Der EU-Schutz der Herkunftsangabe von deutschen Lebensmitteln und Speisen
Aktuell gibt es in Deutschland 96 Lebensmittel mit geschützter Herkunftsangabe: 84 mit „geschützter geographischer Angabe“ (g. g. A.) und 12 mit „geschützter Ursprungsbezeichnung (g. U.)“ (Karte 1). In den letzten Jahren wurden ganz unterschiedliche Lebensmittel und Genussmittel (Bier, Wein und Spirituosen) anerkannt: Von unverarbeiteten Agrarerzeugnissen (z. B. „Beelitzer Spargel“, „Spreewälder Meerrettich“, „Holsteiner Karpfen“ oder „Bayerisches Rindfleisch“) über verarbeitete Lebensmittel (z. B. „Meißner Fummel“, „Nordhessische Ahle Worscht“, „Spreewälder Gurkensülze“ oder „Oktoberfestbier“) bis hin zu Speisen wie „Frankfurter Grüne Soße“, „Hessischer Handkäs“ oder „Obatzda“. Dabei gibt es Bezeichnungen, die ohne entsprechenden Zusatz keinen Hinweis auf eine geographische Verortung liefern: Beim „Bayerischen Rindfleisch“ ist wohl der Zusatz „Bayerisch“ essenziell, da nicht nur in Bayern Rindfleisch erzeugt wird. Es stellt sich die Frage, inwiefern sich die Qualität von Rindfleisch generell danach unterscheiden lässt, in welchem Bundesland die dazu verwendeten Rinder geboren, gemästet, geschlachtet und/oder verarbeitet wurden. Die „Bayerische Breze“ unterscheidet sich anscheinend von nicht-bayerischen Brezen, und die „Schwäbischen Spätzle“ verraten, dass es offenbar auch Spätzle gibt, die nicht aus Schwaben stammen, wobei „das geographische Gebiet Schwaben“ laut Eintragung bei der Europäischen Kommission ganz Baden-Württemberg sowie den gesamten Regierungsbezirk Schwaben des Freistaates Bayern umfasst. Auch Spargel oder Karpfen sind Erzeugnisse zahlreicher Regionen in Deutschland.
Geschützte Produkte ohne Ortsangabe
Gleichermaßen gibt es aber auch Produkte, deren Bezeichnung einen Schutz der geographischen Angabe verliehen bekommt, obwohl sie selbst gar keine Ortsangabe enthält. Anscheinend geht man davon aus, dass allein schon die mundartliche Bezeichnung den Obatzden mit Bayern und das Oktoberfestbier ohnehin in München zu verorten ist. Noch verwirrender wird die Situation, wenn man neben den Produkten mit geschützter Herkunftsbezeichnung auch „garantierte traditionelle Spezialitäten“ (g. t. S.) nach EU-Recht betrachtet, die zwar eine geographische Verortung im Namen tragen, die aber wiederum nicht Teil des Schutzes ist, weil sie – so die amtliche Begründung der EU – auch andernorts in gleicher Qualität produziert werden können. So wurde z. B. die Pizza Napoletana (in Deutschland hauptsächlich in der Variante Pizza Margherita bekannt) auf Betreiben einer Pizzabäckervereinigung aus Neapel für ihr traditionelles Herstellungsverfahren geschützt. Sie darf aber nicht nur in Neapel, sondern etwa auch in Deutschland hergestellt werden.
Herkunft oder Gattungsbezeichnung
Entscheidend ist die Beantwortung der Frage, ob eine Bezeichnung für die Herkunft steht oder eine „Gattungsbezeichnung“ ist, wobei es häufig vorkommt, dass eine ursprüngliche Herkunftsbezeichnung zu einer Gattungsbezeichnung geworden ist. Niemand erwartet, dass ein Camembert in der gleichnamigen Gemeinde in der Normandie hergestellt wurde, und auch ein Emmentaler darf nicht nur im Schweizer Emmental produziert werden. Dass das Halberstädter Würstchen als Herkunftsbezeichnung anerkannt wurde, die Münchner Weißwurst aber nicht, zeigt, wie schwierig die Grenze zwischen Herkunft und Gattung zu ziehen ist.
Kriterien für einen Schutz der geographischen Herkunftsangabe
Doch zu welchem Zweck bietet die Europäische Kommission überhaupt einen derartigen Schutz geographischer Herkunftsbezeichnungen und welche Kriterien sind zu erfüllen, um in den Genuss eines solchen Schutzes zu gelangen? Die EU-Verordnung über Qualitätsregelungen für Agrarerzeugnisse und Lebensmittel bietet die Möglichkeit, für räumlich definierte Spezialitäten einen Schutz der geographischen Herkunftsbezeichnung. Dabei wird unterschieden zwischen der „geschützten geographischen Angabe“ (g. g. A.), bei der lediglich der als entscheidend angesehene Verarbeitungsschritt in dem bezeichneten Gebiet vollzogen werden muss, und der „geschützten Ursprungsbezeichnung“ (g. U.), die auch die Erzeugung der landwirtschaftlichen Rohstoffe in die Herkunftsdefinition einbezieht. Mit anderen Worten: Anders als bei der letzteren Variante dürfen bei der ersteren Variante die Rohstoffe (wie Getreide, Milch, Fleisch, Fisch) aus anderen Herkunftsgebieten stammen. In beiden Fällen wird erwartet, dass entsprechende Erzeugnisse „einen immanenten Zusammenhang zwischen den Merkmalen des Erzeugnisses oder Lebensmittels und dem geografischen Ursprung aufweisen“ (Amtsblatt der EU 2012, S. 2).
Für eine „geschützte geographische Angabe“ muss ein Erzeugnis folgende Anforderungen erfüllen: Sein Ursprung muss erstens „in einem bestimmten Ort, in einer bestimmten Gegend oder in einem bestimmten Land“ liegen, zweitens muss seine Qualität „wesentlich auf diesen geografischen Ursprung zurückzuführen“ sein, und drittens muss „wenigstens einer der Produktionsschritte“ innerhalb dieses genau abgegrenzten Raumes erfolgen (Amtsblatt der EU 2012, S. 8).
Naturalisierung und Traditionalisierung geographischer Herkunft
Während die erste und dritte Anforderung leicht zu erfüllen sind (denn welches Produkt hat seinen Ursprung bzw. einen Produktionsschritt nicht an einem bestimmten Ort oder in einer bestimmten Gegend?), bedarf es für zur Begründung der zweiten Anforderung meist erheblicher argumentativer Verrenkungen. Tatsächlich wird gemäß EU-Verordnung bei jedem Antrag verlangt, Angaben zu machen zum „ursächlichen Zusammenhang zwischen dem geografischen Gebiet und der Qualität oder den Merkmalen des Erzeugnisses“ (im Falle einer g. U.) bzw. einer bestimmten Qualität, dem Ansehen oder sonstigen Eigenschaften des Erzeugnisses (im Falle einer g. g. A.). Das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft erläutert diesen geforderten ursächlichen Zusammenhang am Beispiel des Allgäuer Bergkäses folgendermaßen (BMEL 2023): „Die geologischen und klimatischen Verhältnisse des Allgäu beeinflussen wesentlich die Güte des Rohstoffs Milch und damit des ‚Allgäuer Bergkäses‘.“
In den meisten Fällen wird weniger der Versuch unternommen, einen direkten Kausalzusammenhang zwischen den natürlichen Verhältnissen des Erzeugungsgebiets und der Qualität eines Produkts zu konstruieren. Vielmehr wird als „Ursache“ eine lange Tradition der Erzeugung in einem bestimmten Gebiet ausgeführt, oft mit jahrhundertealten Belegen aus der Literatur. So werden als Beleg für die Verbindung zwischen Region Schwaben und Produkt Spätzle/Knöpfle beispielsweise Auszüge aus Volksliteratur des 19. Jahrhunderts angeführt, wie etwa: „‚S isch koi richtigs Schwobe-Mädla, des net Spätzla kocha ka‘ “ (Amtsblatt der EU 2016, S. 25).
Beide Argumentationsmuster sind problematisch, sowohl das naturalisierende als das historisierende – von der geschlechtsbezogenen Zuschreibung im genannten Beispiel ganz zu schweigen. Besondere natürliche Bedingungen mögen zwar (aufgrund der Anpassung landwirtschaftlicher Aktivitäten an Gestein, Relief, Klima, Böden und Vegetation) rückblickend einen relevanten Einfluss auf die Hervorbringung von regionstypischer Kost und regionalen Spezialitäten gehabt haben. Der Umkehrschluss, die entsprechenden Agrarerzeugnisse, Lebensmittel und Speisen ließen sich nur in genau diesem Gebiet aufgrund der natürlichen Bedingungen in der jeweiligen Qualität herstellen, ist jedoch in jedem Fall unzutreffend. Dass sich eine Region aufgrund ihrer natürlichen Verhältnisse besonders gut zur Milchviehhaltung eignet, bedeutet noch lange nicht, dass sich die Qualität des aus der Milch erzeugten Käses nicht auch andernorts erzielen ließe.
Besondere historische Verknüpfungen von Orten bzw. Regionen und Produkten lassen sich hingegen durchaus nachweisen. So gibt es Wissen über Ereignisse, Geschichten sowie politische und rechtliche Einflussnahme auf die Herausbildung territorial definierter Spezialitäten in der Vergangenheit. Jede Entstehungsgeschichte einer orts- oder regionaltypischen Spezialität lässt sich im Nachhinein als Pfadabhängigkeit lesen; ob sich dies dann auch als „ursächlicher Zusammenhang“ interpretieren lässt, ist zumindest fraglich. So wurden z. B. die Entstehung, Rezeptur und internationale Bekanntheit von Nürnberger Lebkuchen durch die Lage der mittelalterlichen Stadt Nürnberg an der Kreuzung bedeutender Handelswege begünstigt. Als Begründung für den (ursächlichen) Zusammenhang gemäß EU-Verordnung wird argumentiert, dass in Nürnberg bereits im Jahr 1643 eine Zunft der Lebküchner gegründet wurde, die bereits vor Jahrhunderten die Rezeptur der in der Stadt hergestellten und auf den Markt gebrachten Lebkuchen reglementierte.
Der Versuch, Kausalzusammenhänge durch Traditionalisierung zu konstruieren, führt oft zu einem latenten Naturalismus. Es wird ein quasi-natürlicher Zusammenhang zwischen Ort bzw. Region und Produkt behauptet und damit belegt, dass dieser Zusammenhang schon sehr lange und offenbar mit einer gewissen Zwangsläufigkeit besteht. Wenn argumentiert wird, dass bestimmte Fertigkeiten, die zur Erzeugung von regionalen Spezialitäten erforderlich seien, nur in einem abgrenzbaren Territorium vorhanden seien, dann werden Fertigkeiten zur „Natur“ oder zur „Bestimmung“ der lokalen Bevölkerung umgedeutet. Zugleich werden auch vergangene politische und rechtliche Verknüpfungen von Ort/Raum/Region und Produkt selten als solche beschrieben, sondern allenfalls als Maßnahme zur Bestandswahrung.
Dabei sind es eben weniger die Natur oder auch die Geschichte, die eine bestimmte Qualität eines Lebensmittels mit einem bestimmten Raum verbinden, sondern dies sind in erster Linie – früher wie heute – die Maßnahmen von Erzeugungsverbänden wie von politischen Organen. Der Schutz der geographischen Herkunftsangaben nach EU-Recht unterscheidet sich in dieser Hinsicht nicht von entsprechenden Maßnahmen der mittelalterlichen Zünfte, kommunalen oder nationalstaatlichen Regelwerken mit entsprechendem Einfluss auf Qualitätsnormen in Abhängigkeit von Waren- und Herkunftsbezeichnungen.
Wem nutzt der Schutz?
Laut Amtsblatt der EU ist es das Ziel der Verordnung zum Schutz von Herkunftsangaben, „die Erzeuger von Agrarerzeugnissen und Lebensmitteln dabei zu unterstützen, Käufer und Verbraucher über die Produkteigenschaften und Bewirtschaftungsmerkmale dieser Erzeugnisse und Lebensmittel zu unterrichten“ (Amtsblatt der EU 2012, S. 7). Auf diese Weise biete die „Qualität und Vielfalt der Erzeugung […] einen erheblichen Beitrag zum lebendigen kulturellen und gastronomischen Erbe“ (Amtsblatt der EU 2012, S. 1). Weiter heißt es: „Die Bürger und die Verbraucher in der Union verlangen zunehmend Erzeugnisse von Qualität sowie traditionelle Erzeugnisse. Außerdem ist es ihnen ein Anliegen, die Vielfalt der landwirtschaftlichen Erzeugung in der Union zu erhalten.“ (Amtsblatt der EU 2012, S. 7). Einen Nutzen verspricht man sich also sowohl für die erzeugenden Betriebe als auch für die konsumierende Kundschaft. Zudem wird davon ausgegangen, dass der Schutz von Herkunftsbezeichnungen die Vielfalt, Kultur und Tradition von Landwirtschaft, Ernährungsgewerbe und Kulinarik fördere.
Finanzieller Vorteil durch Zertifizierung
In der Praxis profitieren von geschützten Herkunftsbezeichnungen in erster Linie jene gewerblichen Hersteller, die entsprechende Kriterien erfüllen und die auf diese Weise davor geschützt werden, mit Anbietern, die diese Kriterien nicht erfüllen, in einen Wettbewerb treten zu müssen. Insofern wirkt der Schutz als eine protektionistische Maßnahme, mit deren Hilfe gewissermaßen lokale bzw. regionale Monopolstellungen erzielt werden können. Dass sich die EU-Zertifizierung lohnt, belegt eine Studie, die die Europäische Kommission bereits vor einigen Jahren vorgelegt hat: So betrug der Verkaufswert deutscher Lebensmittel mit geschützter Herkunftsangabe im Jahr 2017 rund 5,3 Milliarden Euro (Europäische Kommission 2020, S.2); bei den Fleischprodukten verbuchten „Schwarzwälder Schinken“, „Thüringer Rostbratwurst“ und „Nürnberger Bratwürste“ die höchsten Anteile (Europäische Kommission 2020, S.33). Dabei ist das Exportgeschäft zum Teil sehr beachtlich. Beispielsweise waren im Jahr 2017 neben Prosciutto di Parma und Mortadella Bologna Schwarzwälder Schinken und Nürnberger Bratwürste/Nürnberger Rostbratwürste die wichtigsten in das Vereinigte Königreich verkauften EU-Fleischprodukte. Zusammen machten sie 73 Prozent der gesamten britischen Käufe von g. g. A./g. U.-Fleischprodukten aus der EU27 aus (Europäische Kommission 2020, S.98).
Aus Konsumperspektive soll der Schutz Transparenz und hohe Qualität der Produkte gewährleisten. Durch die Kopplung von Produktions- und Qualitätskriterien an die geographische Herkunft lässt sich eine missbräuchliche Verwendung verhindern. Das heißt z. B., man kann sich nicht nur darauf verlassen, dass „Bayerisches Bier“ tatsächlich in Bayern gebraut wurde, sondern auch, dass die Qualität bestimmten Vorgaben entspricht – konkret: dem bayerischen Reinheitsgebot. Wie sinnvoll und nutzenbringend die jeweiligen an die Herkunft gekoppelten Vorschriften für die Konsumentinnen und Konsumenten letztlich sind, unterscheidet sich von Produkt zu Produkt stark.
Ähnlich verhält es sich mit dem Ziel der Erhaltung einer vielfältigen Land- und Ernährungswirtschaft und kulinarischer Kultur. In vielen Fällen profitieren vorrangig größere Industrieunternehmen von dem Schutz, weniger die kleineren bäuerlichen und handwerklichen Betriebe. In anderen Fällen scheint es aber zumindest ansatzweise gelungen zu sein, durch Zusammenschluss kleiner Betriebe und kluge Einflussnahme auf (nachhaltige) Produktionsbedingungen als Voraussetzung für die Verwendung der geographischen Angabe einen Beitrag zur Erhaltung bzw. Etablierung entsprechender Strukturen zu leisten.
Resümee
Inwiefern ein Schutz der „Berliner Currywurst ohne Darm“ einen wichtigen Beitrag zur Stärkung der Vielfalt von Landwirtschaft und der kulinarischen Kultur in Deutschland und Europa leisten kann, sei an dieser Stelle dahingestellt. Genauso wie bei der Übersicht über die sehr unterschiedlichen Arten der geschützten Lebensmittel und Speisen ist unübersehbar, welche Paradoxien mit dem Schutz von Herkunftsbezeichnungen verbunden sind. Die Beziehung zwischen Herkunft und Qualität wird jedenfalls durch den rechtlichen Schutz wirksam gemacht und spiegelt – anders als vielfach auch in den amtlichen Verlautbarungen behauptet – keinen naturgegebenen Zusammenhang wider.