Wagniskapital oder Venture Capital (VC) ist eine Finanzierungsform, bei der junge Unternehmen zeitlich befristet Eigenkapital erhalten. Darüber hinaus berät und betreut der Wagniskapital-Investor meist das von ihm finanzierte Unternehmen (Weitnauer 2011). Wagniskapital kommt meist dann zum Einsatz, wenn die Geschäftsidee eines Gründers noch so wenig erprobt ist, dass den Banken die Vergabe eines Kredits als zu unsicher erscheint. Weil der Wagniskapitalgeber Mit-Eigentümer des Unternehmens wird, kann er sich einen umfassenden Informationszugang verschaffen und direkten Einfluss auf das operative Geschäft nehmen. Wegen der intensiven Beziehung zwischen Wagniskapitalgeber und dem Gründer wird bei Investitionen häufig auf die räumliche Nähe zu den Gründungsunternehmen geachtet (Bender 2011, Fritsch/Schilder 2012). In Deutschland verteilte sich das Wagniskapital im vergangenen Jahrzehnt zu etwa gleichen Teilen auf fünf Finanzzentren: München, Frankfurt a.M., Hamburg, Düsseldorf und Berlin (vgl. Klagge 2003, S 183; Klagge/Peter 2011).
Digitalisierung und neue Geschäftsmodelle
Die Digitalisierung der Ökonomie hat zu neuen Geschäftsmodellen wie internetbasierten Verkaufsplattformen und mobilen Diensten geführt. Diese neuen Branchen sind nur wenig an spezialisierte Zulieferer gebunden, sondern orientieren sich an den Immobilien- und Arbeitskosten sowie der Lebensqualität von Standorten. Digitale Geschäftsmodelle sind für neue Formen der Wagniskapital-Finanzierung besonders attraktiv (Glossar). Wichtige Akteure sind sogenannte Company Builder. Sie nehmen neue Geschäftsideen auf und entwickeln sie unternehmensintern, wobei sie eigene Abteilungen für die Personalbeschaffung, das Marketing oder die Programmierung bereithalten. Acceleratoren oder „Beschleuniger“ bieten dagegen zeitlich befristete Trainingsprogramme für Gründer an, an deren Ende häufig die Bewerbung um größere Finanzierungen bei „klassischen“ Wagniskapitalgebern steht. Prominentes Beispiel für einen Company Builder ist das börsennotierte Beteiligungsunternehmen Rocket Internet: Der 2007 gegründete Wagniskapitalgeber bezog mit seinen 400 Mitarbeitern 2016 einen ganzen Büroturm in Berlin-Kreuzberg.
Aus den Daten über Finanzierungen, die von den Wagniskapitalgebern veröffentlicht werden, ergibt sich ein deutlicher Aufwärtstrend bei neuen Finanzierungsformen. Insgesamt konnten 467 Finanzierungsrunden mit Gründungsunternehmen in Deutschland im Jahr 2015 identifiziert werden, wobei häufig mehrere Investoren an einer Finanzierung beteiligt waren. Im selben Jahr gab es 1.260 „Beteiligungsfälle“, in 863 Beteiligungsfällen (68 Prozent) hatte der Wagniskapitalgeber seinen Hauptsitz in Deutschland (Kahl/Scheuplein 2016).
Der Aufstieg Berlins
Karte 1 zeigt, dass die meisten Unternehmen, die 2015 in Deutschland Wagniskapital erhalten haben, in Berlin niedergelassen waren, und dass diese Unternehmen auch über die meisten Beschäftigten verfügten. Insgesamt hatte Berlin einen Anteil von 46 Prozent an den VC-finanzierten Unternehmen und lag deutlich vor München mit zwölf Prozent. Damit setzt sich der Aufstieg Berlins als Zielregion von Wagniskapital fort (vgl. Scheuplein/Görtz/Henke 2013). Das gilt auch für die durch Wagniskapital
induzierten Beschäftigungseffekte: Mehr als die Hälfte aller von VC-finanzierten Unternehmen geschaffenen Stellen konzentrieren sich in Berlin. Weitere Schwerpunkte der Investitionstätigkeit lagen in Hamburg, der Rheinschiene und in einem Korridor von Frankfurt a. M. bis Stuttgart.
Die Hauptstadt konnte auch das meiste Wagniskapital verbuchen. Im Vergleich der Länder entfielen auf Berliner Startups mit rund zwei Mrd. Euro etwa zwei Drittel des Finanzierungsvolumens und fast die Hälfte aller bundesweiten VC-Finanzierungen, gefolgt von Bayern und Baden-Württemberg. Bezogen auf das durchschnittliche Kapital je finanziertes Unternehmen liegt Berlin gemeinsam mit Hamburg und Baden-Württemberg in der höchsten Klasse (Karte 1).
Von den 208 Wagniskapital-Gesellschaften, die 2015 aktiv waren, entfiel der höchste Anteil auf die klassischen Venture Capital-Gesellschaften (42 Prozent), gefolgt von den öffentlich-rechtlichen Gesellschaften und den Corporate Venture Capital-Gesellschaften mit je 21 Prozent (Grafik 1). Schließlich waren ca. zwölf Prozent der Gesellschaften Company Builder bzw. Acceleratoren sowie fünf Prozent Wagniskapitalgesellschaften sonstiger finanzwirtschaftlicher Dienstleister. Bei der Anzahl der Wagniskapitalgesellschaften lagen Berlin und München mit je 24 Prozent gleichauf vor Frankfurt a. M., Köln und Hamburg (sieben bis vier Prozent) (Grafik 1). Berlin weist dabei ein eigenständiges Profil durch den hohen Anteil an Company Buildern und Acceleratoren auf. München dagegen wird stark durch seinen hohen Anteil an klassischen VC-Gebern (60 Prozent) geprägt.
Zugpferde für Beschäftigung
Wichtige Impulsgeber für den Aufbau von Arbeitsplätzen durch Wagniskapital waren die Company Builder. Grafik 2 zeigt die Dynamik des Beschäftigungsaufbaus für 931 Firmen, die in den Jahren 2011 bis 2015 in Deutschland Wagniskapital erhalten haben und für die Beschäftigtenzahlen verfügbar waren. Demnach hatten diese Firmen im Jahr 2015 insgesamt rund 35.000 Mitarbeiter. Rechnet man die Arbeitsplätze der Gründungsunternehmen mit einer Finanzierung in den Jahren 2011 bis 2015 zusammen, entfallen die meisten Mitarbeiter auf Unternehmen mit mindestens einem privaten Wagniskapitalgeber (klassische VC oder Corporate VC). Die Unternehmen mit einer Finanzierung durch zumindest einen Company Builder folgten bereits an zweiter Stelle (13.400 Beschäftigte) vor den Unternehmen mit einem öffentlich-rechtlichen Wagniskapitalinvestor (8.600 Beschäftigte). Nimmt man die Beschäftigtenwerte der Investorentypen für das Jahr 2011 als Ausgangspunkt, dann zeigt sich ein deutlich schnelleres Beschäftigtenwachstum für die Unternehmen, an denen ein Company Builder beteiligt war (Grafik 2).
Fazit
Berlin konnte sich in den vergangenen Jahren als wichtigste Zielregion von Wagniskapital und auch als bedeutender Standort von Wagniskapital-Gesellschaften etablieren. Dabei spielen Company Builder als eine neuartige Form von Wachstumskapital eine wichtige Rolle. Die von ihnen ausgehenden Beschäftigungseffekte deuten auf eine wirtschaftspolitisch interessante organisatorische Innovation hin.