Die Ausweitung der Stadtflächen von 2000 bis 2018 erfolgte überwiegend in den neuen Ländern (Karten 1 u. 2; vergl. auch Karte 2 in Popp 2002). In den alten Ländern wurden Gemeindegebietsreformen bereits seit den 1970er-Jahren in Angriff genommen und waren 2000 schon längst abgeschlossen (Schwarze 2002). Lediglich Schleswig-Holstein und Rheinland-Pfalz haben ihre Gebiete noch nicht neu geordnet und umfassen somit bis in die Gegenwart kleine und kleinste Gemeinden (Tab. 1). Aktuell umfassen die Flächen aller 2.073 Städte 42 Prozent der Fläche der Bundesrepublik (StÄdBL, Stand 30.06.2018). Besonders markant, aber auch nicht überraschend, sind die großen Flächenanteile in Nordrhein-Westfalen mit zahlreichen Großstädten (drei Viertel der Landesfläche). Umso erstaunlicher ist der fast gleich hohe Flächenanteil von Städten im überwiegend ländlichen Sachsen-Anhalt (Karte 1).
Dynamische Veränderungen in den neuen Ländern
In Brandenburg wurden 2003 die bisherigen Ämter zugunsten größerer neu geschaffener Gemeinden aufgegeben. Von 2002 bis 2003 sank die Zahl der Gemeinden durch die Neuorganisation von 1.043 auf 422. Schließlich wurden von 2001 bis 2004 insgesamt 1.053 ehemals selbstständige Gemeinden aufgelöst.
In Sachsen-Anhalt gab es sogar zwei Gemeindegebietsreformen: eine erste 2004/2005 und eine zweite zum Zweck der Abschaffung der Verwaltungsgemeinschaften und der flächenhaften Einführung von Einheits- und Verbandsgemeinden 2009 bis 2011. Bei der ersten Reform sollte die Einwohnerzahl pro Gemeinde deutlich erhöht werden, und zwar auf mindestens 5.000. Im Zeitraum 2000 bis 2009 wurden 453 Gemeinden aufgelöst bzw. durch Eingemeindung bestehenden Kommunen zugeschlagen. Mit der zweiten Reform verringerte sich die Zahl der Gemeinden nochmals drastisch, und zwar von 857 (2009) auf 220 (2011). Insgesamt bedeutet dies eine Reduzierung auf 16 Prozent des Ausgangsbestandes, und im Gegenzug wuchs der Flächenanteil der Städte um das Dreifache: von 25 auf heute 73 Prozent! Daher ist es auch nicht überraschend, dass im aktuellen flächenbezogenen Städteranking die drei sachsen-anhaltischen Kleinstädte Gardelegen, Möckern und Zerbst ganz weit oben stehen – unmittelbar nach den führenden Millionenstädten Berlin und Hamburg.
In Mecklenburg-Vorpommern fand 2011 eine Kreisgebietsreform statt, dagegen noch keine Gemeindegebietsreform. Im Rahmen der Zusammenfassung der alten Landkreise zu neuen Einheiten wurden aber auch mehrere Gemeinden mit Stadttitel „arrondiert“ (Karte 2).
In Sachsen erfolgte eine erste Gemeindegebietsreform bereits 1998; die damals neu entstandenen größeren Gebietseinheiten sind somit auf unseren Karten nicht mehr berücksichtigt. Wohl aber gab es seit 2000 weitere neue Gemeindebildungen durch freiwillige Zusammenschlüsse. So etwa sank von 2001 bis 2018 die Zahl der Gemeinden von 540 auf 421 bei jeweils größeren Gebietseinheiten als zuvor.
In Thüringen schließlich ist ab 2018/2019 eine Gebietsreform vorgesehen und erst im Anlaufen, weshalb sie auch in der Karte noch nicht sichtbar ist. Erste freiwillige Zusammenschlüsse auf der Gemeindeebene sind aber bereits erfolgt und auf der Karte verzeichnet (Karte 2, Tab. 1).
Prestigeträchtiger Stadttitel
Bisher ist ein wichtiges Detail unerwähnt geblieben, das bei den Karten zum Tragen kommt. Der Regelfall der Gemeindeneugliederungen ist, dass an bestehende Gemeinden nun (meist kleinere) Nachbargemeinden angegliedert werden. Dabei gilt ausnahmslos ein Prinzip: Besitzt die Gemeinde, in die eingemeindet wird, den Stadttitel, wird dieser auf das gesamte neue Gemeindegebiet übertragen. Auf diese Weise wird in den meisten Fällen ein kleines, ländlich geprägtes Dorf zur Stadt, ungeachtet häufig rückläufiger Bevölkerungszahlen und stagnierender oder negativer Wirtschaftsentwicklung. Hier zeigt sich zum einen der immer noch hohe Prestigewert des Stadttitels, obwohl damit für die Gemeinde – anders als in früherer Zeit – keinerlei Sonderrechte verbunden sind. Zum anderen wird deutlich, dass die neue administrative Bezeichnung als „Stadt“ in vielen Fällen geradezu irreführend ist. Schon bei den Gemeindegebietsreformen in den alten Ländern stellte GORKI (1974, S. 47) fest, dass sie vom „Prinzip der Erhaltung des Stadttitels“ gekennzeichnet sind.
Das Beispiel Geestland aus Niedersachsen
Die ungewöhnlichen Folgen dieser Praxis lassen sich am Beispiel der neuen Gemeinde Geestland in Niedersachsen aufzeigen. Sie ist auf der Karte 2 der einzige größere grüne Fleck in Niedersachsen. 2015 wurde diese Gemeinde durch die Zusammenlegung der Stadt Langen und der Samtgemeinde Bederkesa geschaffen. Mit einer Fläche von 357 Quadratkilometern und einer Einwohnerzahl von 31.040 (2018) trägt sie nunmehr die neue Bezeichnung „Stadt Geestland“ und profitiert damit von dem Stadttitel der Kommune Langen, der nunmehr für alle eingemeindeten Dörfer bzw. 18 Ortsteile der neuen Gemeinde gültig ist. Aber sogar dieser Stadttitel ist keineswegs historisch ererbt, vielmehr erhielt ihn die Einheitsgemeinde Langen als „Titel ohne Mittel“ erst im Jahr 1990. Aufgrund der Zusammenlegung ist Geestland heute die flächenmäßig zehntgrößte Stadt Deutschlands (Karte 1).