Soziokulturelle Zentren und Initiativen sind ein fester Bestandteil des kulturellen Lebens in vielen deutschen Städten und Gemeinden. Als Ausbildungs-, Arbeits- und Aufführungsorte leisten sie einen wachsenden Beitrag zur Kultur- und Kreativwirtschaft. Aktuelle Deutschlandkarten zeigen ihre zeitliche und regionale Ausbreitung. Besonders ländliche Räume profitieren in jüngster Zeit von der Neugründung soziokultureller Einrichtungen.

Soziokultur ist in den 1970er-Jahren als eine kulturpolitische Strömung mit dem Ziel angetreten, breiten Gesellschaftsschichten die Teilhabe an alternativen Kulturformen im Schnittbereich von Bildung, Politik und Kunst zu ermöglichen. Kultur sollte als Gut „für alle“ gesellschaftlichen Gruppen zur Verfügung stehen. Ihre Herstellung sollte zugleich „allen“ zugetraut werden (Glossar). Programmatische Ziele dieser Anfangsphase waren unter anderem „die Integration verschiedener Altersgruppen, sozialer Schichten und Nationalitäten, (…) Initiierung sozialer, politischer und kultureller Lernprozesse, (…) demokratische Entscheidungsstruktur (und) nicht kommerzielle Ausrichtung“ (BsZ 1977, S. 1). Die Zahl der in der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V. (BSZ) organisierten Einrichtungen wie Kulturzentren, Bürgerhäuser, Jugendkunstschulen oder Geschichtswerkstätten ist von neun im Jahr 1977 auf 582 im Jahr 2016 gestiegen (Grafik 1; BSZ 2017). Diese Entwicklung kann als raum-zeitlicher Diffusionsprozess interpretiert werden, der mit der deutschen Wiedervereinigung eine zusätzliche Dynamik erfahren hat (Karte 2 u. Grafik 1).

Stadt-Land-Unterschiede
Grundsätzlich lässt sich in Deutschland eine Standortbindung kultureller Infrastruktur, zu der beispielsweise Theater, Museen, Musikschulen, Jugendkunstschulen, Volkshochschulen und Bibliotheken zählen, an Städte mit politischen und administrativen Funktionen nachweisen. Die Standortmuster decken sich weitgehend mit der zentralörtlichen Siedlungsstruktur und haben sich über die Zeit nur wenig verändert. Dies ist bedingt durch historische Entwicklungspfade, deren Anfänge im 19. Jahrhundert liegen. Nationalstaatsgedanken, landesherrliche Repräsentationsbedürfnisse und das Selbstbewusstsein des aufstrebenden Bürgertums führten insbesondere in den ehemaligen Residenz- und Hauptstädten zur Errichtung demonstrativer Kulturbauten. Aufgrund der verfassungsrechtlichen Zuständigkeiten für Bildung, Kunst und Kultur beeinflussen heute insbesondere die Bundesländer und die Kommunen die raumbezogene Ausstattung mit kultureller Infrastruktur.

Für einzelne Formen kultureller Einrichtungen lassen sich spezifische regionale Standortmuster identifizieren (Grafik 2). So finden sich Theaterspielstätten überwiegend in großstädtischen Zentren, deren Einzugsgebiete über die Stadtgrenzen hinausreichen. Kulturfestivals sind zu mehr als 50 Prozent im verdichteten Umland der Städte lokalisiert. Sie benötigen mehrere Spielstätten und bevorzugen deshalb kostengünstigere Lagen, die zugleich ein hohes Besucherpotenzial bieten. Die Vielfalt der deutschen Museumslandschaft wiederum beruht, zumindest quantitativ, fast zur Hälfte auf Einrichtungen in ländlichen Kreisen. Nur knapp jedes fünfte Museum liegt in einem städtischen Zentrum. Soziokulturelle Einrichtungen schließlich entsprechen in ihrer Standortstruktur in etwa den Bevölkerungsanteilen der ländlichen und verstädterten Regionen der Bundesrepublik (Karte 1 u. Grafik 2). So befinden sich rund 67 Prozent der soziokulturellen Einrichtungen im verstädterten Raum (kreisfreie Großstädte und städtische Kreise), in dem rund 68 Prozent der Bevölkerung lebt.

Standortdynamik und Raumstruktur
Die Karte der raum-zeitlichen Standortentwicklung (Karte 2) weist seit den 1960er-Jahren zunächst vereinzelt soziokulturelle Einrichtungen in den großstädtischen Zentren Westdeutschlands nach. Dieser frühe räumliche Schwerpunkt lässt sich auf die Entstehungsmilieus in sozialen Bewegungen oder zumeist studentisch geprägten Alternativszenen zurückführen (Freytag/Hoyler/Mager 2002). In den 1980er- und 1990er-Jahren etablierten sich neue Einrichtungen zunehmend im Umland der Großstädte. Dieser Zuwachs legt die Interpretation nahe, dass soziokulturelle Angebote nun auch von Suburbaniten (Menschen, die im Umland größerer Städte leben) in Eigeninitiative verwirklicht oder vor Ort verstärkt nachgefragt wurden. Im 21. Jahrhundert hat sich das Gründungsgeschehen soziokultureller Einrichtungen tendenziell zugunsten ländlicher Räume verschoben (Karte 2; Mager 2014). Nun scheint auch hier ein stärkeres Bedürfnis zu herrschen, offene Formen kultureller und kreativer Betätigung im lokalen Alltagsumfeld umzusetzen.

Der Blick auf die Standortverteilung (Karte 1) zeigt eine Situation, die mit Hilfe von vier regionalen Entwicklungstypen umrissen werden kann:
1) Stadtstaaten und einzelne Großstädte mit geringer Dynamik und etablierten Standortstrukturen (Bremen, Hamburg, Hannover, Nürnberg),
2) Flächenländer mit geringer Wachstumsdynamik und etablierten Standortstrukturen im städtischen und ländlichen Raum (Hessen, Nordrhein-Westfalen, Sachsen),
3) Flächenländer mit hoher Wachstumsdynamik, insbesondere im ländlichen Raum (Mecklenburg-Vorpommern, Niedersachsen, Thüringen),
4) der Sonderfall Bayern mit geringer Dynamik und hoher Standortkonzentration in den Großstädten.

Die räumliche Verteilung der soziokulturellen Einrichtungen kann somit als das Ergebnis unterschiedlicher Formen der staatlichen und privaten Kulturförderung, politischer Entscheidungen auf Ebene der Bundesländer und der Kommunen sowie der lokalen Arbeit einzelner Vereine und Initiativen interpretiert werden.

Perspektiven
Soziokulturelle Einrichtungen sind nicht die einzigen Orte, an denen Ideen einer Demokratisierung von Kultur umgesetzt werden. Auch traditionelle Einrichtungen öffnen sich in ihrer Kulturarbeit unterschiedlichsten gesellschaftlichen Gruppen und Strömungen. Neue Akteure treten auf den Plan, die offene, kreative Orte auch außerhalb institutionalisierter Kulturkontexte schaffen (Lange/Schmidt/Domann/Ibert/Kühn/Kuebart 2017). Zugleich werden die soziokulturellen Zentren von Institutionalisierungsprozessen erfasst, die sich an einer Veränderung der Förderstruktur in Bund, Ländern und Kommunen sowie an wachsender Professionalisierung, Akademisierung und Internationalisierung der Kulturarbeit ablesen lassen (Stiftung Niedersachsen 2015). Zudem zeigt sich seit einigen Jahren ein Bedeutungsgewinn soziokultureller Einrichtungen als Ausbildungs-, Arbeits- und Aufführungsorte der Kultur- und Kreativwirtschaft (Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien 2012).

Soziokulturelle Zentren und Initiativen sind mittlerweile zu einem festen Bestandteil der kulturellen Infrastruktur vieler deutscher Städte und Gemeinden geworden. Sie nehmen eine wichtige Rolle als Orte des niedrigschwelligen Zugangs zu vielfältigen Kulturangeboten ein. Die raum-zeitliche Erschließung neuer Standorte deutet auf die wachsende Bedeutung zivilgesellschaftlich organisierter Formen der Kulturarbeit auch im ländlichen Raum hin, wo soziokulturelle Einrichtungen nicht selten Ankerpunkte für kulturell-kreative Praktiken bieten.

BBSR (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung) (Hrsg.) (2017): Laufende Raumbeobachtung – Raumabgrenzungen: Siedlungsstrukturelle Kreistypen (Stand 31.12.2015). URL: https://www.bbsr.bund.de/BBSR/DE/Raumbeobachtung/Raumabgrenzungen/Kreistypen4/kreistypen.html
Abrufdatum: 26.08.2017.

BSZ (Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren) (Hrsg.) (2017): Ganz genau! Soziokulturelle Zentren in Zahlen 2017. Statistischer Bericht der Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren e.V. Berlin.
URL: http://www.soziokultur.de/bsz/sites/default/files/file/Statistik%202017_Ansicht2.pdf
Abrufdatum: 08.08.2017.

BSZ (Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren) (Hrsg.) (2016): Sonderauswertung der Mitgliederbefragung 2016.

BsZ (Bundesvereinigung sozio-kultureller Zentren) (Hrsg.) (1977): Satzung. Mimeo.

Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien (Hrsg.) (2012): Kultur- und Kreativwirtschaft im Rahmen des öffentlich geförderten und des intermediären Kultursektors. Ergebnisse des Forschungsgutachtens „Öffentlich geförderter, intermediärer und privater Kultursektor –  Wirkungsketten, Interdependenzen, Potenziale“. Bonn.

Deutscher Bühnenverein (Hrsg.) (2017): Theaterstatistik 2015/2016 des Deutschen Bühnenvereins: Besucheranstieg im Kinder- und Jugendtheater und mehr Zusatzveranstaltungen als je zuvor. Pressemitteilung vom 31.08.2017. URL: http://www.buehnenverein.de/de/presse/pressemeldungen.html?det=466
Abrufdatum: 08.08.2018.

Deutscher Bühnenverein (Hrsg.) (o.J.): Adressen. URL: http://www.buehnenverein.de/de/theater-und-orchester/adressen.html
Abrufdatum: 26.08.2017.

Freytag, Tim; Hoyler, Michael; Mager, Christoph (2002): Soziokultur und ihre Zentren. In: Institut für Länderkunde (Hrsg.): Nationalatlas Bundesrepublik Deutschland. Band 6: Bildung und Kultur. Mitherausgegeben von Alois Mayr und Manfred Nutz. Heidelberg, Berlin S. 118-119.

Institut für Museumsforschung (Hrsg.) (2017): Statistische Gesamterhebung an den Museen der Bundesrepublik Deutschland für das Jahr 2016. (= Materialien aus dem Institut für Museumsforschung Heft 71). Berlin. URL: https://www.smb.museum/fileadmin/website/Institute/Institut_fuer_Museumsforschung/Publikationen/Materialien/mat71.pdf
Abrufdatum: 08.08.2018.

Institut für Museumsforschung (Hrsg.) (o.J.): Museen und Sammlungen in Deutschland: ISIL. URL: http://www.museen-in-deutschland.de/index.php
Abrufdatum: 26.08.2017.

Knoblich, Tobias (2018): Programmformeln und Praxisformen von Soziokultur. Kulturpolitik als kulturelle Demokratie. Wiesbaden.

Landesverband Soziokultur Sachsen (Hrsg.) (2017): Mitglieder des Landesverbandes Soziokultur Sachsen e.V. (Stand: Juni 2017). URL: https://soziokultur-sachsen.de/ueber-uns/lv-mitglieder
Abrufdatum: 30.06.2017.

Lange, Bastian; Schmidt, Suntje; Domann, Valentin; Ibert, Oliver; Kühn, Juliane u. Andreas Kuebart (2017): Basteln – Gestalten – Experimentieren: Offene kreative Orte in Deutschland. In: Nationalatlas aktuell 11 (04.2017) 3 [11.04.2017]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL). URL: http://aktuell.nationalatlas.de/kreative_Orte.3_04-2017.0.html

Mager, Christoph (2014): Alternative kulturelle Einrichtungen in deutschen Städten und Gemeinden – ein Beitrag zur Kritik ökonomischer Perspektiven auf Kreativräume. In: Raumforschung und Raumordnung 72(4), S. 477-489.

Stiftung Niedersachsen (Hrsg.) (2015): Handbuch Soziokultur. Hannover.

Zitierweise
Mager, Christoph; Freytag, Tim und Michael Hoyler (2018): Soziokulturelle Einrichtungen in Deutschland – zeitliche Dynamik und räumliche Muster. In: Nationalatlas aktuell 12 (08.2018) 4 [27.08.2018]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL). URL: http://aktuell.nationalatlas.de/Soziokultur.4_08-2018.0.html

Dr. Christoph Mager
Karlsruher Institut für Technologie (KIT)
Institut für Geographie und Geoökologie
Kaiserstraße 12
76131 Karlsruhe
E-Mail: christoph.mager@kit.edu
Tel.: (0721) 608-43838

Prof. Dr. Tim Freytag
Albert-Ludwigs-Universität Freiburg
Institut für Umweltsozialwissenschaften und Geographie
Schreiberstraße 20
79098 Freiburg
E-Mail: tim.freytag@geographie.uni-freiburg.de

Michael Hoyler
Reader in Human Geography
Loughborough University
School of Social Sciences
Geography and Environment
Loughborough, Leicestershire
LE11 3TU, UK
E-Mail: m.hoyler@lboro.ac.uk

Soziokultur
Beeinflusst von europäischen Reformdiskussionen um eine Demokratisierung von Kultur in den 1960er- und 1970er-Jahren etablierte sich der Begriff Soziokultur zunehmend auch in westdeutschen kulturpolitischen Diskursen. Auch für Ostdeutschland werden ähnliche Impulse der DDR-Kulturarbeit diskutiert. Analytisch lassen sich drei Bedeutungsebenen unterscheiden (Knoblich 2018):
1) Als Kulturbegriff meint Soziokultur die Erweiterung des traditionellen Kulturverständnisses von Hochkultur um Aspekte der Alltagskultur.
2) Im kulturpolitischen Sinne meint Soziokultur eine Abwendung von einer Fokussierung auf Kulturpflege und Kunstförderung hin zu einer aktiven Gesellschaftspolitik im Sinne einer „kulturellen Demokratie“, die potenziell alle gesellschaftlichen Gruppen einbezieht.
3) Soziokultur als Praxisbegriff meint Kulturarbeit, die „Kultur für alle“ und „Kultur von allen“’ umzusetzen hilft.

Soziokulturelle Einrichtungen
Die Arbeit von soziokulturellen Einrichtungen ist durch eine Vielfalt an Formen und programmatischen Ausrichtungen gekennzeichnet. Die Spanne reicht von kleinen, rein ehrenamtlich betriebenen Initiativen, deren Kulturangebot auf bestimmte Bevölkerungsgruppen (z.B. junge oder ältere Menschen, Geflüchtete) oder Inhalte (z.B. Lokalgeschichte, Inklusion) fokussiert ist bis hin zu größeren Kulturhäusern mit mehreren Festangestellten und einem breiten Portfolio an Schwerpunkten (z.B. kulturelle Bildung, Kreativwerkstätten, interkultureller Austausch, politisches und bürgerschaftliches Engagement, Ökologie, Veranstaltungsarbeit) und eigener Gastronomie.

Die Verbandsstatistiken weisen für das Jahr 2016 rund 14 Mio. Besuche von Veranstaltungen und Kursangeboten der Soziokultur in Deutschland aus; im Vergleich verzeichnen öffentliche und private Theater 2016 etwa 21 Mio. sowie Museen rund 112 Mio. Besuche (Deutscher Bühnenverein 2017, Institut für Museumsforschung 2017). Zum überwiegenden Teil als Vereine verfasst, zählen soziokulturelle Einrichtungen zum intermediären Kultursektor, der in Abgrenzung zu den staatlich finanzierten und den privatwirtschaftlich organisierten Sektoren zivilgesellschaftliche Organisationsformen und Finanzierungsmodelle zusammenfasst (Der Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien 2012). Dies zeigt sich unter anderem in einem hohen Anteil an Eigenfinanzierung. Durchschnittlich nur etwa 50 Prozent des Finanzbedarfs der Einrichtungen stehen über institutionelle und projektbezogene öffentliche Förderung vor allem durch die Kommunen zur Verfügung, die restlichen 50 Prozent müssen durch Eintrittsgelder, Kursgebühren oder Mitgliedsbeiträge selbst erwirtschaftet werden. Entsprechend hoch sind in soziokulturellen Einrichtungen die Anteile prekär Beschäftigter (freie Honorar- und 450 Euro-Kräfte: 21 Prozent) sowie ehrenamtlicher Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter (25 Prozent) und freiwillig Engagierter (36 Prozent) (Bundesvereinigung Soziokultureller Zentren 2017).