Kleinstädte leisten einen wichtigen Beitrag zur Daseinsvorsorge auch im kulturellen Bereich. Deutschlandkarten zeigen allerdings deutliche regionale Unterschiede in der Spartenausstattung und -vielfalt vor Ort.

In den 4.618 Gemeinden mit 5.000 bis 20.000 Einwohner leben insgesamt über 24 Millionen Menschen: knapp 30 Prozent der Bevölkerung Deutschlands. Diese Kleinstädte (Glossar) prägen das polyzentrale Siedlungssystem der Bundesrepublik ganz wesentlich und sind über ihre jeweiligen Stadtgrenzen hinweg Bezugspunkte für die Einwohner der umliegenden Gemeinden. Kleinstädte stellen nicht nur unter ökonomischen und sozialen Gesichtspunkten häufig unterschätzte Funktionen und Leistungen zur Verfügung, sondern erbringen auch im kulturellen Bereich einen Teil der Daseinsvorsorge. Ihre Kultureinrichtungen leisten einen wichtigen Beitrag zum raumordnerischen Ziel „gleichwertiger Lebensverhältnisse“ und zur „Verwirklichung der Bürgerrechte, der staatsbürgerlichen Anrechte und [zur] Unterstützung der sozialen Teilhabechancen“ (Barlösius 2009, S. 26). Sie bieten Gelegenheit für ein soziales Miteinander und ermöglichen die Auseinandersetzung mit Kunst und Kultur im städtischen wie im ländlichen Raum.

Kulturelle Spartenvielfalt in Kleinstädten
Als Teil der sozialen Infrastruktur sind kulturelle Einrichtungen „Ausweis spezifischer Formen sozialer Verteilungs(un)gerechtigkeit und Macht“ (Müller/Lossau/Flitner 2017, S. 2). Karte 1 und Grafik 1 veranschaulichen regionale Disparitäten in der kulturellen Spartenausstattung von Kleinstädten. Diese Unterschiede decken sich in Teilen mit der siedlungsstrukturellen und zentralörtlichen Ausstattung des polyzentralen Städtenetzes. Daraus ergibt sich ein markantes räumliches Muster: Während sich in Nord-, Ost- und Westdeutschland vielfältige kulturelle Sparten vor allem in Groß- und Mittelstädten konzentrieren und lediglich einzelne Kleinstädte im vornehmlich ländlichen Raum Konzentrationspunkte kultureller Spartenvielfalt darstellen, finden sich im Süden Deutschlands vermehrt kulturell vielfältig ausgestattete Kleinstädte. In Baden-Württemberg liegen kulturelle Konzentrationspunkte insbesondere im städtischen Raum. In Bayern ist auch der ländliche Raum durch viele Kleinstädte mit kultureller Vielfalt geprägt. Ursachen sind die geringe Siedlungsdichte und die erschwerte Erreichbarkeit größerer Zentren sowie spezifische landespolitische Entscheidungen bei der Ausweisung zentraler Orte im ländlichen Raum und der finanziellen Unterstützung kultureller Einrichtungen.

Über ein Drittel (37 %) der erfassten kulturellen Einrichtungen (Bibliotheken, Museen, Volkshochschulen, Musikschulen, Kinos, soziokulturelle Einrichtungen, Jugendkunstschulen, Kunstvereine und Theater) befindet sich in Kleinstädten. Zudem zeichnen sich sowohl große als auch kleine Kleinstädte durch eine überraschend große kulturelle Vielfalt aus, wobei große Kleinstädte vergleichsweise mehr Kultursparten aufweisen. Als Grundausstattung lassen sich dabei Bibliotheken, Museen, Volkshochschulen, Musikschulen und Kinos identifizieren (Karte 2): In vier Fünftel der Kleinstädte mit mindestens fünf verschiedenen Sparten gibt es eine der genannten Einrichtungen und in 40 der 70 Kleinstädte sind sogar alle fünf Sparten vertreten (vergl. Bode/Hanewinkel 2018; Rossmeissl 2019). Jugendkunstschulen, Kunstvereine und insbesondere Theater befinden sich nur vereinzelt in Kleinstädten. Als kunstbezogene Angebote benötigen sie in der Regel relativ große Einzugsgebiete, um eine tragfähige Zahl an interessierten Personen dauerhaft zu mobilisieren. Theaterstandorte sind zudem stark pfadabhängig, da deren Weichenstellungen weit zurückgehen und häufig traditionell an ehemalige Residenz- und Hauptstädte gebunden sind.

Grafik 1 offenbart zum Teil gravierende Unterschiede zwischen den Ländern. So befindet sich mit fast drei Viertel aller Kleinstädte in Mecklenburg-Vorpommern (73 %), Schleswig-Holstein (71 %) und Rheinland-Pfalz (70 %) ein relativ hoher Anteil von Kleinstädten ganz ohne kulturelle Infrastruktur, wohingegen in Ländern wie Brandenburg oder Sachsen-Anhalt, die wenige oder keine Kleinstädte mit besonderer kultureller Spartenvielfalt aufweisen können (Karte 1 u. Karte 2), (noch) recht flächendeckend zumindest einzelne kulturelle Einrichtungen auch in kleineren Städten unterhalten werden.
Die Ursachen liegen zum Teil in der nachwirkenden Kulturpolitik während der deutsch-deutschen Teilung, den landeshoheitlichen Belangen für den Kulturbereich und den Kommunal- und Gebietsreformen, die insbesondere in Ostdeutschland zu zahlreichen Zusammenlegungen und Schließungen von (öffentlichen) Kultureinrichtungen geführt haben.

Resümee
Der Blick auf die Ausstattung von Kleinstädten mit Kultureinrichtungen verdeutlicht die in der Öffentlichkeit weitgehend unterschätzte Rolle dieses Stadttyps für die kulturelle Daseinsvorsorge: In 60 Prozent aller Kleinstädte ist immerhin eine Kultursparte vertreten. Somit greift es zu kurz hinsichtlich einer zentralörtlichen Bedeutung, kleinere Städte auf ihre administrative, schulische oder medizinische Infrastruktur und Funktion zu reduzieren. Die visualisierten Daten für das Jahr 2017 geben aber keine Auskunft über die tatsächlich geleistete Kulturarbeit, das Personal, die Größe und die Einzugsgebiete der Einrichtungen sowie die Besucherzahlen und deren Zusammensetzung. Dies sind Aspekte, die insbesondere im Hinblick auf den ersehnten Neustart der kulturellen Einrichtungen nach der Corona-Pandemie von großer Bedeutung sind und weiteren Forschungsbedarf aufzeigen.

Barlösius, Eva (2009): Der Anteil des Räumlichen an sozialer Ungleichheit und sozialer Integration. Infrastrukturen und Daseinsvorsorge. In: Sozialer Fortschritt, 58, 2/3, S. 22-28.

BBSR (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung) (o. J.): Laufende Stadtbeobachtung – Raumabgrenzungen: Stadt- und Gemeindetypen in Deutschland. (Stand 2017). URL: https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/forschung/raumbeobachtung/Raumabgrenzungen/deutschland/gemeinden/StadtGemeindetyp/StadtGemeindetyp.html?nn=2544954
Abrufdatum: 12.05.2021.

BBSR (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung) (2019): Indikatoren und Karten zur Raum- und Stadtentwicklung (INKAR) im Rahmen des Zentralen-Orte-Monitoring (ZOM). URL: https://www.inkar.de/
Abrufdatum: 29.04.2020.

Bode, Volker u. Christian Hanewinkel (2018): Kleinstädte im Wandel. Kleinstädte im Wandel. In: Nationalatlas aktuell 12 (03.2018) 1 [22.03.2018]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL).
URL: http://aktuell.nationalatlas.de/kleinstaedte-01_03-2018-0-html/.

Müller, Anna-Lisa; Lossau, Julia u. Michael Flitner (2017): Infrastruktur, Stadt und Gesellschaft. Eine Einleitung. In: Flitner, Michael; Lossau, Julia u. Anna-Lisa Müller (Hrsg.): Infrastrukturen der Stadt. Wiesbaden, S. 1-19. Doi: 10.1007/978-3-658-10424-5_1.

Rossmeissl, Dieter (2019): Teilhabe durch Kulturelle Bildung: Kommunen und ihre Verantwortung für Bildungslandschaften. In: Kubi-online: Wissenstransfer für Kulturelle Bildung. Doi: 10.25529/92552.494.

Datenquellen für die einzelnen Sparten

Bibliotheken: Hochschulbibliothekszentrum Nordrhein-Westfalen (Hrsg.) (2020): Sonderauswertung der Deutschen Bibliotheksstatistik. Köln.

Jugendkunstschulen: Bundesverband der Jugendkunstschulen und Kunstpädagogischen Einrichtungen e.V. (Hrsg.) (2020): Sonderauswertung der Vereinsdatenbank. Unna.

Kinos: BBSR (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung (BBR)) (Hrsg.) (2019): Indikatoren und Karten zur Raum- und Stadtentwicklung (IN-KAR). Ausgabe 2019. URL: https://www.inkar.de/
Abrufdatum: 29.04.2020.

Kunstvereine: Arbeitsgemeinschaft deutscher Kunstvereine e.V. (Hrsg.) (2020): Sonderauswertung der Vereinsdatenbank. Berlin.

Museen: Institut für Museumsforschung (Hrsg.) (2020): Sonderauswertung der Museumsstatistik. Berlin.

Musikschulen: Verband deutscher Musikschulen e.V. (Hrsg.) (2020): Sonderauswertung der Musikschul-Datenbank. Bonn.

Soziokulturelle Einrichtungen: Bundesverband Soziokultureller Zentren e.V. (Hrsg.) (2018): Sonder-auswertung der Vereinsstatistik. Berlin.

Landesverband Soziokultur Sachsen e.V. (Hrsg.) (2017): Mitglieder. URL: https://soziokultur-sachsen-de/der-verband/lv-mitglieder
Abrufdatum: 30.07.2017.

Theater: Deutscher Bühnenverein (Hrsg.) (2017): Adressen. URL: https://www.buehnenverein.de/de/theater-und-orchester/adressen.html
Abrufdatum: 30.07.2017.

Volkshochschulen: Deutsches Institut für Erwachsenenbildung (Hrsg.) (2020): Sonderauswertung der Volkshochschul-Statistik. Bonn.

Bildnachweis
Der 1981 gegründete Kunstverein Tauberbischofsheim e.V. bietet mit Ausstellungen, Kursen und Kabarett ein abwechslungsreiches Kulturprogramm. © Siegfried Wagner

Zitierweise
Wagner, Madeleine und Christoph Mager (2021): Kleine Städte, k(l)eine kulturelle Ausstattung? In: Nationalatlas aktuell 15 (10.2021) 6 [08.10.2021]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL). URL: http://aktuell.nationalatlas.de/Kultur_Kleinstadt-6_10_2021-0-html/

Nationalatlas aktuell wird mitfinanziert durch Steuermittel auf der Grundlage des vom Sächsischen Landtag beschlossenen Haushaltes.

Madeleine Wagner, M.Sc.
Universität Heidelberg
Geographisches Institut
Berliner Str. 48
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Tel.: (06221) 54 5565
E-Mail: madeleine.wagner@uni-heidelberg.de

Dr. Christoph Mager
Karlsruher Institut für Technologie
Institut für Geographie und Geoökologie
Reinhard-Baumeister-Platz 1
(Gebäude 10.50)
76131 Karlsruhe
Tel.: (0721) 608 43 838
E-Mail: christoph.mager@kit.edu

Definition von Kleinstädten
Im vorliegenden Beitrag wurde die Stadttypisierung der Laufenden Stadtbeobachtung des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) berücksichtigt, die Kleinstädte als „Gemeinden eines Gemeindeverbandes oder Einheitsgemeinde mit 5.000 und unter 20.000 Einwohner oder mindestens grundzentraler Funktion“ (BBSR o. J.) definiert. „Die Gruppe der Kleinstädte kann unterschieden werden in Größere Kleinstädte mit mind. 10.000 Einwohnern in der Gemeinde eines Gemeindeverbandes oder Einheitsgemeinde, Kleine Kleinstadt mit weniger als 10.000 Einwohnern“ (BBSR o. J.).

Datengrundlage
Der verwendete Datensatz umfasst Standortangaben gebauter kultureller Infrastrukturen von neun Kultursparten (Bibliotheken, Jugendkunstschulen, Kinos, Kunstvereine, Museen, Musikschulen, Soziokulturelle Einrichtungen, Theater und Volkshochschulen), die bei bundesweit organisierten Kulturverbänden abgefragt wurden. Ergänzend wurden Angaben des Online-Portals der Indikatoren und Karten zur Raum- und Stadtentwicklung (INKAR) im Rahmen des Zentralen-Orte-Monitoring (ZOM) des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR 2019) genutzt. Der Datenstand bezieht sich auf das Jahr 2017; Datenquellen für die einzelnen Sparten siehe Quellenverzeichnis.