Die neuen Länder leiden seit der deutschen Einheit an einem kontinuierlichen Bevölkerungsverlust. Der auch als demographische Schrumpfung bezeichnete Prozess (Herfert/Osterhage 2011; Herfert 2008) hat erhebliche soziale und wirtschaftliche Auswirkungen. Insbesondere die Abwanderung von Fachkräften führt in vielen ostdeutschen Regionen zu erheblichen Engpässen beispielsweise im Pflege- und Gesundheitswesen, im Maschinenbau oder Tourismus (BDA 2010; Arent/Nagl 2010).
Rückwanderung ist damit für viele Regionen in Ostdeutschland zu einem Hoffnungsträger bei der Bewältigung demographischer Probleme geworden (Dienel u.a. 2006; Matuschewski 2010). Das gilt umso mehr, als Ostdeutsche, die in ihre Heimatregionen zurückkehren, im Vergleich zu den nicht nach Westdeutschland abgewanderten Beschäftigten deutlich jünger sind und überwiegend im ländlichen Raum leben. Das ergaben die Analysen für diesen Beitrag, der erstmals flächendeckend die Rückwanderungsströme der sozialversicherungspflichtig Beschäftigten auf Kreisebene darstellt. Grundlage ist die Beschäftigtenhistorik (BeH) des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), in der die Erwerbsbiographien mit Daten zum Wohnort verbunden sind. Aufgrund der schwierigen Datenlage (Glossar) gibt es bisher keine deutschlandweiten Untersuchungen zu entsprechenden Wanderungsbeziehungen zwischen west- und ostdeutschen Regionen. Um die jüngste Entwicklung nachvollziehen zu können, werden im Folgenden zwei Fünf-Jahres-Zeiträume miteinander verglichen (die BeH wird in der jetzigen Form erst seit 1999 erhoben; Glossar).
Die Phase zwischen 2001 und 2005 war mit Blick auf die Bevölkerung insgesamt sowohl durch eine Abnahme der Ost-West-Wanderung als auch der West-Ost-Wanderung gekennzeichnet. Seit 2006 hingegen steigt die West-Ost-Wanderung bei weiterhin sinkender Ost-West-Wanderung (Grafik 1). Die zunehmende Rückkehr von ostdeutschen Beschäftigen in die neuen Länder stellt dabei ein bedeutendes Phänomen dar.
Die West-Ost-Rückwanderung 2006 bis 2010
In der Phase zwischen 2006 und 2010 kehrten gemessen an der Rückkehrrate deutlich mehr sozialversicherungspflichtig Beschäftigte in ihre ehemaligen Wohnortkreise zurück als im Fünf-Jahres-Zeitraum zuvor: Von den zwischen 2005 und 2009 Abgewanderten kehrten im Mittel 8,5 Prozent zurück (ein Plus von 2,7 Prozentpunkten gegenüber 2001 bis 2005). 15 Landkreise und kreisfreie Städte wiesen Rückkehrraten von zehn und mehr Prozent auf (Karte 1). Spitzenreiter waren die westthüringischen Landkreise Eichsfeld (18,6 Prozent) und Hildburghausen (14,9 Prozent). Beachtenswert ist, dass auch Landkreise abseits des Tagespendelbereichs zu westdeutschen Arbeitsmärkten überdurchschnittlich stark von der Rückwanderung profitieren konnten: so z.B. Sömmerda, Sächsische Schweiz-Osterzgebirge und der Erzgebirgskreis. Die niedrigsten Rückkehrraten verbuchten Frankfurt (Oder), Jena, Suhl, Gera, Cottbus, Schwerin und Halle (Saale). In dieser Phase verzeichneten Rheinland-Pfalz (9,8 Prozent), das Saarland, Schleswig-Holstein und Hessen die höchsten prozentualen Verluste an Beschäftigten durch die Rückwanderung.
Die West-Ost-Rückwanderung 2001 bis 2005
Zwischen 2001 und 2005 kehrten durchschnittlich fast sechs Prozent (5,8 Prozent) der zwischen 2000 und 2004 Abgewanderten wieder in ihren ostdeutschen Herkunftskreis zurück. Dabei sticht der Landkreis Eichsfeld im Dreiländereck Thüringen-Niedersachsen-Hessen besonders heraus: Dort betrug die Rückkehrrate 28,2 Prozent; der Landkreis Hildburghausen an der thüringisch-bayerischen Grenze erreichte rund elf Prozent (Karte 2). Die Landkreise mit den höchsten Rückkehrraten lagen mehrheitlich in unmittelbarer Nachbarschaft zu westdeutschen Ländern: beispielsweise der Landkreis Nordwestmecklenburg im Einzugsbereich des Lübecker Arbeitsmarktes sowie die thüringischen Landkreise Sonneberg und Schmalkalden-Meiningen in Grenzlage zu Bayern. Doch auch die beiden Landkreise Leipzig (8,1 Prozent) und Gotha (8,4 Prozent) konnten überproportional stark von der Rückwanderung profitieren.
Am geringsten waren die Rückkehrraten für diesen Zeitraum in den besonders stark von Abwanderung betroffenen Städten Cottbus, Halle (Saale), Frankfurt (Oder), Gera und Dessau-Roßlau; die Landkreise Oberspreewald-Lausitz, Spree-Neiße und die Uckermark konnten ebenfalls wenig Rückkehrer anziehen (alle weniger als zwei Prozent). Durch die West-Ost-Rückwanderung verloren prozentual Schleswig-Holstein (rd. sieben Prozent), Bremen, das Saarland und Bayern die meisten sozialversicherungspflichtig beschäftigen Ostdeutschen.
Zudem zeigt sich, dass die Rückwanderung Ostdeutscher mit zunehmender Verbleibsdauer in Westdeutschland geringer wird (Grafik 2). Bei Betrachtung der ersten Abwanderungskohorte (2000-2004), für die eine potenzielle Rückkehr über einen längeren Zeitraum beobachtet werden kann (bis 2010), fällt auf, dass die Rückkehrraten in den direkten Folgejahren der Abwanderung (2001-2005) deutlich höher sind als in den späteren Jahren (2006-2010).
Die Ost-West-Abwanderung 2000 bis 2004
Die Gründe für den Anstieg der Rückkehrraten liegen auch in der verringerten Abwanderung aus den neuen Ländern. Der Blick auf die Abwanderung sozialversicherungspflichtig Beschäftigter aus Ostdeutschland nach Westdeutschland (Karte 3) zeigt, dass im Zeitraum 2000 bis 2004 insgesamt zwischen 0,9 Prozent (Landkreis Oberhavel) und 4,8 Prozent (kreisfreie Stadt Cottbus) der Beschäftigten aus den ostdeutschen Kreisen in die alten Länder abwanderten. Unter den am stärksten von der Abwanderung betroffenen Regionen befinden sich die kreisfreien Städte Cottbus, Frankfurt (Oder), Halle (Saale), Dessau-Roßlau, Suhl, Gera, Rostock und Schwerin sowie die Landkreise Görlitz und Oberspreewald-Lausitz (Abwanderungsraten größer als 3,6 Prozent). Die brandenburgischen Landkreise im Berliner Umland sowie die thüringischen Landkreise Hildburghausen und Wartburgkreis waren am geringsten von der Abwanderung betroffen (Abwanderungsraten max. 1,6 Prozent). Die Hälfte der Kreise verbuchte in dieser Phase Abwanderungen im Umfang von deutlich mehr als zwei Prozent. Von dieser Abwanderung aus Ostdeutschland profitierten vor allem Hamburg, Schleswig-Holstein, Bayern und Baden-Württemberg; die Zahl der dort lebenden sozialversicherungspflichtig Beschäftigten erhöhte sich durch die ostdeutschen Zuwanderer zwischen 2000 und 2004 um rund ein Prozent.
Die Ost-West-Abwanderung 2005 bis 2009
In der anschließenden Phase zwischen 2005 und 2009 verringerte sich die Abwanderung ostdeutscher Arbeitskräfte erheblich. Die über alle ostdeutschen Kreise gemittelte Abwanderungsrate sank auf 1,5 Prozent (Karte 4); zwischen 2000 und 2004 lag die Abwanderungsrate noch bei 2,5 Prozent. Unter den Regionen mit den höchsten Abwanderungsraten zwischen zwei und drei Prozent befanden sich weiterhin die kreisfreien Städte Schwerin, Rostock, Suhl, Jena, Cottbus, Halle (Saale) und Eisenach sowie die Landkreise Vorpommern-Greifswald, Sonneberg und Mecklenburgische Seenplatte; die geringsten Abwanderungsraten wiesen erneut die Regionen im Berliner Umland auf. Während auch in dieser zweiten Phase Hamburg, Schleswig-Holstein und Bayern am stärksten von der ostdeutschen Abwanderung profitieren konnten (darüber hinaus in dieser Phase auch Niedersachsen), ging die Zuwanderungsrate in Baden-Württemberg deutlich zurück.
Motive für die Rückwanderung
Besonders spannend ist die Frage, warum die ostdeutschen Abwanderer zurückkommen. Um den Rückwanderungsmotiven auf die Spur zu kommen, wurde im Rahmen des Forschungsprojektes „Re-Turn“ im Jahr 2012 eine Online-Befragung durchgeführt (Glossar), an der rund 400 ostdeutsche Ab- und Rückwanderer teilnahmen. Als wichtigste Motive für die Abwanderung nach Westdeutschland bzw. ins Ausland wurden Einkommen, Karrierechancen, Bildungsangebote und die allgemeine Lebenssituation genannt (Grafik 3).
Für die Entscheidung zur Rückkehr nach Ostdeutschland stuften die Befragten jedoch, neben der allgemeinen Lebenssituation, die Familiensituation und die Nähe zu Freunden wichtiger ein als die persönliche Karriere und das Einkommen. Damit wurden die Ergebnisse vorheriger Studien bestätigt (Schneider/Kubis/Wiest 2011; Jain/Schmithals 2009; Matuschewski 2010). Bei der Entscheidung gegen eine Rückkehr in die ostdeutschen Herkunftsregionen wurden in der Befragung die allgemeine Lebenssituation, Karrierechancen und die Einkommenssituation als wesentliche Hemmschwellen bestätigt. Während auch für den Verbleib in der Abwanderungsregion die Familiensituation ausschlaggebend war, wurde hingegen die Nähe zu Freunden als weniger relevant bewertet.
Zudem besteht eine Diskrepanz zwischen den Einschätzungen von bereits Zurückgekehrten und Rückkehrbereiten (Grafik 4). Lediglich ein Viertel der bereits Zurückgekehrten gibt an, dass die Rückkehr (sehr) schwer war. Demgegenüber erwarten fast drei Viertel der Rückkehrbereiten, dass die Rückkehr (sehr) schwer wird. Als Hauptursache für die Schwierigkeiten bei der Rückkehr nennen beide Gruppen die Arbeitsmarktsituation in Ostdeutschland; zudem spielen bei den Befragten ihre wirtschaftliche Situation und persönliche Faktoren eine tragende Rolle (Lang u.a. 2013).
Fazit und Ausblick
Die Rückkehrrate von ostdeutschen Beschäftigten ist in den Jahren zwischen 2000 und 2010 deutlich angestiegen, während gleichzeitig immer weniger Beschäftigte aus Ostdeutschland nach Westdeutschland abwanderten. Während die Rückkehrer oft aus sozialen und privaten Gründen zurückkommen, ist für viele ein adäquater Arbeitsplatz Grundvoraussetzung, um einen Rückkehrwunsch in die Tat umzusetzen. Trotz verbesserter Lage scheint der ostdeutsche Arbeitsmarkt Rückkehrer auch gegenwärtig noch in besonderer Weise „herauszufordern“, da die Arbeitsmarktsituation in Ostdeutschland weiterhin als größtes Problem bei der Rückkehr wahrgenommen wird. Daher ist nun zu untersuchen, wie viele Rückkehrer in Ostdeutschland einer Beschäftigung nachgehen bzw. weiterhin in den westdeutschen Arbeitsmarkt pendeln. Eine zentrale Frage ist auch, ob die zunehmende Rückkehr ostdeutscher Beschäftigter in ihre Heimatregionen ein kurzzeitiges Phänomen ist oder zu einem längeren Trend für Ostdeutschland wird. Zudem stellt sich die Frage, wie sich die Entwicklung der Rückwanderung im gesamtdeutschen Vergleich darstellt. Um diese Fragen hinreichend beantworten zu können sind weitere Analysen erforderlich.