Neue spanischsprachige Migranten
In den letzten Jahren wurde Deutschland erneut ein bedeutendes Ziel spanischsprachiger Migranten. 2019 lebten 281.235 spanischsprachige Migranten in Deutschland (1999 waren es 186.284; Karte 1), so viele wie seit Anfang der 1970er-Jahre nicht mehr (Destatis 2020, Glossar). Damals waren es hauptsächlich spanische Gastarbeiter, die es seit 1960 (Anwerbeabkommen zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Spanien; Motte/Ohlinger 2010) in die industriellen Zentren der Bundesrepublik zog. Heute handelt es sich bei den aktuellen spanischsprachigen Migranten um eine heterogenere Gruppe, in der jeder Dritte aus einem lateinamerikanischen Land stammt. Die meisten kamen in den letzten 20 Jahren nach Deutschland und befinden sich im Studium (Armas-Díaz/Köllner 2019), in der Berufsausbildung oder am Anfang ihres Berufslebens. Daraus resultieren ausdifferenzierte regionale Migrationsmuster: Die Kartenserie für 1999, 2009 und 2019 zeigt einerseits die wachsende Konzentration der spanischsprachigen Migranten in den westdeutschen Verdichtungsräumen sowie in der Hauptstadt Berlin und andererseits die zunehmende Zuwanderung insbesondere in die ostdeutschen Universitätsstädte.
Parallel zur Aneignung der deutschen Sprache stehen Migranten vor der Entscheidung, ob sie die Herkunftssprache an ihre Nachkommen weitergeben. Ein Blick auf die neue spanischsprachige Migration zeigt exemplarisch, wie unterschiedlich staatliche und gesellschaftliche Akteure Bildungsräume (Bildungsangebote) für Herkunftssprachen in Deutschland schaffen.
Spanisch als Herkunftssprache in der deutschen Bildungslandschaft
Junge spanischsprachige Familien haben begrenzte Möglichkeiten, wenn sie die Spanischkenntnisse ihrer Nachkommen außerhalb der Familie fördern möchten. Obwohl sich Spanisch in den letzten Jahrzenten als dritte bzw. zweite Fremdsprache an deutschen Schulen immer mehr etabliert hat, ist das staatliche Angebot für herkunftssprachlichen Unterricht (muttersprachlicher Unterricht für Menschen mit Migrationshintergrund) sehr begrenzt. Um diese Lücke zu schließen, sind eine Reihe von Bildungsprogrammen für Spanisch als Muttersprache entwickelt worden, deren räumliche Verteilung mit dem regionalen Verteilungsmuster der spanischsprachigen Migranten korreliert (vergl. Karte 1 mit den Karten 2 u. 3). Jedoch variieren Art und Umfang des Angebots zwischen den Regionen zum Teil erheblich.
Spanischunterricht für Muttersprachler
Die meistverbreitete Form des Spanischunterrichts für Muttersprachler ist das Programm Aulas de Lengua y Cultura Españolas (ALCE) des spanischen Ministeriums für Bildung und Berufslehre. Es handelt sich um kostenlosen Ergänzungsunterricht, der auf Kinder spanischer Eltern ausgerichtet ist. Das ALCE-Programm ist die Fortsetzung der muttersprachlichen Bildungsmaßnahmen, die der spanische Staat in den 1970er-Jahren für Gastarbeiterfamilien einrichtete. An diesem Sprachprogramm nehmen heute über 3.000 Kinder und Jugendliche an mehr als 90 Standorten teil, die sich vorwiegend in Baden-Württemberg, im südlichen Hessen mit der Metropolregion Frankfurt a. M. sowie in Bayern befinden (Karte 2). Dort stellt das ALCE-Programm das Hauptangebot für muttersprachlichen Spanischunterricht dar (Karte 3).
Alternativ zum ALCE-Programm boten 39 allgemeinbildende Schulen 2019 muttersprachlichen Spanischunterricht oder bilinguale Zweige an. Die spanische Regierung unterstützt bilinguale Zweige an einem Gymnasium in Berlin und an zwei Grundschulen in Hamburg (Karte 2). Dort ist Spanisch nicht nur ein Schulfach, sondern auch Unterrichtsprache in verschiedenen Fächern. Zweisprachige Zweige mit Spanisch werden auch an Europaschulen und anderen allgemeinbildenden Schulen in Berlin, Hamburg oder im Landkreis Havelland, sowie an den drei Europäischen Schulen in Frankfurt a. M., Karlsruhe und München angeboten (Glossar); darüber hinaus bieten einige Schulen Spanischunterricht auf muttersprachlichem Niveau an. Das Angebot besteht insbesondere dort, wo das ALCE-Programm kaum aktiv ist: in Rheinland-Pfalz, Nordrhein-Westfalen und Hamburg (Karte 2).
Frühkindliche Bildung und Grundschulen
Die frühe Förderung der Herkunftssprache trägt zur Entwicklung einer symmetrischen Zweisprachigkeit bei Kindern mit Migrationshintergrund bei. Deutschlandweit gibt es mehr als 50 private Kindergärten und Grundschulen, die eine zweisprachige Erziehung für Spanisch-Deutsch anbieten. Die räumliche Verteilung dieser Einrichtungen richtet sich dabei nach dem bestehenden Bedarf: Ein besonders großes Angebot existiert in den von den spanischsprachigen Migranten bevorzugten Metropolen Berlin, Hamburg, Frankfurt a. M. und Köln (Karte 2). Zusätzlich zu den privaten Kitas bestehen spanischsprachige Eltern- und Gemeinschaftsinitiativen, die alternative Bildungsangebote für frühkindliche bilinguale Sprachenförderung ins Leben gerufen haben. Einen großen Anteil haben diese Projekte beispielsweise in München, Offenbach am Main, Bonn oder Essen.
Das Engagement der spanischsprachigen Migrationsgemeinschaft im Bildungsbereich ist kein neues Phänomen. Zahlreiche spanische Elternvereine trugen bereits während der zweiten Hälfte des letzten Jahrhunderts zur Integration und zum Bildungserfolg der Nachkommen spanischer Gastarbeiter bei (Pfeffer-Hoffmann 2014). Im Jahr 2019 gab es 63 Programme dieser Art, die sich besonders in Regionen konzentrieren, in denen das staatliche und private Angebot die Nachfrage nicht ausreichend abdeckt. Dies betrifft neben den bereits genannten Großstädten auch die südlichen Landkreise Baden-Württembergs. Auch katholische Kirchgemeinden fördern durch eigene Programme die Weitergabe des Spanischen. Die 29 Initiativen, die teilweise ebenfalls schon auf die Phase der Anwerbung spanischer Gastarbeiter zurückgehen, sind vor allem in nordrhein-westfälischen Städten sowie in Bremen, Hannover und Stuttgart vertreten (Karte 2).