In zahlreichen deutschen Städten existieren Viertel mit erheblichen baulichen, ökonomischen und sozialen Problemen. Mit Hilfe von BIWAQ-Projekten sollen vor Ort verschiedene soziale Gruppen aktiviert und arbeitsmarktpolitische Instrumente umgesetzt werden, um die Beschäftigungssituation der Menschen in den Quartieren zu verbessern und die lokale Ökonomie zu stärken. Aktuelle Deutschlandkarten geben einen Überblick über die räumliche Verteilung der Projekte, ihre Handlungsfelder und Fördermittel.

Städtische Quartiere nehmen in der Diskussion um gesellschaftliche Integration und Chancengleichheit seit langem eine zentrale Rolle ein (Häußermann/Kronauer 2005, S. 597ff.). Aufgrund der lokalen Verdichtung baulich-funktionaler Defizite sowie von Menschen in besonderen Problemlagen zeichnen sich benachteiligte Stadtquartiere durch eine besondere Intensität wirtschaftlicher, sozialer und städtebaulicher Problemlagen aus (Glossar).

Vielerorts wird versucht, das soziale, wirtschaftliche und funktionale Gefüge benachteiligter städtischer Teilräume durch den Einsatz verschiedener Instrumente aufzuwerten (Häußermann/Wurtzbacher 2005, S. 515). Seit 1999 stellen Bund und Länder mit dem Städtebauförderungsprogramm Soziale Stadt vor allem für bauliche Maßnahmen Mittel zur Verfügung, die der Verbesserung von Lebensbedingungen dienen sollen (Glossar). Als Partnerprogramm ist das ESF-Bundesprogramm Bildung, Wirtschaft, Arbeit im Quartier (BIWAQ) seit 2008 impulsgebend für einen nachhaltigen Abbau sozialer Problemlagen (Glossar).

Im Mittelpunkt der im Rahmen von BIWAQ geförderten lokalen Bildungs-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktprojekte stehen die Bedürfnisse der Personen im Quartier (sozialraumorientierter Ansatz), insbesondere der bessere Zugang zu (Aus-)Bildungs- und Erwerbsmöglichkeiten (rund 85 Prozent der Projekte). Besonders deutlich wird eine Orientierung auf die Bedürfnisse Jugendlicher in den Ländern Hamburg, Berlin, Rheinland-Pfalz und Thüringen, während Projekte zur Integration langzeitarbeitsloser Frauen und Männern vor allem im Saarland, in Sachsen und in Hessen vertreten sind (Karte 4).

Das BIWAQ-Förderprogramm
Mit der Absicht, schwer erreichbare soziale Gruppen zu aktivieren sowie allgemeine arbeitsmarktpolitische Instrumente zu ergänzen (Güleş 2009, S. 434), wurden seit 2008 im gesamten Bundesgebiet 221 BIWAQ-Projekte in 123 Städten mit insgesamt 188,7 Millionen Euro gefördert (inkl. Eigenanteile der Träger; Karten 2 u. 3). Die Laufzeit der Projekte betrug im Durchschnitt 38 Monate. Die Höhe der eingesetzten Fördermittel, die räumliche Verteilung sowie die inhaltliche Ausrichtung der Projekte lassen sich vor allem auf die von den Trägern vor Ort identifizierten ungleichen Bedarfe und Problemlagen zurückführen. Zur Umsetzung arbeitsmarkt- und wirtschaftspolitischer Maßnahmen stehen den betreffenden Klein- und Mittelstädten jeweils bis zu zwei Millionen Euro zur Verfügung (Grafik 1 u. Karte 3).

Um in benachteiligten Quartieren den Zugang zur gesellschaftlichen Teilhabe zu erleichtern und langfristig zu sichern, strebt der größte Teil der Projekte in der ersten und zweiten Förderperiode (2008-2012 und 2011-2014) die
(Wieder-)Eingliederung von jungen Menschen und (älteren) arbeitslosen Personen in den Arbeitsmarkt an. Aktuelle Projekte zur Stärkung der lokalen Ökonomie (Glossar) werden überwiegend in Regionen, die in der Vergangenheit durch starke Deindustrialisierungsprozesse geprägt waren, oder in peripheren Räumen realisiert (so z. B. in Duisburg und Neubrandenburg; Karte 1). Angesichts der starken Verdichtung sozialräumlicher Problemlagen in Mittel- und Großstädten werden in zwei Drittel aller geförderten Großstädte mehrere Projekte parallel bzw. zeitlich aufeinanderfolgend durchgeführt (Karte 2). Allein in Berlin wurden im bisherigen Förderzeitraum zwanzig BIWAQ-Projekte durchgeführt, davon sieben Projekte in der zweiten Förderperiode (Karte 2).

Auffällig ist, dass Großstädte wie Rostock und Bremen im Verhältnis zur Einwohnerzahl eine hohe Anzahl an Projekten aufweisen, während die drei nach Berlin einwohnerstärksten Städte Hamburg, München und Köln nur vergleichsweise wenige Projekte durchführen. Wiederum in anderen Gemeinden, wie Bremerhaven und Mönchengladbach, die durch hohe Jugendarbeitslosigkeit gekennzeichnet sind (vgl. Bode/Burdack 2012), gibt es bisher keine geförderten BIWAQ-Projekte.

Die Beispiele zeigen, dass kein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Stadtgröße bzw. den vor Ort bestehenden Problemlagen und der Zahl der BIWAQ-Projekte besteht. Dies resultiert ganz wesentlich aus der unterschiedlichen Initiative vor Ort, überhaupt einen Projektantrag zu stellen. Aufgrund des beschränkten Programmbudgets und der unterschiedlichen Qualität der Anträge konnten zudem nicht alle beantragten Projekte gefördert werden.

Resümee und Ausblick
Das BIWAQ-Programm hat durch die Förderung qualifizierender und netzwerkbildender Maßnahmen wichtige Impulse für eine positive wirtschaftliche Stadtteilentwicklung gesetzt. Der Erfolg der bislang durchgeführten Projekte resultiert dabei vor allem aus dem freiwilligen und selbstbestimmten Engagement der Stadtteilbewohner sowie der Schaffung von wohn- und arbeitsplatznahen Anlaufstellen im Quartier. Aufgrund der positiven Effekte für das gemeinsame Leben und Arbeiten im Quartier sind Bewerber und Bewerberinnen wieder aufgefordert, Projektanträge zur dritten Förderrunde einzureichen, die 2015 beginnt.

BBSR (Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung) (Hrsg.) (2014): BIWAQ. Projekte im Überblick. URL: htt://www.biwaq.de/cln_032/nn_248556/DE/Projekte/projekteStadt__node.html?__nnn=true
Abrufdatum: 19.05.2014.

BMVI (Bundesministerium für Verkehr und digitale Infrastruktur) (Hrsg.) (2014): Soziale Stadt – Investitionen im Quartier. Zukunftsfähige Entwicklung benachteiligter Stadtquartiere.
URL: http://www.bmvi.de/SharedDocs/DE/Artikel/SW/soziale-stadt.html
Abrufdatum: 11.06.2014.

BODE, Volker u. Joachim BURDACK (2012): Jugendarbeitslosigkeit – eine Herausforderung für Europa. In: Nationalatlas aktuell 6 (12/2012) 13 [19.12.2012]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL). URL: http://aktuell.nationalatlas.de/Jugendarbeitslosigkeit.13_12-2012.0.html

GÜLES, Orhan (2009): BIWAQ – Zusammenhalt durch sozialraumorientierte Arbeitsmarktpolitik. In: Informationen zur Raumentwicklung. Heft 6, S. 433-441.

HÄUSSERMANN, Hartmut u. Martin KRONAUER (2005): Inklusion-Exklusion. In: KESSL, Fabian; REUTLINGER, Christian; MAURER, Susanne u. Oliver FREY (Hrsg.): Handbuch Sozialraum, S. 597-609. Wiesbaden.

HÄUSSERMANN, Hartmut u. Jens WURTZBACHER (2005): Stadterneuerungspolitik und Segregation. In: KESSL, Fabian; REUTLINGER, Christian; MAURER, Susanne u. Oliver FREY (Hrsg.): Handbuch Sozialraum, S. 513-528. Wiesbaden.

JAKUBOWSKI, Peter u. Anna KOCH (2009): Stärkung der lokalen Ökonomie – eine stadtentwicklungspolitische Aufgabe. In: Informationen zur Raumentwicklung. Heft 3/4, S. 241-253.

WILHELM, Jan Lorenz (2012): Wozu Evaluation? Organisationssysteme bewerten Stadtteilförderung mit Kalkül. Potsdamer Geographische Praxis Nr. 2. Potsdam.

Bildnachweis
BIWAQ-geförderter Arbeitsladen in Leipzig-Grünau; E. Müller © IfL

Zitierweise
Güleş, Orhan; Henn, Sebastian u. Vanessa Hünnemeyer (2014): Förderung benachteiligter Stadtquartiere in Deutschland. In: Nationalatlas aktuell 8 (06.2014) 5 [30.06.2014]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL).
URL: http://aktuell.nationalatlas.de/BIWAQ.5_06-2014.0.html

Dipl.-Geogr. Orhan Güleş
Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung
im Bundesamt für Bauwesen und Raumordnung
Deichmanns Aue 31-37
53179 Bonn
Tel.: (0228) 99401-1221
E-Mail: orhan.gueles@bbr.bund.de

PD Dr. Sebastian Henn
Leibniz-Institut für Länderkunde
Schongauerstraße 9
04328 Leipzig
Tel.: (0341) 600 55-105
E-Mail: s_henn@leibniz-ifl.de

Vanessa Hünnemeyer M.A.
Leibniz-Institut für Länderkunde
Schongauerstraße 9
04328 Leipzig
Tel.: (0341) 600 55-162
E-Mail: v_huenemeyer@leibniz-ifl.de

Bund-Länder-Programm “Soziale Stadt – Investitionen im Quartier“
Seit 1999 werden durch die Finanzierung des Bundes sowie beteiligter Länder und Kommunen städtebaulich, wirtschaftlich und sozial benachteiligte Stadtgebiete in der Stadt- und Ortsteilerneuerung unterstützt. Neben der Förderung der Bildung und Beschäftigung durch flankierende Maßnahmen stehen städtebauliche Maßnahmen im Fokus des Programms “Soziale Stadt“ (BMVI 2014).

ESF-Bundesprogramm Bildung, Wirtschaft, Arbeit im Quartier (BIWAQ)
BIWAQ – Abkürzung für „Bildung, Wirtschaft, Arbeit im Quartier“ – ist ein quartiersbezogenes Förderprogramm, das seit 2008 mit Mitteln des Europäischen Sozialfonds (ESF) und des Bundes durchgeführt wird. Das Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, Bau und Reaktorsicherheit (BMUB) verknüpft mit BIWAQ in einem quartiersbezogenen Vorgehen lokale Bildungs-, Wirtschafts- und Arbeitsmarktprojekte mit städtebaulichen Maßnahmen. Die Projekte sollen in die integrierten Entwicklungskonzepte der Kommunen eingebettet sein und in Zusammenhang mit städtebaulichen Investitionen umgesetzt werden. Die Entscheidung über die Mittelbewilligung wird im Rahmen eines zweistufigen Wettbewerbsverfahrens getroffen. Als Partnerprogramm des Städtebauförderungsprogramms “Soziale Stadt – Investitionen im Quartier“ legt es bewusst einen Schwerpunkt auf benachteiligte Stadt- und Ortsteile.

Benachteiligte Quartiere
Im Zuge wirtschaftlicher, politischer und gesellschaftlicher Restrukturierungsvorgängen können kleinteilige stadträumliche Auf- und Abwertungsprozesse beobachtet werden. Die Überlagerung unterschiedlicher Problemlagen wirtschaftlicher, städtebaulicher, sozialer und kultureller Natur führt zu vielschichtigen und komplexen Fragmentierungsprozessen in Städten. Die von funktionaler und baulicher Abwertung betroffenen Gebiete entwickeln sich zunehmend zu Orten sozialer Ausgrenzung, gekennzeichnet durch fehlende und zurückgehende Erwerbsmöglichkeiten, ein vom Verfall gekennzeichnetes Wohnumfeld sowie den Anstieg sozial schwacher Haushalte. Die Konzentration beschriebener Probleme führt zu weiteren Abwertungstendenzen; die betroffenen Gebiete scheinen sich in einer stetigen Abwärtsspirale zu befinden. Ursächlich für die bestehenden Fragmentierungsprozesse ist die fehlende Anpassungsfähigkeit des Stadtraumes und ihrer Bewohner an sich verändernde räumliche Wirtschaftsstrukturen (Wilhelm 2012, S. 33ff.).

Lokale Ökonomie
Der Begriff der lokalen Ökonomie umfasst kleinbetriebliche Unternehmensstrukturen, die sich im unmittelbaren Umfeld der Quartiersbewohnerschaft befinden. Aufgrund der engen Standortbindung, die auf die Nähe zum lokalen Absatzmarkt und branchenspezifischen Standortmustern zurückzuführen ist, übernehmen sie lokale Beschäftigungs- und Ausbildungsfunktionen, Versorgungsfunktionen, Kommunikations- und Integrationsfunktionen. Traditionell zählen zur lokalen Ökonomie Betriebe aus den Wirtschaftsbereichen Einzelhandel, Gastronomie, Gesundheitswesen und Handwerk. Zunehmend werden auch unternehmensbezogene Dienstleistungen als ein Teilsegment der lokalen Ökonomie verstanden. Sowohl durch die Sicherstellung der örtlichen Nahversorgung und Bereitstellung wohnortnaher Arbeitsplätze als auch aufgrund der Gestaltungsfunktion des öffentlichen Lebens ist eine dynamische und differenzierte Unternehmensbasis wesentlich für den Erfolg quartiersbezogener Aufwertungsprozesse (Jakubowski/Koch 2009, S. 241f.)