Nach den Berechnungen des Statistischen Bundesamtes beträgt in Deutschland die durchschnittliche Lebenserwartung für neugeborene Jungen 76,9 Jahre, für neugeborene Mädchen 82,3 Jahre. Treffen die heutigen Sterblichkeitsverhältnisse auch zukünftig zu, dann wird im Mittel jeder zweite Mann mindestens das 79. und jede zweite Frau sogar das 85. Lebensjahr erreichen. Bewahrheitet sich die Feststellung von Hayflick (1994), „im hohen Alter gibt es nur das hohe Alter als Todesursache – und dagegen kann man nichts tun“ (zit. nach Vaupel 1997, S. 3)?
Entwicklung der Sterblichkeit
Der langfristige Verlauf der Lebenserwartung verdeutlicht seit der Gründung beider deutscher Staaten eine weitgehend kontinuierliche Zunahme (Graphik 1), wenn auch der Anstieg in der DDR seit Mitte der 1970er Jahre flacher ist. Nach dem Mauerfall fällt eine kurzfristige Steigerung der Sterblichkeit in den neuen Ländern auf, so dass Männer erst 1994, Frauen schon 1991 die Lebenserwartung von Neugeborenen des Jahres 1989 wieder erreichen. Dann verringern sich kontinuierlich die Abweichungen, die aktuell (2006) zu Gunsten der im Westen geborenen Jungen 1,5 und für Mädchen 0,3 Jahre betragen.
Regionale Unterschiede
Die Sterblichkeit gleicht sich nicht nur zwischen alten und neuen Ländern an, sondern es schwächt sich auch das im früheren Bundesgebiet weniger intensive Süd-Nord-Gefälle mit seiner geschlechtsspezifischen Differenzierung ab. Im Norden der neuen Länder ist die Lebenserwartung der Männer noch vergleichsweise niedrig (Karte 1); ein Phänomen, das bereits zu DDR-Zeiten kennzeichnend war. Allerdings sinkt gerade dort seit 1997 die Mortalität für Männer überproportional.
Die Berücksichtigung der Kreisebene liefert eine weitergehende räumliche Differenzierung (Karte 2). Das großräumige Süd-Nord-Gefälle wird überlagert von hohen Werten z.B. im Gebiet von Dresden, Jena oder Münster sowie entlang der Rheinachse von Köln/Bonn über die Metropolregionen Rhein-Main, Rhein-Neckar und Stuttgart bis München. Auffallend ist die durchweg geringe Mortalität in den Kreisen von Baden-Württemberg sowie Oberbayern. Eine eher unterdurchschnittliche Lebenserwartung der Bevölkerung ist im Saarland und im Ruhrgebiet, aber auch in ländlichen Räumen wie Oberfranken oder Nordhessen sowie in weiten Teilen der neuen Länder zu beobachten. Diese Kreise sind eher strukturschwach und verzeichnen häufig eine überdurchschnittliche Arbeitslosigkeit. Ein visueller Vergleich der Karten 2 und 3 lässt vermuten, dass in Kreisen mit niedriger Lebenserwartung die geschlechtsspezifische Differenz zugunsten der Frauen überproportional ausfällt.
Erklärungsansätze
Die folgende Argumentation basiert auf drei Ursachenbündeln (Luy 2004; Diehl 2008):
1) Investitionen von schätzungsweise 1,5 Mrd. DM in das Gesundheitswesen wirkten sich insgesamt positiv auf die Lebenserwartung der ostdeutschen Bevölkerung aus. Zunächst verbesserte sich die medizinische Versorgung vor allem in den großen Städten (Bucher 2002), anschließend auch in den ländlichen Gebieten. Dort verzeichnen die Bewohner seit 1997 die höchsten Zunamen der Lebenserwartung (Karte 1). Den aktuellen Herausforderungen, die sich aus dem demographischen Wandel besonders in weniger dicht besiedelten Räumen für die medizinische Versorgungsqualität ergeben, versucht Mecklenburg-Vorpommern durch Konzentration der Angebote in Zentralen Orten und durch Flexibilisierung der Organisation (z.B. Krankenschwester mit Laptop) zu begegnen (Schmidt 2008).
2) Sozialer Stress erhöht die Sterblichkeit, die von Männern mehr als die von Frauen. Er resultiert vor allem aus der Unsicherheit der Menschen hinsichtlich ihrer zukünftigen Lebensgestaltung. Individuelle Stresssituationen waren mit dem Zusammenbruch der DDR besonders ausgeprägt, sind aber z.B. in allen Regionen mit einer erhöhten Arbeitslosigkeit zu vermuten.
3) Individuelle Verhaltensweisen spielen für die geschlechtsspezifischen Unterschiede sowie zu Beginn der 1990er Jahre für die Abweichungen zwischen Ost und West eine große Rolle. Männer führen im Vergleich zu Frauen die Gesundheit stärker gefährdende Lebensstile (höherer Alkohol- und Nikotinkonsum, ungesunde Ernährung), sind erhöhten Risiken im Berufsleben ausgesetzt und anfälliger gegenüber sozialen Stresssituationen, die bei ihnen eher als bei Frauen negative Wirkungen auf den Lebensstil haben. Nach Luy (2004) trägt die Anpassung der Lebensstile der ost- an die der westdeutschen Bevölkerung entscheidend zur Angleichung der Todesursachen bei. Indirekt spielen Verhaltensweisen auch bei den regionalen Unterschieden eine Rolle. Prosperierende Regionen zeichnen sich eher durch eine überdurchschnittliche Lebenserwartung aus. Mobile Personen sind im Allgemeinen besser ausgebildet und einkommensstärker, zwei Merkmale, die in engem positiven Zusammenhang mit gesundheitsfördernden Lebensstilen stehen.
Zukünftige Sterblichkeitsentwicklung
Die regionalen Unterschiede in Deutschland, aber auch der Blick über die Grenzen verweist auf bestehende Potenziale zur weiteren Erhöhung der Lebenserwartung (Frankreich: 78 J. für Männer, 85 J. für Frauen; Japan: 79 bzw. 86 Jahre; Angaben 2008, World Population Data Sheet). Dabei erhält die präventive Unterstützung gesundheitsfördernder Lebensstile eine zentrale Bedeutung. Sie sind für eine Steigerung der Lebenserwartung bei guter Gesundheit erforderlich. Auch zukünftige Fortschritte in der Medizin sind wesentlich und, wie die Verleihung des Körber-Preises 2008 (Chancen für neuartige Krebstherapien und die Verlängerung des Lebensalters von Zellen) belegt, auch möglich. Unsterblichkeit ist aber auszuschließen.