe wird also eher aufgeschoben als aufgehoben.

Auffällig sind ferner große Unterschiede zwischen den EU- und EFTA-Staaten in Hinblick auf die Verbreitung von Einpersonenhaushalten und Wohngemeinschaften (WG). Auf den Britischen Inseln, aber auch in Tschechien und Deutschland ist der Anteil der jungen Frauen, die in einer WG wohnen, vergleichsweise hoch. Alleinleben spielt insbesondere in Frankreich, den Niederlanden, Norwegen und im deutschsprachigen Raum eine große Rolle. In zahlreichen süd- und osteuropäischen Staaten sind die beiden Haushaltsformen dagegen eher die Ausnahme. Dies dürfte in hohem Maß auf die wirtschaftliche Abhängigkeit vieler Frauen zurückzuführen sein (Klüsener 2017). Männer leben dagegen mit Ende 20 in fast allen EU- und EFTA-Staaten entweder allein oder noch im Elternhaus (Karte 2). Nur in Dänemark, Finnland und Frankreich lebt eine knappe Mehrheit der jungen Männer in einer Partnerschaft. Die Geschlechterunterschiede im Anteil der Paarhaushalte sind darauf zurückzuführen, dass Männer häufig Partnerschaften mit jüngeren Frauen eingehen.

Regionale Unterschiede in Deutschland
In Karte 3 und Karte 4 sind die Raummuster der Haushaltsformen in Deutschland nach Regierungsbezirken bzw. statistischen Regionen dargestellt. Dabei wird deutlich, dass die europaweiten Muster auch für die Bundesrepublik gelten: Frauen leben mit Ende 20 überwiegend mit einem (Ehe-)Partner zusammen, während die Mehrheit der Männer allein oder im Elternhaus wohnt.

Bei den Haushaltsformen der Männer sind die regionalen Unterschiede eher schwach ausgeprägt. In städtisch geprägten Räumen ist der WG-Anteil deutlich überdurchschnittlich; zudem ist der Anteil der verheirateten Männer in Ostdeutschland sehr gering. Bei den Frauen fallen ebenfalls Ost-West-Unterschiede in der Heiratsneigung auf. Im Westen leben Frauen – von Hamburg abgesehen – mehrheitlich mit einem Ehepartner zusammen, im Osten dagegen in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft. Dieser Ost-West-Unterschied ist zumindest teilweise auf die deutsche Teilung
zurückzuführen, während der sich konfessionelle Unterschiede und Differenzen bei der Säkularisierung noch verstärkt haben und in beiden deutschen Staaten unterschiedliche sozialpolitische Rahmenbedingungen herrschten (Klüsener/Kreyenfeld 2009). In Schleswig-Holstein, Oberbayern (mit München) und der Region Hannover liegen eheliche und nichteheliche Lebensgemeinschaften etwa gleichauf. Das Beispiel Schleswig-Holstein zeigt, dass hinsichtlich der regionalen Unterschiede in der Verteilung der Lebens- und Haushaltsformen (und damit auch der familienbezogenen Wertvorstellungen) in eher ländlich geprägten Räumen noch Forschungsbedarf besteht.

Castro-Martín, Teresa; Domínguez-Folgueras, Marta u. Teresa Martín-García (2008): Not truly partnerless: Non-residential partnerships and retreat from marriage in Spain. In: Demographic Research 18, S. 443-468.

Gans, Paul (2011): Bevölkerung. Entwicklung und Demographie unserer Gesellschaft. Darmstadt.

González López, María José u. Montserrat Solsona Pairó (2000): Households and families. Changing living arrangements and gender relations. In: Duncan, Simon u. Birgit Pfau-Effinger (Hrsg.): Gender, Economy and Culture in the European Union, S. 49-86. London, New York (Routledge).

Hofäcker, Dirk u. Jana Chaloupková (2014): Patterns of Family Life Courses in Europe – between Standardisation and Diversity. A Cross-national Comparison of Family Trajectories and Life Course Norms in European Countries. In: Comparative Population Studies 39, Heft 3, S. 559-586.

Klüsener, Sebastian (2017): Wer geht heute noch vor den Traualtar? In: Demographische Forschung aus Erster Hand 14, Heft 3, S. 1-2.

Klüsener, Sebastian u. Michaela Kreyenfeld (2009): Nichteheliche Geburten im regionalen Vergleich. In: Nationalatlas aktuell 3 (10.2009) 10 [22.10.2009]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL). URL: http://aktuell.nationalatlas.de/Nichteheliche_Geburten.10_10-2009.0.html.

Leibert, Tim (2017a): Generation Nesthocker – die europäische Perspektive. In: Nationalatlas aktuell 11 (07.2017) 6 [24.07.2017]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL). URL: http://aktuell.nationalatlas.de/Nesthocker_Europa.6_07-2017.0.html.

Leibert, Tim (2017b): Generation Nesthocker – junge Erwachsene im Haushalt ihrer Eltern. In: Nationalatlas aktuell 11 (01.2017) 1 [05.01.2017]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL). URL: http://aktuell.nationalatlas.de/Auszug_Elternhaus.1_01-2017.0.html.

Leibert, Tim (2015): Wertewandel oder Wirtschaftskrise?: Die Theorie des Zweiten Demographischen Übergangs als Erklärungsansatz für den Wandel des generativen Verhaltens in Ungarn 1990-2005 (= Beiträge zur regionalen Geographie 68). Leipzig.

Lesthaeghe, Ron u. Karel Neels (2002): From the First to the Second Demographic Transition – An Interpretation of the Spatial Continuity of Demographic Innovation in France, Belgium and Switzerland. In: European Journal of Population 18, Heft 4, S. 225-260.

Liefbroer, Aart; Poortman, Anne-Rigt u. Judith Seltzer (2015): Why do intimate partners live apart? Evidence on LAT relationships across Europe. In: Demographic Research 32, S. 251-286.

Mitterauer, Michael (1997): „Das moderne Kind hat zwei Kinderzimmer und acht Großeltern“ – Die Entwicklung in Europa. In: Mitterauer, Michael und Norbert Ortmayr (Hrsg.): Familie im 20. Jahrhundert. Traditionen, Probleme, Perspektiven (= Historische Sozialkunde 9). Frankfurt am Main (Brandes & Apsel/ Südwind).

Opaschowski, Horst W. (2005): Besser leben, schöner wohnen? Leben in der Stadt der Zukunft. Darmstadt (Primus).

Wagner, Michael u. Isabel Valdés Cifuentes (2014): Die Pluralisierung der Lebensformen – ein fortlaufen-der Trend? In: Comparative Population Studies 39, Heft 1, S. 73-98.

Wolff, Manuel u. Tim Leibert (2016): Deutschlands neue Raummuster – Bevölkerungsentwicklungen auf Gemeindeebene 1990 bis 2014. In: Nationalatlas aktuell 10 (05.2016) 3 [27.05.2016]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL). URL: http://aktuell.nationalatlas.de/Bevoelkerungsentwicklung.3_05-2016.0.html.

Zitierweise
Leibert, Tim (2017): Haushaltsformen junger Erwachsener in Europa. In: Nationalatlas aktuell 11 (12.2017) 10 [19.12.2017]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL). URL: http://aktuell.nationalatlas.de/Haushaltsformen.10_12-2017.0.html.

Dr. Tim Leibert
Leibniz-Institut für Länderkunde
Schongauerstraße 9
04328 Leipzig
Tel.: (0341) 600 55-188
E-Mail: T_Leibert@leibniz-ifl.de

Lebens- und Haushaltsformen
Im vorliegenden Beitrag werden die Haushaltsformen junger Erwachsener betrachtet, also die Unterschiede in den Bindungen der in einem Haushalt zusammenlebenden Personen (Grafik 1). Dabei kann es sich um das Zusammenleben von Paaren mit und ohne Trauschein handeln. Diese (nicht-)eheliche Lebensgemeinschaft im gemeinsamen Haushalt kann zusätzlich die Kinder des Paares umfassen. Junge Erwachsene können Teil des elterlichen Haushalts sein (Leibert 2017a, Leibert 2017b), in einem Einpersonenhaushalt leben oder mit anderen Personen, mit denen sie keine intime Beziehung führen und eine Wohngemeinschaft bilden. Von diesen Haushaltsformen, die darüber definiert sind, dass man sich eine Wohnung teilt, sind Lebensformen zu unterscheiden, die über die Beziehung der jeweiligen Personen zueinander definiert sind, unabhängig davon, ob sie dauerhaft in einer gemeinsamen Wohnung leben oder nicht (Leibert 2015).