Die Anfang 2008 gestarteten Tarifverhandlungen im öffentlichen Dienst (öD) betreffen die rd. 1,3 Mio. Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen beim Bund und den Kommunen, nicht jedoch diejenigen der Länder. Dennoch haben die aktuellen Verhandlungen und die zukünftigen Vereinbarungen Signalwirkung für die übrigen Beschäftigen im öffentlichen Dienst (Glossar). Insgesamt sind ca. 4,6 Mill. Personen im öD beschäftigt, das sind rund 12% aller Erwerbstätigen in Deutschland. Die Tarifentwicklung im öD kann also durchaus als Gradmesser für den Stand der Volkswirtschaft und als Maß der Teilhabe der Bürgerinnen und Bürger am Wachstum interpretiert werden. Im Fokus dieses Beitrags stehen die Arbeitnehmer des Bundes und der Kommunen. Der deutsche Beamtenbund (dbb) hat zwar erstmals gemeinsam mit ver.di verhandelt. Es bleibt aber abzuwarten, ob die dbb-Forderung nach einer „Eins-zu-eins-Übertragung“ des Tarifabschlusses für die Beamten erfolgen wird.
Regionen unterschiedlich betroffen
Von den Tarifauseinandersetzungen sind die Regionen in verschiedenem Maße betroffen. Dies wird besonders deutlich, wenn man den Anteil der Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen des Bundes und der Kommunen an allen Erwerbstätigen berücksichtigt (Karte 1). Das signifikante Ost-West-Gefälle resultiert u.a. daraus, dass bei dieser Betrachtung die Beamten nicht berücksichtigt werden und im Westen ein erheblich höherer Anteil der Beschäftigten des öD verbeamtet ist. Legt man anstatt der Erwerbstätigen alle Beschäftigten des öD zu Grunde, so wird ersichtlich, dass der höchste Wert für Sachsen-Anhalt mit 36% erheblich über dem Bundesdurchschnitt von rd. 28% liegt, während der Anteil im Saarland mit 24% deutlich geringer ausfällt (Karte 2). Die sehr niedrigen Werte in Berlin, Hamburg und Bremen resultieren daraus, dass die Beschäftigen der Stadtstaaten nicht Kommunal-, sondern Landesbedienstete sind (diese sind bei den aktuellen Tarifverhandlungen nicht betroffen).
Einen sehr detaillierten Überblick über alle Beschäftigten bei den Gebietskörperschaften Bund, Länder und Kommunen vermittelt die Karte 3. Hier werden auf der Ebene der 439 Kreise und kreisfreien Städte nicht nur die jeweiligen Gesamtzahlen, sondern auch die entsprechenden Anteile der Beschäftigten nach der Art des Beschäftigungsverhältnisses visualisiert. Es wird u.a. das bereits genannte Phänomen sichtbar, dass in Westdeutschland ein erheblich höherer Anteil von Beamten im unmittelbaren öD vertreten ist. Deutlich spiegeln sich in der Karte auch die Kreise und kreisfreien Städte wider, in denen sich Bundeseinrichtungen und Bundeswehrstandorte befinden und der Anteil der Bundes-Angestellten besonders hoch ist. Hierzu zählen beispielsweise die Bundesstadt Bonn, die Hauptstadt Berlin und die Städte Wiesbaden, Koblenz, Braunschweig, Wilhelmshaven und Kiel sowie der Landkreis Soltau-Fallingbostel.
Negative Beschäftigungsentwicklung im öD
Nach aktuellen Daten des Statistischen Bundesamtes sind derzeit rd. 4,6 Mio. Personen im öD beschäftigt (Stand 2006). Die größten Anteile umfassen die Länder mit rd. 45% und die Gemeinden und Kreise mit rd. 30% (Graphik 1). In den vergangenen Jahren durchlief der öD einen tief greifenden Wandel: Allein zwischen 1992 und 2006 kam es zu einem enormen Stellenabbau von ca. 2 Mio. Arbeitsplätzen (Graphik 2). Ca. 56% davon sind auf die Privatisierung der Deutschen Post sowie der Deutschen Bahn zurückzuführen. Weitere 29% des Stellenabbaus sind Folge der Anpassungsmaßnahmen in den neuen Ländern. Aufgrund der kommunalen Haushaltskrise wurden im Rahmen sog. „Konsolidierungs- und Sparmaßnahmen“ weitere 10% der Stellen im öD abgebaut. 5% des Beschäftigungsrückgangs ist auf die Verringerung der zivilen und militärischen Arbeitsplätze der Bundeswehr zurückzuführen. Lediglich der mittelbare öD – dazu zählen die rechtlich selbstständigen öffentlich-rechtlichen Einrichtungen, die unter der Aufsicht von Bund, Ländern und Gemeinden stehen – verbuchten einen Zuwachs von rd. 300.000 Beschäftigten (Graphik 3). Zum mittelbaren öD zählen beispielsweise die Bundesagentur für Arbeit, die Deutsche Bundesbank und Sozialversicherungsträger. Insbesondere bei Kliniken und Universitäten werden zunehmend Bereiche ausgegliedert und anschließend in rechtlich selbstständige Einrichtungen in öffentlich-rechtlicher Rechtsform umgewandelt.
ÖD als Vorreiter einer Prekarisierung?
Die Abnahme der Beschäftigung wurde vor allem durch Einstellungsstopps herbeigeführt. Betriebsbedingte Kündigungen blieben hingegen eher eine Ausnahme. Neben dem Rückgang der Beschäftigtenzahl ist der öD durch die starke Ausbreitung der Teilzeitbeschäftigung gekennzeichnet. Während zwischen 1996 und 2006 die Zahl der Vollbeschäftigen um mehr als 1 Mio. von 4,21 Mio. auf 3,18 Mio. sank, stieg die Zahl der Teilzeitbeschäftigten um rd. 300.000 von 1,07 auf 1,38 Mio. (Graphik 4). Insgesamt leisteten im Jahr 2002 ca. 1,3 Mio. Teilzeitbeschäftigte die Arbeitszeit von rund 770.000 Vollzeitbeschäftigten (Ahlers 2004). Es ist davon auszugehen, dass die Teilzeitarbeit weiter an Bedeutung gewinnen wird.
Aus dieser Beschäftigungsentwicklung, die eine Verdichtung und Intensivierung der Arbeitsanforderungen bedeutet, resultierte im Verlauf der letzten Jahre ein verstärkter Problemdruck für Beschäftigte und Personalräte. Einer Befragung des WSI (Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliches Institut der Hans-Böckler-Stiftung) von Betriebs- und Personalräten zufolge müssen sich Personalräte mit einer Zunahme der Arbeitsanforderungen, Überstunden, Intensivierung der Arbeit sowie einer Einführung neuer Arbeitszeitformen auseinandersetzen, die häufig kaschierte Überstunden zur Folge haben. Als größtes Problem wird der Personalabbau gesehen, der in 68% aller Dienststellen stattgefunden hat und für die verbliebenen Beschäftigten mit erhöhtem Leistungsdruck einher geht.
Dies relativiert das traditionelle Bild des öD als sicherer Arbeitgeber mit guten Arbeitsbedingungen. Der öD greift zudem zunehmend auf befristete Arbeitsverhältnisse zurück (Glossar). So hatten 11,4% der Beschäftigten im öD 2006 einen befristeten Vertrag, in Privatfirmen waren es nur 7,4% (FR 09.01.08). Die bisherige wöchentliche Arbeitszeit – je nach Tarifgebiet – von 39 oder 40 Stunden bedeutet, dass im Schnitt über eine Stunde länger gearbeitet wird als im Durchschnitt der Branchen Baugewerbe (39,8), Kreditinstitute, Versicherungen (38,7), Handel (38,0), Verbrauchsgütergewerbe (36,7) und Investitionsgütergewerbe (35,7). Hinzu kommen vergleichsweise niedrige Bruttoeinkommen, die bislang im Osten nochmals deutlich niedriger lagen als im Westen.
Die aktuellen Ergebnisse
Angesichts sinkender Reallöhne im öffentlichen Dienst seit 2000 und steigender öffentlicher Steuereinnahmen wundert die Beharrlichkeit der Arbeitnehmervertretungen nicht (Glossar). Graphik 5 veranschaulicht die vergleichsweise ungünstige Tarifentwicklung im öD seit 1994: deutlich wird die zunehmende Abkoppelung der Einkommen der Beschäftigten des öD im Vergleich zur Gesamtwirtschaft.
Erst nach drei Monaten und mehreren Verhandlungsrunden erfolgte eine Einigung. Insgesamt ergaben die Verhandlungen eine schrittweise Erhöhung der Löhne innerhalb der nächsten zwei Jahre.
Rückwirkend ab Januar 2008 erhöht sich das monatliche Tabellenentgeld für alle Arbeitnehmer zunächst um 50 Euro im Sinne eines Sockelbetrages, und anschließend um 3,1%. Eine Ausnahme bilden die kommunalen Arbeitnehmer in Ostdeutschland. Für sie gilt die prozentuale Gehaltserhöhung erst zum 1. April 2008. Laut ver.di steigt damit der Satz auf bis zu 5,1%. Im Januar 2009 soll es eine weitere Lohnsteigerung um 2,8% und eine Einmahlzahlung in Höhe von 225 Euro geben. Die Ausbildungsentgelte werden rückwirkend zum 1. Januar 2008 um 70 Euro erhöht. Außerdem ist zum 1. April 2008 die Angleichung der Gehälter auf 100% West für alle Angestellten des Bundes im Tarifgebiet Ost abgeschlossen.
Als Gegenleistung wird die wöchentliche Arbeitszeit der kommunalen Beschäftigten in Westdeutschland um eine halbe Stunde auf 39 Stunden erhöht; in Ostdeutschland bleibt die Arbeitszeit mit 40 Stunden konstant. Die Bundesbeschäftigten arbeiten nach wie vor 39 Stunden in der Woche.
Ver.di-Chef Frank Bsirske sieht die Ergebnisse als Erfolg an. „Er sei nicht sicher, ob nach einem längeren Streik ein besseres Ergebnis hätte erreicht werden können“ (Handelsblatt 10.04.2008). Selbst Kritiker wie Rudolf Hickel, renommierter Wirtschaftsexperte an der Universität Bremen, lobt das Ergebnis als eine „sozial gerechte Lösung“. (FR 01.04.2008)