Die zwei Jahrzehnte nach dem Fall der Mauer waren durch dynamische innerdeutsche Wanderungsprozesse gekennzeichnet. Neben den nach wie vor dominierenden Ost-West-Wanderungen gibt es auch einen starken Zuzug aus dem Westen in den Osten. Aktuelle Graphiken und Karten belegen, es sind überwiegend junge Personen, die in ganz bestimmte ostdeutsche Regionen ziehen – die „Zuzugsinseln“.

Wenn von Wanderungsströmen in Deutschland die Rede ist, so liegt der Haupttenor auf der Abwanderung aus dem Osten in die alten Länder. Dieser Trend hat sich in den letzten Jahren jedoch deutlich abgeschwächt (Graphik 1). Zwar wanderten zwischen 2000 und 2007 insgesamt rund 1,5 Mio. Ostdeutsche nach Westdeutschland, doch gleichzeitig zogen auch ca. 1 Mio. Westdeutsche in den Osten. Das waren jährlich ca. 120.000 bis 140.000 Personen – umgerechnet eine westdeutsche Großstadt!

Wohin ziehen die Westdeutschen?
Auf Länderebene zeigt sich, dass Berlin mit fast einem Drittel aller Zuzüge das Hauptziel der West-Ost-Wanderungsströme ist, gefolgt von Sachsen, dem bevölkerungsreichsten Land in Ostdeutschland (Karte 2). Beide decken mehr als 50% aller Zuzüge ab. Bezogen auf die Einwohnerzahl sind die Unterschiede zwischen den ostdeutschen Ländern jedoch eher marginal (0,5 bis 1,2‰ pro Jahr).

Deutliche regionale Unterschiede zeigen sich bei den Städten (Karte 3). Die Hauptziele westdeutscher Zuwanderung sind die urbanen Regionen mit den großen Universitätsstädten; Karte 4 verdeutlicht exemplarisch die Wanderungsströme nach Rostock, Potsdam, Magdeburg, Erfurt und Leipzig. Dünn besiedelte Regionen Ostdeutschlands wie Vorpommern und große Teile des weiteren Berliner Umlandes werden hingegen nur gering präferiert. Mit Ausnahme der Berliner Stadtregion reicht die Attraktivität der ostdeutschen Städte nicht aus, um einen positiven oder zumindest ausgeglichenen Wanderungssaldo mit den alten Ländern zu erreichen.

Ein völlig neues Bild zeigt sich, wenn man aus der Vielzahl der Städte mit mehr als 100 Zuzügen pro Jahr jene herausfiltert, die ein gewisses qualitatives Maß an Zuwanderung aus dem Westen erreichen (Karte 1): Auswahlkriterien dafür sind eine jährliche Zuwanderung von mindestens 5‰ und ein Verhältnis von Fortzug zu Zuzug von 100 zu mehr als 60.

Danach konzentriert sich die Westwanderung auf wenige ostdeutsche Zuzugsinseln, die sich in Regionen befinden, die in einer früheren Studie als demographische Wachstums- und Übergangsregionen identifiziert worden sind (Herfert 2008a). Da deren Entstehung weitestgehend aus Zuzügen aus anderen ostdeutschen Regionen resultiert, decken sich hier west- und ostdeutsche Zuzugspräferenzen.

Letztlich handelt es sich bei diesen Regionen um die „blühenden Inseln“ Ostdeutschlands, die sich mit ihrer Wirtschaftskraft, ihren großen Bildungseinrichtungen, z.T. auch landschaftlichen Potenzialen und nicht zuletzt wegen ihres positiven Images deutlich von anderen ostdeutschen Regionen abheben. Es sind jene Regionen, die 2005/2006 erstmals seit der Wende einen deutlichen Beschäftigungszuwachs erfuhren – im Gegensatz zu den Schrumpfungsräumen.

Wer zieht in den Osten?
Generell sind die Wanderungsströme in die Zuzugsinseln sehr selektiv. Es sind in hohem Maße junge Frauen und Männer aus Westdeutschland, zumeist Singles und Lebensgemeinschaften, die zur Ausbildung oder aufgrund einer neuen Arbeitsstelle in die ostdeutschen Zuzugsinseln ziehen. In Leipzig wird dies besonders deutlich: Dort dominieren die 19 bis 35-Jährigen fast doppelt so stark wie im Durchschnitt der neuen Länder (Graphik 2). Es sind neben Studierenden in stärkerem Maße Personen in der ersten Phase ihrer Berufskarriere, vielfach hoch Qualifizierte.

Diese Personengruppe trägt ganz wesentlich zur wirtschaftlichen und demographischen Stärkung und somit zur Attraktivitätssteigerung dieser Regionen bei. Typisch für diese Zuzugsinseln ist auch die ausgewogene Sexualstruktur der besonders starken Wanderungsströme junger Personen. Dadurch verzeichneten einige ostdeutsche Großstädte sogar Geburtenüberschüsse – eine derzeit seltene Konstellation (Graphik 2). Im Gegensatz dazu führt in den stark schrumpfenden Regionen der überproportionale Zuzug junger männlicher Personen zu unausgewogenen Sexualstrukturen: Hier liegt der Anteil der Frauen an den 19-35-Jährigen Zuwandernden aus Westdeutschland unter 40%!

Einzelne regionale Studien über Ostdeutschland belegen, dass bis zu 50% der Zugewanderten ehemalige Ostdeutsche sind. In den Zuzugsinseln ist deren Anteil jedoch deutlich geringer: In Magdeburg beispielsweise sind es nur ca. 30% (Dienel/Reim/Schmithals 2007), darunter zum großen Teil Personen, die nach dem Studium bzw. nach der Ausbildung und zeitweiliger Arbeit in Westdeutschland eine neue berufliche Perspektive in ihrer alten Heimat gefunden haben.

Aber auch die höheren Altersgruppen sind unter den Zugezogenen vergleichsweise stark vertreten. Es handelt sich sowohl um Rückkehrer im Rentenalter als auch um Senioren aus den alten Ländern, die aufgrund familiärer Bindungen und der vergleichsweise günstigen Miet- und Immobilienpreise ihren neuen Lebensabschnitt in den aufstrebenden und attraktiven Räumen Ostdeutschlands verbringen wollen. Sie zieht es vor allem in die landschaftlich reizvollen Regionen an der Ostseeküste oder in die Städte mit attraktiver gründerzeitlicher Bausubstanz wie beispielsweise Görlitz. So ist es folglich nicht verwunderlich, dass bei Haushaltsbefragungen zur Wohnzufriedenheit in innerstädtischen Gründerzeitquartieren die Gruppe der zugezogenen Westdeutschen den höchsten Zufriedenheitsgrad unter den Bewohnern aufweist (Herfert 2008b).

Fazit und Ausblick
Einige wenige Großstadtregionen und landschaftlich reizvolle Regionen Ostdeutschlands bilden attraktive Zuzugsräume für westdeutsche Zuwanderer. Diese Zuzugsinseln besitzen die nötigen Potenziale, um im überregionalen Konkurrenzkampf Humankapital aus dem Westen Deutschlands zu binden und damit auch ihre Zukunftsfähigkeit zu sichern (Pohl 2008).

Die Zuwanderung aus dem Westen Deutschlands in die ostdeutschen Wachstumsinseln könnte sich in den nächsten Jahren sogar noch verstärken, da sich aufgrund geringer ostdeutscher Kohorten der Nachwendejahre die Zuzugsbedingungen sowohl für Studenten, für Berufseinsteiger als auch für Senioren weiter verbessern werden.

AMT FÜR STATISTIK BERLIN-BRANDENBURG (Hrsg.): Bevölkerungs- und Wanderungsdatensätze 2000-2007. Potsdam.

DIENEL, Hans-Liudger; REIM, Daphne u. Jenny SCHMITHALS (2007): Zu- und Rückwanderung nach Ostdeutschland – Bevölkerungsstabilisierung ostdeutscher Städte durch West-Ost-Wanderung. In: vhw Forum Wohneigentum. 8. Jg., Heft 3, S. 156-160.

FRIEDRICH, Klaus (2008): 16 Jahre Ost-West-Migration – eine Einführung in die Transformation eines geschlossenen Migrationsregimes in der Postmoderne. In: Friedrich, K. u. A. Schultz (Hrsg.) (2008): Brain drain oder brain circulation? Konsequenzen und Perspektiven der Ost-West-Wanderung. (= forum ifl Heft 8; Leibniz-Institut für Länderkunde), S. 13-20.

HERFERT, Günter (2008a): Bevölkerungsentwicklung – Wachsende Polarisierung in Ostdeutschland. In: Nationalatlas aktuell 2 (02/2008) Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL).
URL:
http://aktuell.nationalatlas.de/Bevoelkerungsentwicklung-Ostdeutschland.2_02-20080.0.html

HERFERT, Günter (2008b): Sozialräumlicher Wandel in Wohnquartieren mittel- und osteuropäischer Stadtregionen – Fallstudie Leipzig (unveröff.).

HERFERT, Günter (2007): Regionale Polarisierung der demographischen Entwicklung in Ostdeutschland – Gleichwertigkeit der Lebensverhältnisse? In: Raumforschung und Raumordnung, Heft 5, S. 435-455.

JAIN, Angela u. Jenny SCHMITHALS (2009): Motive für die Wanderung von West- nach Ostdeutsachland und Rückkehrtypen. In: Cassens, Ina (Hrsg.): Die Bevölkerung in Ost- und Westdeutschland: Demografische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Entwicklungen seit der Wende. Wiesbaden, S. 313-333.

KUBIS, Alexander u. Lutz SCHNEIDER (2008): Zuwanderungschancen ostdeutscher Regionen. In: Wirtschaft im Wandel, Heft 10, S. 377-381.

POHL, Rüdiger (2008): Chancen und Risiken im Transformationsprozess – Die Bedeutung des Faktors Humankapital für die ostdeutsche Regionalentwicklung. In: Friedrich, K. u. A. Schultz (Hrsg.) (2008): Brain drain oder brain circulation? Konsequenzen und Perspektiven der Ost-West-Wanderung. (= forum ifl Heft 8; Leibniz-Institut für Länderkunde), S. 105-112.

STATISTISCHES AMT MECKLENBURG-VORPOMMERN (Hrsg.): Bevölkerungs- und Wanderungsdatensätze 2000-2007. Schwerin.

STATISTISCHES LANDESAMT DES FREISTAATES SACHSEN (Hrsg.): Bevölkerungs- und Wanderungsdatensätze 2000-2007. Kamenz.

STATISTISCHES LANDESAMT SACHSEN-ANHALT (Hrsg.): Bevölkerungs- und Wanderungsdatensätze 2000-2007. Halle.

THÜRINGER LANDESAMT FÜR STATISTIK (Hrsg.): Bevölkerungs- und Wanderungsdatensätze 2000-2007. Erfurt.

Bildnachweis:
Das Waldstraßenviertel in Leipzig ist ein begehrtes gründerzeitliches Wohnquartier für westdeutsche Zuwanderer.
© C. Hanewinkel

Zitierweise:
Herfert, Günter (2009): West-Ost-Wanderung – Attraktive Zuzugsinseln in Ostdeutschland. In: Nationalatlas aktuell
3 (08.2009) 8 [27.08.2009]. Leipzig: Leibniz-Institut für Länderkunde (IfL).
URL:
http://aktuell.nationalatlas.de/West-Ost-Wanderung.8_08-2009.0.html

Dr. Günter Herfert
Wissenschaftlicher Mitarbeiter
Leibniz-Institut für Länderkunde
Schongauerstraße 9
04328 Leipzig
Tel.: (0341) 600 55 113
E-Mail: G_Herfert@leibniz-ifl.de

Suburbanisierung, Wohnsuburbanisierung, Reurbanisierung, Wanderungssaldo

Wohnsuburbanisierung ist der relative Bedeutungsgewinn der Wohnfunktion des Umlandes gegenüber der Kernstadt insbesondere durch Stadt-Umland-Wanderungen. Die Wohnsuburbanisierung ist Teil des Suburbanisierungsprozesses, der auch mit der Verlagerung von Dienstleistungen und Gewerbe ins Umland verbunden ist.
Verschiedene Faktoren sprechen aktuell gegen eine Wiederbelebung der Wohnsuburbanisierung in Ostdeutschland: der Wegfall der Steuerabschreibung für Kapitalanleger und der Eigenheimzulage für Häuslebauer, die Beschränkung der Pendlerpauschale sowie die Abnahme der Zahl junger Familienhaushalte, der wichtigsten potenziellen Suburbaniten. Parallel wirken auf die Stadtbewohner Bleibefaktoren wie der Kostenanstieg des suburbanen Wohnens, der Werteverfall von Wohnimmobilien im peripheren Umland, die für breite soziale Schichten vorhandene Ungewissheit der zukünftigen Lebensverhältnisse sowie die Abschwächung des Wohnleitbildes vom freistehenden Einfamilienhaus im Grünen.

Reurbanisierung ist ein Prozess des relativen oder absoluten Bevölkerungsgewinns der Kernstadt im Vergleich zum Umland, vorwiegend bedingt durch steigende Zuwanderungen. Damit verbunden ist eine Stabilisierung der inneren Stadt als Wohnstandort nach einer längeren Phase des Niedergangs. Im Zuge der auslaufenden Suburbanisierungstendenzen in Ostdeutschland stellt sich aktuell die Frage, ob damit ein neuer Leittrend in der Stadtentwicklung eingetreten ist oder ob Reurbanisierungsprozesse nur punktuell in den neuen Wachstumsräumen auftreten werden.

Unter Wanderungssaldo versteht man die Differenz zwischen Zu- und Abwanderung; je nachdem, welche der beiden Einflussgrößen überwiegt, handelt es sich um ein positives oder negatives Wanderungssaldo. In den Graphiken wird die relative Kennziffer „Wanderungssaldo je 1000 Einwohner“ verwendet, um die ostdeutschen Oberzentren mit unterschiedlicher Einwohnerzahl in ihrem Wanderungsverhalten vergleichen zu können.