Musicals sind ursprünglich in der privat organisierten Theaterszene des Broadway in New York und im Londoner West End entstanden. Sie haben dadurch einen großstädtischen Charakter erhalten und folgen „im Gegensatz zu den anderen Genres nahezu ausschließlich kommerziellen Kriterien“ (SIEDHOFF 2007, S. 9). In Deutschland trifft diese Kunstform auf eine Theaterlandschaft, die durch einen großen Anteil öffentlicher Angebote geprägt und auch außerhalb der Großstädte sehr lebendig ist. Abseits der großen Musical-Standorte Hamburg, Berlin, Stuttgart oder dem Ruhrgebiet mit ausgeprägtem kommerziellen Angebot (vgl. ECKSTEIN 2015) widmet man sich diesem Genre auch an öffentlichen Theatern, kleineren Privattheatern und auf Festspielen.
Vielfältiges Angebot
Die erste Karte (Karte 1) zeigt die durchschnittliche Anzahl der Musical-Premieren in den letzten drei Spielzeiten nach Gemeinden und ohne nach der Art des Theaters und der Art der Aufführung zu differenzieren. Erwartungsgemäß stechen hier Hamburg, Berlin und Stuttgart hervor, mit ihrem großen Angebot spezialisierter Bühnen (vgl. Eckstein 2015). Es folgen München, Hof, Lüneburg und Hildesheim mit durchschnittlich vier oder mehr Musical-Premieren pro Spielzeit (Karte 1).
Neben diesen Orten mit verhältnismäßig vielen Premieren wird die große Zahl der Theater-Orte deutlich, in denen regelmäßig wenigstens einzelne Musicals gezeigt werden: In 71 Orten gab es in den drei betrachteten Spielzeiten jährlich mindestens eine Musical-Premiere. Zwar ist dieses Angebot in der Breite nicht mit den großen Musical-Theatern vergleichbar, wo allabendlich rund 18.000 Sitzplätze zur Verfügung stehen und an einzelnen Theatern über 400 Vorstellungen im Jahr absolviert werden. Die Karte 1 zeigt aber, dass man auch in Regionen Musicals zu sehen bekommt, die weit von den Standorten mit großen kommerziellen Theatern entfernt liegen – wie etwa in Bayern oder Sachsen.
Auch inhaltlich unterscheidet sich dieses Angebot von den kommerziellen Spielstätten. Häufig werden Klassiker wie „Anatevka“, „Cabaret“, „My Fair Lady“ oder „West Side Story“, aufgeführt, seltener neue Stücke. Dies kann als Beleg für das Motiv der Theaterleitungen verstanden werden, mit Musicals ein möglichst großes Publikum zu erreichen und eher geringe (ökonomische) Risiken einzugehen. Für den Erfolg dieser Strategie spricht die Auslastung öffentlicher Theater in dieser Sparte: 2012/13 betrug sie 83,3 Prozent gegenüber 71,4 Prozent beim Schauspiel (DEUTSCHER BÜHNENVEREIN 2013).
Langfristige Veränderungen bei den Aufführungszahlen
In der Karte 2, die die Musical-Aufführungen der Spielzeit 2012/13 berücksichtigt, treten wieder die bekannten Standorte mit den großen kommerziellen Musical-Häusern hervor. Gleichzeitig fanden in der Spielzeit 37 Prozent der Aufführungen an öffentlichen Theatern statt und dies vor allem außerhalb der klassischen Musical-Standorte.
Ein wenig Vorsicht ist bei diesen Angaben allerdings geboten: Erstens sind die Theatersäle der kommerziellen Musical-Theater mit meist über 1.400 Sitzplätzen deutlich größer als jene der Stadttheater. Zweitens konnten hier nur Aufführungen berücksichtigt werden, die von Mitgliedertheatern an den Deutschen Bühnenverein gemeldet wurden. So fehlen die Musical-Aufführungen einiger privater Musical- und Showtheater. Gastspiele und Tourneetheater, die beispielsweise im Rahmen einzelner Abende in Veranstaltungshallen Aufführungen anbieten, sind ebenfalls nicht berücksichtigt. Dennoch kann der Anteil der öffentlichen Theater auf dieser Grundlage auf etwa ein Drittel geschätzt werden. Dieser Anteil hat sich im Lauf der Zeit deutlich verändert. Vergleicht man die Situation mit der Spielzeit 1992/93 (Karte 3), werden große Unterschiede deutlich. So lag der Anteil bei den Aufführungszahlen der öffentlichen Theater zwanzig Jahre zuvor noch bei 62 Prozent. Zudem hat sich der gravierende Ost-West-Unterschied, der Anfang der 1990er Jahre bestand, inzwischen aufgelöst. Das ist zum Teil auf Theaterschließungen zurückzuführen. Allerdings haben sich auch die Aufführungszahlen an den einzelnen Theatern verringert. In Westdeutschland haben sich außerdem zahlreiche Festivals etabliert, die auch Musicals aufführen.
Diskussion
Mit Blick auf die häufig geführte Debatte um die öffentliche Kulturförderung zeigen die vorliegenden Ergebnisse, dass diese Förderung nicht nur einer als elitär empfundenen Hochkultur zugute kommt – was ihr mitunter vorgeworfen wird –, sondern auch für ein breites Angebot bei der „populären“ Kunstform Musical sorgt, und zwar „in der Fläche“ und ohne die Hürden einer langen Anfahrt und verhältnismäßig teurer Ticket-Preise. Dagegen wird von Seiten der kommerziellen Musical-Szene konstatiert, dass durch die erhebliche Kulturförderung ein unfairer Wettbewerb entsteht, der es den kommerziellen Anbietern schwierig macht, ein breiteres Angebot zu entwickeln.