Nach dem Ende des Musical-Booms in den 1990er-Jahren gab es längere Zeit kaum Veränderungen auf dem deutschen Musical-Markt. Allerdings haben sich unterschiedliche Ansätze entwickelt, kommerziell Musicals auf die Bühne zu bringen. So sind seit November 2014 in Hamburg noch einmal zwei Bühnen eröffnet worden: Ein „klassisches“ Musical-Theater, das Stage Theater an der Elbe, und die Multifunktionsspielstätte Mehr! Theater am Großmarkt. Hamburg hat damit seinen imageträchtigen Platz als Musical-Hauptstadt in Deutschland gefestigt (Karte).
Musical-Boom und Sättigung
In Hamburg begann auch die Geschichte der festen Musical-Spielstätten in Deutschland, 1986 mit „Cats“. Zwei Jahre später folgte in Bochum „Starlight Express“, das noch heute zu sehen ist. Neben Hamburg und dem Ruhrgebiet entwickelte sich ab 1994 noch Stuttgart zum Musical-Standort. Nach dem Erfolg der ersten Produktionen folgten zahlreiche weitere Standorte. Die Versuche, dort Musicals zu etablieren, waren allerdings meist nur kurzzeitig erfolgreich (Grafik). Eine Marktsättigung war eingetreten, ein Umstand, der sich in den zahlreichen ehemaligen Spielstätten niederschlägt (Karte).
Eng verbunden mit der Geschichte des Musicals in Deutschland ist die Stella AG, die den Markt in den ersten Jahren dominierte. Als Mitte der 1990er-Jahre auch unabhängige Anbieter Spielstätten eröffneten, wurde der Wettbewerb allerdings härter und das Unternehmen, das mit „Cats“ einst als Innovator aufgetreten war, musste 1999 Konkurs anmelden. Von einer allgemeinen Musical-Krise war die Rede. Nach der Konsolidierung des Marktes dominiert heute das Unternehmen Stage Entertainment das Musical-Geschäft in Deutschland.
Aktuelle Standortstruktur
Am Ende des Musical-Booms schätzte man, dass langfristig etwa zehn sogenannte Ensuite-Produktionen (Glossar), die als aufwendige und meist längerfristige Produktionen ausschließlich in reinen Musical-Theatern aufgeführt werden, in Deutschland eine Chance haben würden (JUCHELKA 2000, S. 40).
Diese Prognose hat sich als tragfähig herausgestellt. Heute sind elf Ensuite-Spielstätten mit rund 18.000 Sitzplätzen am Markt. Abgesehen vom Starlight Express Theater in Bochum gehören diese Spielstätten alle zu Stage Entertainment. Eine starke Tendenz zur räumlichen Konzentration ist unübersehbar – in Deutschland jedoch schwächer ausgeprägt als beispielweise in Großbritannien mit dem einzigen Musical-Standort London. Hierzulande haben sich die Standorte in den Metropolen bzw. Metropolregionen Hamburg, dem Ruhrgebiet und Stuttgart durchgesetzt, wo schon früh Musicals erfolgreich waren. Nur in Berlin, mit seiner besonderen Anziehungskraft als Hauptstadt und Tourismusmagnet, haben sich noch nach 1999 reine Musical-Theater mit Ensuite-Produktionen langfristig etabliert.
Hinzu kommt die neuere Entwicklung des Musical- und Show-Theaters (Glossar), die vom Unternehmen Mehr! Entertainment vorangetrieben wird. Zu diesem Unternehmen gehören alle sechs privaten Musical- und Show-Theater, in denen regelmäßig Musicals laufen. Sie haben zusammen rund 9.500 Sitzplätze. Meist handelt es sich um ehemalige Standorte von Ensuite-Produktionen. Diese Multifunktionsspielstätten werden meist nur für eine kurze oder zumindest begrenzte Zeit an externe Produktionsfirmen vermietet. Neben Musicals können auch verschiedenste Shows, Comedy-Abende oder klassisches Konzertprogramm und beliebige andere Veranstaltungen angeboten werden. Dies ermöglicht den Betreibern, flexibler auf eine veränderte Nachfrage nach Unterhaltungsangeboten reagieren zu können und das finanzielle Risiko einer eigenen großen Musicalproduktion zu vermeiden.
Die Karte enthält auch zwei öffentliche Theater: Das Deutsche Theater in München und den Friedrichstadtpalast in Berlin. Diese sind zwar öffentlich getragen, der Charakter des Angebots entspricht aber eher dem der kommerziellen Häuser. So werden am Deutschen Theater in München dieselben Stücke aufgeführt wie an den kommerziellen Musical- und Show-Theatern (teilweise auch, nachdem sie an einer Ensuite-Spielstätte abgesetzt worden sind). Der einzige Unterschied besteht in tendenziell etwas kürzeren Laufzeiten.
Über das kommerzielle Angebot hinaus hat sich in Deutschland auch jenseits der Metropolen eine große Vielfalt an kleineren Musicalaufführungen entwickelt, die hier nicht gezeigt werden kann. Dieses Thema wird in einem späteren Beitrag aufgegriffen.
Ökonomische Bedeutung und Ausblick
Die ökonomische Bedeutung kommerzieller Musicals beruht einerseits auf dem direkten ökonomischen Effekt der Theater selbst. Andererseits sind Musical-Spielstätten wichtige Anziehungspunkte für den Städtetourismus und beispielsweise in Hamburg ein wichtiger Teil der touristischen Vermarktungsstrategie. Dies scheint jedoch nur in größeren Städten langfristig erfolgreich zu sein. Die Versuche, Musicals als Tourismusmagneten an eher peripher gelegenen Standorten zu etablieren, waren langfristig nicht erfolgreich. Dies zeigen die beiden aufgegebenen Standorte in Südbayern (Karte).
Die Standortstruktur kommerzieller Musicals scheint so gefestigt zu sein, dass in Zukunft nicht von großen Veränderungen auszugehen ist. Die starke Konzentration der Spielstätten auf die Stadt Hamburg wird sich sogar noch verstärken, da dort bereits Planungen für ein fünftes reines Musical-Theater begonnen haben. Fraglich ist allerdings, wie sich der Wettstreit zwischen den unterschiedlichen Strategien, Ensuite-Produktionen einerseits und Mehrzweckspielstätten andererseits, weiter entwickeln wird. Dies wird auch davon abhängen, wie sich die Nachfrage nach klassischen Musicals im Verhältnis zu anderen Unterhaltungsangeboten weiter verändern wird.